Vier Buchstaben mit Sprengkraft auf einem Kleidungsstück haben eine Debatte ausgelöst, die weit über Modefragen und persönlichen Geschmack hinausgeht. Seit Jette Nietzard, Co-Vorsitzende der Grünen Jugend, ein Selfie mit einem "ACAB"-Pullover gepostet hat, reißen die Reaktionen nicht ab.
Von Parteifreunden kommt scharfe Kritik, die Polizeigewerkschaft fordert sogar eine Überwachung der Grünen Jugend durch den Verfassungsschutz. Weniger scharf äußert sich Michael Labetzke. Er ist einerseits Grünen-Abgeordneter in Bremen, aber auch Bundespolizist – ein seltener Spagat. Er versucht jetzt zu differenzieren und übt Kritik an der Kritik.
Labetzke selbst hält den provokanten Pulli für "überzogen". Gleichzeitig verweist er auf strukturelle Probleme innerhalb der Polizei: "In der Bevölkerung gibt es verfestigt rassistische Einstellungen, und natürlich sind die auch bei der Polizei zu finden", sagte der Grünen-Politiker im Gespräch mit dem "Tagesspiegel".
Der 47-Jährige spricht von einer "Cop Culture", die sich als "verschworene Schicksalsgemeinschaft mit eigenen Regeln" verstehe – ein Relikt aus der Vergangenheit des Bundesgrenzschutzes, aus dem die Bundespolizei hervorging.
Er beschreibt deutliche Unterschiede innerhalb der Polizeien: Während viele Landespolizeien bei Themen wie Antidiskriminierung oder Fehlerkultur Fortschritte gemacht hätten, sei man in Teilen der Bundespolizei noch weit davon entfernt.
Die Aktion der Grünen-Jugend-Chefin hält Labetzke für unklug: "Provokation um jeden Preis, das hast du doch gar nicht nötig." Gerade als Vertreter von "PolizeiGrün", der Vereinigung grüner Polizist:innen, fordert Labetzke eine sachliche, faktenbasierte Kriminalitätspolitik. "So berechtigt manche Kritik an der Polizei ist – man kann auch überziehen", sagt er im Interview. Er wünsche sich eine Debatte auf Augenhöhe, statt polemischer Zuspitzung.
Ein Thema, das Labetzke besonders umtreibt: der Umgang mit Verfassungsfeindlichkeit in den eigenen Reihen. Dass in der Bundespolizei viele Kolleg:innen die AfD wählen, sei für ihn "mit dem Diensteid schlicht nicht vereinbar". Dennoch fehle es oft an einem echten Problembewusstsein. "Dabei haben wir Polizisten doch geschworen, die Verfassung und das Recht zu verteidigen", mahnt er.
Dass ausgerechnet Heiko Teggatz, Chef der Bundespolizeigewerkschaft, nun vom Verfassungsschutz eine Überwachung der Grünen Jugend fordere, hält Labetzke für scheinheilig: "Zum Thema AfD-Verbot war von ihm noch nicht viel zu hören."
Labetzke spart nicht mit Kritik – an Nietzard, aber auch an ihren Gegnern: "Ich finde: Wie nun auf Jette Nietzard verbal draufgehauen wird, das geht zu weit." Er erwartet Selbstreflexion, sieht in der öffentlichen Empörung aber eine gefährliche Schieflage.
Selbst fühlt er sich durch die "ACAB"-Parole nicht persönlich angegriffen: "Mich kann man mit so einem Kram nicht beleidigen."
Während Labetzke versucht, zu vermitteln, ist die Parteispitze der Grünen auf Abstand gegangen. Parteichef Felix Banaszak sprach gegenüber der Tagesschau von einer "inakzeptablen" Aktion – eine Neubesetzung der Jugendspitze sei möglich. Diese müsse aber intern entschieden werden. Bundestagsabgeordneter Konstantin von Notz nannte den Spruch "unterirdisch". Parteikollegin Irene Mihalic, selbst frühere Polizistin, zeigte sich gegenüber dem Spiegel "persönlich tief getroffen".
Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz erklärte bei "t-online", viele Parteimitglieder seien es leid, die "Ausfälle" regelmäßig rechtfertigen zu müssen.
Labetzke kritisiert: "Warum muss Jette Nietzard mit so einem Pulli ausgerechnet in den Bundestag reinrennen? Das ist das Herz unserer Demokratie. Ein guter Ort, um sich respektvoll zu benehmen." Und er ergänzt: "Im Nachhinein gilt: Manchmal hilft es, sich aufrichtig zu entschuldigen."
In einem Podcast des Magazins "Stern" äußerte sich Jette Nietzard und bekräftigte ihre grundsätzliche Kritik: "Ich hasse natürlich nicht die Polizei als Ganzes, aber was ich hasse, ist das System dahinter und wie es gerade aufgebaut ist." Es fehle an struktureller Aufarbeitung von Gewalt und Rassismus innerhalb der Polizei.
Dabei räumte Jette Nietzard inzwischen Fehler ein. "Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg war, um auf die Probleme aufmerksam zu machen", sagte sie. Sie habe den Pulli als Privatperson getragen, sehe inzwischen aber, dass das so nicht funktionieren könne.