Gegen den früheren US-Präsidenten Donald Trump laufen diverse Gerichtsprozesse. Wegen eines Urteils in einem Betrugsprozess ist Trump mittlerweile zu Strafzahlungen von einer halben Milliarde Dollar verpflichtet. Auch die Rolle des Spitzenkandidaten der Republikaner beim Sturm aufs Kapitol muss noch durch Gerichte geklärt werden.
Trump spricht währenddessen von politischer Verfolgung. Von Hexenjagden. Davon, dass er der Alexej Nawalny der USA sei. Zur Erinnerung: Der berühmte russische Oppositionelle starb in Isolationshaft in Sibirien unter noch ungeklärten Umständen. Doch Trumps Anhängerschaft glaubt ihm – die Konsequenzen sind fatal. Richter:innen in den USA fühlen sich in Teilen nicht mehr sicher und berichten sogar von Morddrohungen.
So berichtet etwa der US-Bezirksrichter Royce Lamberth gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass er nicht habe glauben können, wie viele Morddrohungen er erhalte. Lamberth verhandelt Fälle von jenen, die am 6. Januar 2021 das US-Kapitol gestürmt hatten.
Lamberth sei daraufhin nicht nur auf Trump-freundlichen Websites und Social Media bedroht und beschimpft worden, auch seine private Telefonnummer kam an die Öffentlichkeit. Ein Mann habe den Richter daraufhin immer wieder angerufen und wiederholt gedroht, ihn zu ermorden.
Für die Recherche zur Bedrohungslage von Richter:innen, Staatsanwalt:innen und Gerichtspersonal hat Reuters Bedrohungsdaten, die von den US-Marshals zusammengetragen wurden, analysiert. Zudem seien rechtsgerichtete Foren durchkämmt und Interviews mit Betroffenen geführt worden.
Demnach habe sich die durchschnittliche Anzahl der Drohungen gegen die Justiz seit Trumps erster Kandidatur mehr als verdreifacht. So sei der Jahresdurchschnitt von 1180 Fällen in den zehn Jahren vor Trumps Wahlkampf auf 3810 Jahren in den sieben Jahren seit seiner ersten Kandidatur gestiegen.
Insgesamt hätten die Marshals demnach zwischen Herbst 2015 und Herbst 2022 knapp 27.000 Droh- und Belästigungsmitteilungen gegen Gerichte dokumentiert. In der Geschichte der USA sei das beispiellos. Reuters räumt allerdings ein, dass es keine nationale Datenerhebung bezüglich dieser Bedrohungen gebe – in vielen Staaten würde das nicht verfolgt.
Seit sich Trumps Aussagen mit seiner Abwahl 2020 drastisch verschärft haben, hätten sich die ernsthaften Drohungen noch einmal mehr als verdoppelt. Reuters zitiert die pensionierte Oberste Richterin am Obersten Gerichtshof von Ohio, Maureen O'Connor, die im Interview erklärte: "Donald Trump hat die Bühne bereitet." Trump habe "durch seine Handlungen und Worte anderen die Erlaubnis gegeben, über Richter zu sprechen und nicht nur ihre Entscheidungen zu kritisieren, sondern sie und die gesamte Judikative zu verunglimpfen."
Trotz der Zunahme der Drohungen seien Verhaftungen selten. Laut der Reuters-Recherche sollen seit 2020 57 Strafverfolgungen wegen Drohungen gegen Richter:innen eingeleitet worden sein. Im Fall des Richters Lamberth aus Washington sei der Drohanrufer gefunden und ermahnt worden. Eine Verhaftung sei nicht erfolgt, dafür sei das Sicherheitssystem des Richter-Hauses aufgestockt worden. Die Anrufe hätten aufgehört – Richter Lamberth hat trotzdem Angst, wie er im Gespräch mit Reuters erklärt.
Auch vor Trump sei die Justiz auf Drohungen vorbereitet gewesen. Damals aber habe es sich primär um einzelne Akteur:innen gehandelt, um Kriminelle oder deren Ehepartner:innen. Das habe sich geändert: Nun würde ein politisch brisanter Fall hunderte von Drohungen hervorrufen.
Viele der Drohungen, die Reuters analysiert hat, spiegeln wohl Äußerungen wider, die Trump auf Social Media getätigt hatte. Die Richter:innen würden dabei als "total voreingenommen", "korrupt", "parteiisch" und "feindselig" bezeichnet. Gefordert werde in diesem Zusammenhang etwa, Richter:innen wegen "Hochverrat" zu hängen. Auf allen Ebenen des US-Rechtssystems hätten sich demnach Richter:innen alarmiert gezeigt: Die Flut von Drohungen gefährde die richterliche Unabhängigkeit – und damit die demokratische Verfassung der USA.