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Iran zwischen Gewalt und Wut: Bevölkerung sauer auf Israel, USA und Merz

Protest in Tehran against Israel and United TEHRAN, IRAN - APRIL 11: Protesters wave Palestinian and Iranian flags and chant slogans against Israel and the United States during a demonstration after F ...
Der Antiamerikanismus in der iranischen Bevölkerung wächst.Bild: imago images / anadolu Agency / Anadolu Fatemeh Bahrami
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Iran: Rekorde bei Hinrichtungen – bricht die Bevölkerung mit dem Westen?

Nach den Angriffen Israels und der USA im Juni hat es im Iran eine Welle an Hinrichtungen gegeben, die selbst für den Nahost-Staat beispiellos ist. Woran das liegt und wie die Angriffe auch dem Vertrauen der Bevölkerung in den Westen geschadet haben, hat Iran-Expertin Diba Mirzaei watson erklärt.
26.09.2025, 07:5226.09.2025, 07:52

Gottesstaat, Willkürstaat, Unrechtsstaat: Der Iran, die selbst ernannte Islamische Republik, ist dafür bekannt, seiner Bevölkerung seit Jahrzehnten keine Freiheit zu gewähren, für Waffenproduktion und Kriege wachsende Armut in Kauf zu nehmen und mit aller Härte gegen Regimegegner:innen vorzugehen.

Neben anderen harten Strafen sind auch Hinrichtungen im Iran geläufig, sogar an der Tagesordnung. Dennoch alarmierten zuletzt aktuelle Zahlen: Die NGO Iran Human Rights gab am Dienstag bekannt, dass 2025 bisher mindestens 1000 Menschen im Iran hingerichtet wurden.

Damit wurde die Anzahl von mindestens 975 Hinrichtungen aus 2024, die laut der Deutschen Welle bereits einen Höchststand der vergangenen 20 Jahre darstellte, schon im September geknackt.

Doch wie ist dieser traurige Rekord zu erklären und wie stabil ist das Regime in Teheran derzeit? Das hat Politologin Diba Mirzaei vom Hamburger Giga-Institut gegenüber watson erklärt.

Iran-Regime hetzt gegen "Spione" der USA und Israels

Im Juni 2025 griffen Israel und die USA mit intensiven Luftangriffen, größtenteils auf Militärstützpunkte, den Iran an. Zwar rechtfertigten sich beide Länder damals unter anderem mit dem Ausbau des iranischen Atomprogramms und der Gefahr iranischer Atomwaffen. Israel wollte sich gegen seinen Erzfeind verteidigen, die USA und andere westliche Partner unterstützten das Vorhaben. Auch der iranischen Bevölkerung solle damit geholfen werden, erklärten manche.

Doch das iranische Regime reagierte nach innen, wie es in Krisenzeiten immer reagiert: mit Repressionen.

Iran-Expertin Diba Mirzaei weist darauf hin, dass so auch der ungewöhnliche Peak an Hinrichtungen im Iran zu erklären ist, auch wenn die Anzahl bereits seit Jahren steigt.

Die meisten Hinrichtungen würden seitdem vor allem an ethnischen Minderheiten durchgeführt werden, welche das iranische Regime öffentlich als Sympathisant:innen oder gar Spione Israels oder der USA brandmarkt.

Dieses Narrativ, obwohl es vom unbeliebten Mullah-Regime kam, sei nach den Angriffen auch in der Bevölkerung verfangen: "Wenn ihr mit westlichen, ausländischen Aggressoren kollaboriert, dann ist das euer Schicksal", so würden laut Mirzaei viele Iraner:innen denken. Dennoch habe der Großteil der Bevölkerung nicht aktiv Hinrichtungen gefordert, es habe jedoch eine Stimmung für ein härteres Vorgehen gegeben.

Das harte Vorgehen der Mullahs machte sich nicht nur in den Hinrichtungen bemerkbar, auch nahm die Polizei nach dem sogenannten 12-Tage-Krieg gegen Israel 21.000 Menschen unter Spionageverdacht fest.

Der Hass richtete sich Mirzaei zufolge neben anderen ethnischen Minderheiten vor allem gegen Afghan:innen im Iran, die der ausländischen Spionage verdächtigt wurden. Auch für die prekäre wirtschaftliche Lage im Iran machten die Mullahs sie laut Mirzaei verantwortlich. Über eine Million Afghan:innen wurden daher aus dem Land abgeschoben.

Auch hierbei hatte das Regime wohl leichtes Spiel, Mirzaei spricht von einem "weitverbreiteten Rassismus" gegen Afghan:innen im Iran.

Doch obwohl das Regime in dieser Sache die Bevölkerung auf seiner Seite haben mag, erinnert Mirzaei auch daran, dass die nächste Protestwelle nicht weit sein könnte.

Ira: Nächste Protestwelle wohl nur Frage der Zeit

Derzeit sei es im Iran aus Sicht der Regierung zwar "ruhig und stabil", größere Protestbewegungen blieben aus. Dennoch gebe es weiterhin "so viele Probleme" im Iran, erklärt Mirzaei: Die Wirtschaft sei in der Krise, es habe in den vergangenen Monaten eine massive Wasserknappheit durch historische Dürren gegeben. Auch Stromausfälle hätten in diesem Jahr ein Rekordniveau erreicht.

Mirzaei mahnt, man solle "niemals" unterschätzen, wie nah die nächste Protestwelle im Iran sein kann. Das Potenzial, das in der Unzufriedenheit der Bevölkerung liege, müsse lediglich neu angefacht werden: "Wann kommt die nächste große Krise?", sei die Frage.

Mirzaei weist jedoch auf einen großen Unterschied zu den vergangenen Jahren hin, etwa den beispiellosen Protesten 2022 bis 2023 nach der Ermordung von Jina Mahsa Amini durch die Polizei:

"Die Menschen schauen nicht mehr Richtung USA, um Unterstützung zu erhalten. Sie sehen den Westen nicht mehr als Retter des iranischen Volkes."

Es habe sich eine "gewisse Kluft" zwischen der iranischen Bevölkerung und den westlichen Staaten seit dem Krieg mit Israel und den USA gebildet. Vertrauen sei verloren gegangen, das sei auch mit der Unterstützung einiger Staaten für die völkerrechtswidrigen Angriffe Israels und der USA im Iran zu erklären – und mit Aussagen wie der des deutschen Kanzlers Friedrich Merz.

Merz-Aussage weckt Misstrauen im Iran

"Wenn Merz sagt, 'Israel macht für uns die Drecksarbeit', kommt das auch bei den Menschen im Iran an", stellt Mirzaei klar. Viele würden sich dann fragen: "Wieso sollte man sich auf einen Staat wie Deutschland verlassen können?"

Auch die Annahme einiger Beobachter:innen im Westen, dass die Angriffe Israels und der USA dem Regime im Iran geschadet und den Menschen daher geholfen hätten, sei falsch. "Der wirtschaftliche Schaden, die bei den Angriffen auch zerstörten zivilen Einrichtungen, das alles erst mal aufzuarbeiten mit geringen Mitteln, hat den Menschen nicht in die Hände gespielt", erklärt Mirzaei.

Es bleibt einmal mehr abzuwarten, ob und wann die iranische Bevölkerung sich ob der vielen Probleme im Land das nächste Mal gegen das Regime auflehnt – und es möglicherweise zu Fall bringt. Der Westen, so scheint es, ist dabei derzeit keine große Hilfe.

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