Boris Johnson vergleicht sich gerne mit Winston Churchill. Das beginnt bei seinem Äußeren: wildes Haar, unsortierte Kleider, am liebsten kombiniert mit einem alten Fahrrad. Auch die Exzentrik darf bei Johnson nicht fehlen. Er sieht sich gerne als Außenseiter, der furchtlos unkonventionelle Meinungen vertritt.
Zu seiner Zeit als Bürgermeister von London hat die Exzentriknummer von Johnson prächtig funktioniert. Er war beliebt, nicht nur wegen der Olympischen Spiele, die ein großer Erfolg waren. Johnson war das Gegenprogramm zu den eher konventionellen konservativen Politiker. In Anlehnung eines legendären Werbespots galt er deshalb als "Heineken-Tory". Er erreichte in den Menschen Teile, die anderen Politikern verborgen bleiben.
Wie Churchill war Johnson vor seiner Politkarriere Journalist, und wie Churchill besitzt er die Fähigkeit, gelegentlich sehr treffende Sprüche abzusondern. So vergleicht er den Brexit von Theresa May neuerdings mit Toilettenpapier: weich und sehr lange.
Wie Churchill ist Johnson schließlich sehr ehrgeizig. Er will in die Downingstreet 10 einziehen. Dort wohnt der amtierende Premierminister, und dieses Amt strebt er an, koste es, was es wolle, auch wenn er scherzt: "Meine Chancen, Premierminister zu werden, sind etwa gleich groß, wie dass man Elvis auf dem Mars findet."
Nun wittert Johnson seine Chance. Premierministerin Theresa May hat endlich ihren Brexit-Plan vorgestellt, und für Johnson ist er – nun, Toilettenpapier. Deshalb ist er von seinem Amt als Außenminister zurückgetreten in der Hoffnung, die eh schon angeschlagene Premierministerin bald beerben zu können.
In seinem Kündigungsschreiben stellt Johnson fest, der Brexit-Traum werde "erstickt von unnötigen Selbstzweifeln". Was Theresa May nun vorhabe, sei, "einen Hundekegel polieren", lästert er.
Mithilfe der Hardliner bei den Konservativen will er die Premierministerin zu Fall bringen. Unterstützung erhält Johnson von David Davis, Minister und britischer Chefunterhändler in Brüssel. Er ist ebenfalls ein Brexit-Hardliner und ist auch von seinem Posten zurückgetreten. Wenn es den beiden gelingt, 48 konservative Parlamentarier hinter sich zu bringen, dann können sie ein Misstrauensvotum gegen die Premierministerin einreichen.
Um Theresa May zu stürzen, braucht es allerdings 149 Stimmen. Es ist fraglich, ob Johnson dazu in der Lage ist. Auch bei den Tories findet allmählich ein Umdenken statt. Der harte Brexit hat an Attraktivität eingebüßt, weil es Johnson & Co. bis heute nicht gelungen ist, einen vernünftigen Plan dazu aufzuzeigen. Die Tatsache, dass Airbus, Jaguar, Land Rover, Philips und andere Unternehmen öffentlich über die Verlagerung von Arbeitsplätzen in die EU nachdenken, hat das Vertrauen in einen harten Brexit ebenfalls nicht gestärkt.
Der Bluff von Johnson & Co. ist nicht aufgegangen. "Sie haben gedacht, Brüssel würde einknicken", stellt Robert Shrimsley in der "Financial Times" fest. "Sie haben sich politisch verhalten wie der Fußballverband, gesungen ‹football’s coming home› und sich dabei eingeredet, das sei ein Plan."
Winston Churchill war ein sehr mutiger, ja teilweise geradezu fahrlässiger Mann, der keiner Gefahr ausgewichen ist. Boris Johnson ist ein Feigling. Er hat in der Brexit-Kampagne unhaltbare Versprechen gemacht, beispielsweise die ominösen 350 Millionen Pfund, die jede Woche anstatt nach Brüssel in das britische Gesundheitswesen fließen sollten. Nach gewonnener Schlacht hat er sich jedoch hinter May versteckt und ist ins Außenministerium geflüchtet.
Churchill hat auch in ganz anderen historischen Umständen gehandelt. Den Briten im Kampf gegen Hitler bloß "Blut, Schweiß und Tränen" zu versprechen und zu schwören "Wir werden an den Stränden kämpfen", war damals ein berechtigter Aufruf zu einem heldenhaften Kampf.
Das Pathos von Boris Johnson hingegen verfehlt seine Wirkung. In der heutigen Zeit zu jammern, Großbritannien"sei im Begriff, eine Kolonie der EU" zu werden, ist bloß eines: lächerlich.