Die Lage im Osten der Ukraine spitzt sich zu. Nach einem vermeintlichen Rotationsfehler ist es den russischen Truppen gelungen, innerhalb weniger Tage mehrere Ortschaften rund um Awdijiwka einzunehmen. Möglich wurde das wohl durch Patzer des ukrainischen Militärs: Mutmaßlich hatte die Ablösung einer Kompanie an der Front nicht geklappt.
Auch in Charkiw spitzt sich die Situation offenbar weiter zu, gerade haben die Angreifer dort das erste Dorf seit Monaten eingenommen. Russland macht Druck, davon gehen zumindest Expert:innen aus. Der angenommene Grund: baldige Waffenlieferungen an die Ukraine und das Go der USA in Sachen Ukraine-Hilfe.
Mutmaßlich dürften aber Waffen, Munition und Geld lange nicht alle Probleme der Ukraine lösen. Denn laut Informationen der "Bild" fehlt es auch an ausgebildeten Soldat:innen an der Front. In den vergangenen Monaten hat die ukrainische Staatsführung um Präsident Wolodymyr Selenskyj immer wieder die Forderung geäußert, dass ins Ausland ausgereiste Männer im wehrfähigen Alter zurückkommen sollten.
Bislang seien dem ukrainischen Militär gerade einmal 15 Prozent der Männer im wehrfähigen Alter beigetreten, heißt es in dem Bericht weiter.
Die dünne Personaldecke könnte für die Ukraine bald zum großen Problem werden. Die "Bild" zitiert Dmytro Kukharchuk, Kommandeur in der 3. Separaten Brigade:
Andere bemängeln auf X lautstark, dass nun zwar der Westen endlich Waffen liefere, Selenskyj aber die Generalmobilmachung zu lange herausgezögert habe. Es sei niemand da, der die gelieferten Waffen bedienen könne. Der Account "Kriegsforscher", der laut Selbstauskunft in der ukrainischen Armee dient, schreibt auf X:
Es gebe schlicht zu wenig Personal, um die russische Übermacht aufzuhalten, ist er sicher. Schuld an dieser Unterlegenheit der Ukraine habe nicht der Westen, nicht die verzögerten Waffenlieferungen, sondern die ukrainische Kriegsführung.
Kritik an der späten Mobilmachung Selenskyjs gibt es auch aus Deutschland. So erklärte etwa CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter auf "Bild"-Nachfrage:
Es sei die Aufgabe des Präsidenten, eine Mobilisierungsstrategie zu etablieren, die zur Planbarkeit und Beibehaltung des Kampfwertes führt. Daran fehle es aktuell, meint der CDU-Mann. Stattdessen seien die besten Soldat:innen mittlerweile gefallen, verletzt oder so erschöpft, dass sie nicht mehr richtig kämpfen können.
Aber auch der aktuelle russische Erfolg kommt nicht ohne hohe Verluste daher. Zwar halten sich sowohl der Kreml als auch die Ukraine über genaue Todeszahlen in ihren eigenen Reihen bedeckt – der ukrainische Generalstab veröffentlicht jedoch täglich Daten zu russischen Gefallenen-Zahlen. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Zahlen allerdings nicht.
Laut eines Berichtes der "Frankfurter Rundschau" sollen demnach allein in den vergangenen 24 Stunden etwa 1250 russische Soldaten gefallen oder schwer verwundet worden sein. Die Zahl der Opfer beläuft sich nach ukrainischen Hochrechnungen seit Beginn der Invasion auf 468.720.
Nato-Chef Jens Stoltenberg geht davon aus, dass Russland einen extrem hohen Preis für den Überfall auf die Ukraine zahlt. Westliche Geheimdienste gehen davon aus, dass die Marke von 350.000 gefallenen Soldaten überschritten ist.