Die Rebellen in Syrien haben eigenen Angaben zufolge die Kontrolle über die Hauptstadt Damaskus übernommen und damit das Ende der mehr als zwei Jahrzehnte andauernden Herrschaft von Machthaber Baschar al-Assad eingeläutet. Assad verließ die Hauptstadt am frühen Morgen mit unbekanntem Ziel, wie die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf syrische Offiziere in Damaskus erfuhr. Das russische Außenministerium gab an, Assad habe das Land verlassen. Angaben zu seinem Aufenthaltsort machte Moskau allerdings nicht.
Die Aufständischen drangen derweil in Damaskus ein und verkündeten die Befreiung der Stadt von Assad. Dabei wurde eine Empfangshalle des Präsidentenpalastes in Brand gesetzt. Das berichtete ein vor Ort anwesender Reporter der Nachrichtenagentur AFP. Das Rebellenbündnis kündigte an, die Macht friedlich übernehmen zu wollen. Für Damaskus am Sonntag eine Ausgangssperre verhängt. Sie beginne um 16.00 Uhr Ortszeit (14.00 Uhr MEZ) und ende am Montagmorgen um 5.00 Uhr (3.00 Uhr MEZ), hieß es in einer auf Telegram veröffentlichten Mitteilung der Rebellen.
Am 27. November war der Bürgerkrieg in Syrien, der 2011 begonnen hatte, mit der Offensive der Islamisten-Allianz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) plötzlich wieder aufgeflammt. Innerhalb kurzer Zeit übernahmen die Aufständischen die Kontrolle über viele Orte, darunter Aleppo und Hama, weitgehend kampflos. Erst am Samstag hatten die Rebellen die strategisch wichtige Stadt Homs eingenommen. Verschiedene andere Rebellengruppen rückten zugleich von Süden aus Richtung Damaskus vor. Die Rebellen eint das Ziel, Assad stürzen zu wollen. Auch in Dair as-Saur im Nordosten melden die Aufständischen Gewinne.
Nach den Worten ihres Anführers Abu Mohammed al-Dschulani will das Rebellenbündnis die Macht friedlich übernehmen. Öffentliche Einrichtungen in Damaskus "werden bis zur offiziellen Übergabe unter Aufsicht des früheren Ministerpräsidenten bleiben", teilte Al-Dschulani in sozialen Medien mit. Militärischen Kräften sei es strikt verboten, sich diesen Einrichtungen zu nähern, auch Schüsse dürften nicht abgegeben werden.
Derweil teilte die staatliche Armee den Regierungssoldaten mit, Assads Regierungszeit sei beendet. Das Armee-Kommando habe die Soldaten damit außer Dienst gestellt, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus syrischen Militärkreisen. Die Soldaten sollten zu Hause bleiben und würden bei Bedarf wieder zum Dienst gerufen.
Nach der Flucht von Assad verkündete die Rebellen-Allianz dann auch den Sturz seiner Regierung. "Der Tyrann Baschar al-Assad ist geflohen", teilten die Aufständischen in sozialen Medien mit. "Wir verkünden, dass die Hauptstadt Damaskus (von ihm) befreit wurde." Der 8. Dezember markiere "das Ende dieser dunklen Ära" der Unterdrückung unter Assad und seinem Vater Hafis al-Assad, die das Land mehr als 50 Jahren regierten.
"Dies ist der Moment, auf den die Vertriebenen und die Häftlinge lang gewartet haben, der Moment der Heimkehr und der Moment von Freiheit nach Jahrzehnten der Unterdrückung und des Leids." Gerichtet an die Millionen Flüchtlinge, die durch den Bürgerkrieg vertrieben wurden, erklärten die Aufständischen: "An die Vertriebenen weltweit, ein freies Syrien erwartet euch."
Syriens Ministerpräsident Mohammed al-Dschalali blieb eigener Darstellung zufolge im Land und will bei einem Machtwechsel kooperieren. "Wir sind bereit, (die Macht) an die gewählte Führung zu übergeben", sagte Al-Dschalali in einer Videobotschaft, die er laut eigener Aussage in seinem Zuhause aufzeichnete. Über diese Führung müsse das Volk entscheiden. "Wir sind bereit, sogar mit der Opposition zusammenzuarbeiten."
Die Bürger rief er bei den laufenden Entwicklungen auf, zu kooperieren und kein öffentliches Eigentum zu beschädigen. Syrien könne ein "normaler Staat" sein mit freundschaftlichen Beziehungen mit seinen Nachbarn. Er selbst habe kein Interesse an irgendeinem politischen Amt oder anderen Privilegien. "Wir glauben, dass Syrien allen Syrern gehört."
Im Zentrum von Damaskus brach nach Assads Flucht Jubel aus. Anwohner klatschten dort auf der Straße und einige waren beim Gebet zu beobachten, wie Augenzeugen berichteten. In sozialen Netzwerken machten Videos von Anwohnern die Runde, die auf einen Panzer klettern und feierliche Gesänge anstimmen. Auch in der Metropole Istanbul in der benachbarten Türkei, wo mehr als drei Millionen Syrer leben, gab es Videos zufolge in der Nacht Jubel und Gesänge. Einige zündeten dort Feuerwerk.
Der führende Oppositionelle Hadi al-Bahra erklärte, Damaskus sei ohne Assad frei. Er gratulierte dem syrischen Volk und den Gefangenen, die nun freikämen.
Die Aufständischen hatten ihre Offensive auf Damaskus am frühen Sonntagmorgen gestartet. Ein dpa-Korrespondent vor Ort berichtete von lauten Explosionen und schwerem Maschinengewehrfeuer. Soldaten der Präsidentengarde verließen Augenzeugenberichten zufolge die Hauptstadt. Der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel-Rahman, sagte, das Sicherheitspersonal und die Armee hätten sich von dem Internationalen Flughafen Damaskus zurückgezogen. Die Rebellen drangen zudem eigenen Angaben zufolge in ein berüchtigtes Gefängnis ein und befreiten Häftlinge.
Bewohner in Damaskus fürchten sich Berichten zufolge vor einem Eintreffen der Rebellen. Viele Familien hätten bereits ihre Häuser verlassen und seien in den Libanon gereist, hieß es aus gut informierten Kreisen.
Zuvor hatten verschiedene Medien bereits berichtet, dass syrische Soldaten in Scharen das Land verlassen. Der Irak habe mehr als 1.000 Soldaten aus dem Nachbarland aufgenommen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur INA. Der katarische Nachrichtensender Al-Dschasira zitierte einen Sprecher der irakischen Regierung, wonach sogar bereits 2.000 syrische Soldaten mit voller Ausrüstung in den Irak gekommen seien.
Die Einnahme von Homs durch die Rebellen am Samstag galt als entscheidender Wendepunkt: Die drittgrößte Stadt Syriens befindet sich zwischen Aleppo im Norden und Damaskus im Süden. Zudem liegt sie an einer strategisch wichtigen Position zwischen den Hochburgen der Regierung von Assad an der Küste und Damaskus. An der Küste liegen mit Latakia und Tartus auch die Hochburgen der Regierungstruppen. Bei Tartus befindet sich zudem eine Basis der syrischen Marine, die auch einen Stützpunkt der russischen Armee beherbergt. Russland ist neben dem Iran engster staatlicher Verbündeter Assads.
Der Bürgerkrieg in Syrien hatte 2011 mit Protesten gegen die Regierung begonnen. Die Gewaltspirale mündete in einen Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung, in dem Russland, der Iran, die Türkei und die USA eigene Interessen verfolgen. Rund 14 Millionen Menschen wurden vertrieben. Nach UN-Schätzungen kamen bisher mehr als 300.000 Zivilisten ums Leben. Eine politische Lösung zeichnete sich bis zuletzt nicht ab.
Assad hatte vor mehr als zwei Jahrzehnten im Alter von 34 Jahren die Macht in Syrien übernommen, nachdem sein Vater Hafis al-Assad, der das Land jahrzehntelang autoritär regiert hatte, gestorben war. Zunächst weckte Assad, der in England studiert hatte, Hoffnungen auf einen neuen Kurs. Doch die anfängliche Euphorie des sogenannten "Damaszener Frühlings", der kurze Zeit offenere Diskussionen erlaubte, wich bald der Rückkehr autoritärer Repression.
Das Weiße Haus teilte mit, US-Präsident Joe Biden und sein Team beobachteten die außergewöhnlichen Ereignisse in Syrien genau und stünden in ständigem Kontakt mit den regionalen Partnern. Zuvor hatte der designierte US-Präsident Donald Trump klargemacht, er wolle nicht, dass sich die USA in irgendeiner Form in die Krise in Syrien einmischen.
(and/fas/dpa/afp)