International
14.08.2018, 06:2814.08.2018, 07:14
Patrick Diekmann
Die Lira stürzt ab, immer mehr Türken haben darunter zu leiden. Präsident Erdogan wettert gegen einen "feigen Angriff" von außen – aber die Krise zeigt: Seine Macht endet beim Geldbeutel der Bürger.
Recep Tayyip Erdogan steht auf einer Bühne in Trabzon und lässt sich von
seinen Anhängern feiern. Gerade hat er in einer Rede zum Angriff
geblasen – zwar ohne die USA und Donald Trump direkt zu erwähnen, aber
wer gemeint war, das hat seine Gefolgschaft auch so verstanden. Der
rasante Absturz der türkischen Lira? Ein "heimtückisches Komplott aus
dem Ausland!"
An Trumps Adresse ruft er:
"Ihr versucht 81 Millionen Türken für einen Pastor zu
opfern, der Verbindungen zu Terroristen hat."
"Aber wir haben euren Plot durchschaut und fordern euch heraus. Wir
werden diesen Wirtschaftskrieg gewinnen!"
Auf der Bühne gibt Erdogan den Kämpfer, das gefällt offenbar der
Mehrheit seiner Anhänger.
- Aber auf immer mehr Beobachter wirkt sein
martialisches Auftreten wie eine Fassade.
- Die aktuelle Währungskrise
schwächt die türkische Wirtschaft massiv.
- Setzt sich der Abwärtstrend
der Lira fort, wird die Lage für den türkischen Präsidenten gefährlich. Denn seine Macht endet an der Brieftasche der Bürger.
Die Türkei rutscht immer tiefer in die Krise, der von Erdogan
prophezeite "Sieg" ist nicht in Sicht. Wirtschafts- und Finanzexperten
betrachten die Entwicklung mit Sorge: "Wir müssen uns massiv Sorgen
machen", sagt Clemens Fuest, Chef des ifo-Wirtschaftsinstituts. Die
Situation sei hoch gefährlich. "Es handelt sich um eine klassische
Wirtschafts- und Währungskrise."
Von Problemen der türkischen Wirtschaft will Erdogan jedoch nichts
wissen.
In seiner Ansprache rief er:
"Das ist keine Wirtschaft, die bankrott geht, die untergeht oder
die durch eine Krise geht."
Gerade mal
einen Tag später stürzte die Lira weiter ab. Erstmals mussten mehr als
sieben Lira für einen US-Dollar und mehr als acht Lira für einen Euro
gezahlt werden.
Kredite aus dem Ausland
Der Währungsverfall trifft Bürger und Unternehmen in der Türkei
gleichermaßen hart.
- Die Armen werden noch ärmer, weil die Preise an den
Kassen von Supermärkten und Einzelhandel teurer werden.
- Aber auch Reiche
und Unternehmen werden nicht verschont, weil viele ihr Leben oder ihre
Firma auf Pump finanziert haben, mit Krediten aus dem Ausland in Dollar
oder Euro. Diese Kredite werden nun unbezahlbar teuer.
Das
Leistungsbilanzdefizit – die Türkei importiert mehr, als sie sich
leisten kann – macht das Land angreifbar.
Dies nutzt ausgerechnet der Nato-Verbündete USA aus. Trump sorgt mit den
Sanktionen auf Stahl und Aluminium für einen weiteren Lira-Sturzflug.
Lest hier noch einmal die Hintergründe:
"Sie haben ihrem Nato-Partner in den Rücken und die Füße geschossen",
schimpfte der türkische Präsident. Mitverantwortung für die Krise
bestreitet er gänzlich.
Dabei gab es allein im vergangenen Jahr zahlreiche Uneinigkeiten mit den
USA:
- Erdogan bekämpft in Syrien die kurdischen Milizen, die die
US-Streifkräfte im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) unterstützen.
- Neben dem US-Pastor Andrew Brunson, der in der Türkei wegen
Terrorvorwürfen im Gefängnis sitzt, sind noch 19 weitere US-Bürger in
türkischer Haft.
- Im Streit um Brunson pokerte Erdogan hoch und verlangte
von den USA im Gegenzug die Auslieferung seines verhassten Rivalen, des
Predigers Fethullah Gülen. Doch er verzockte sich. Trump reagierte, wie
er so oft reagiert: mit Härte. Mit Sanktionen.
Dankbarkeit der Bevölkerung
Seither versucht Erdogan, Trump die Verantwortung für die Krise
zuzuschieben. Doch die Instabilität der türkischen Wirtschaft ist
größtenteils hausgemacht.
Zu Beginn seiner Regierungszeit stand Erdogan
für politische Stabilität. Er hatte im Jahr 2001 ein Land übernommen,
das fast pleite war, mit hoher Arbeitslosigkeit und einer Inflation von
40 Prozent. Er sorgte für Wohlstand, was ihm die Loyalität der
Bevölkerung einbrachte.
Bis heute verdreifachte sich unter seiner
Führung das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen. "Er zehrt von der
damaligen Dankbarkeit der Bevölkerung und der Freude in- und
ausländischer Business-Kreise über die Stabilität der Wirtschaft",
schreibt der Journalist Can Dündar in seiner Kolumne für "Zeit Online".
Eine positive wirtschaftliche Entwicklung, steigende Einkommen und
Renten waren das Fundament für Erdogans politische Erfolge. Doch diese
Erfolge, die ihm die Gefolgschaft vieler Menschen sicherten, werden
immer schaler.
- Bei einer Inflation von gegenwärtig 15 Prozent raten
Finanzexperten dazu, die Zinsen zu erhöhen.
- Erdogan lehnt dies bis heute
ab, weil höhere Zinsen wohl das Wachstum drosseln würden.
- Im neuen
Präsidialsystem duldet er zudem keinen Widerspruch, was Zweifel an der
Unabhängigkeit der türkischen Notenbank weckt.
Erdogans Machtfülle lässt ausländische Investoren eine Einmischung des
türkischen Präsidenten in die Wirtschaft vermuten – in der Folge kommt
weniger Kapital ins Land.
Nun sinkt das Pro-Kopf-Einkommen in der Türkei, und der Mann, der sich
so gern als visionärer Staatenlenker inszeniert, wirkt zwar laut, aber
ratlos.
In einem wirtschaftlichen Konflikt sitzt Donald Trump am längeren Hebel.
Erdogan appellierte vergeblich an seine Bevölkerung, ausländische
Währungen in Lira umzutauschen. Man kann das durchaus als
Misstrauensvotum der Menschen werten. Auch die "Aktionspläne" seines
Finanzministers und Schwiegersohns Berat Albayrak sowie die Maßnahmen
der Notenbank fruchteten bislang nicht.
"Lira wird weiter Wert verlieren"
Eine Revolte droht Erdogan bisher nicht, dafür ist seine Macht zu groß.
Er hält die Medien unter Kontrolle, lässt Kritiker einsperren. So wird
gegen 346 Inhaber von Twitter-Konten ermittelt: Erdogan nannte sie
"Wirtschaftsterroristen". Sie hätten "Verrat" begangen, indem sie durch
Berichte oder Kommentare die Aufwertung des Dollars gegenüber der Lira
unterstützt hätten. Absurd. Finanzhilfen, etwa durch den Internationalen
Währungsfonds (IWF) lehnt Erdogan bislang ab.
Doch die Kritik wird lauter. Türkische Unternehmen fordern ein Einlenken
des Präsidenten, Analysten kritisieren seinen Finanzminister. Sollte
sich die Lira nicht bald erholen und die Bevölkerung weiter unter den
Sanktionen leiden, wird die Krise zu Erdogans politischem
Überlebenskampf. Der mächtige Präsident, der öffentlich so gern über
Verschwörungen räsoniert, sieht zum ersten Mal in seiner politischen
Laufbahn hilflos aus.
"Die Lira wird weiter an Wert verlieren", prophezeit Alexander
Kriwoluzky, Ökonom des Deutschen Institus für Wirtschaftsforschung
(DIW). Das klingt nicht gut für stolzen Mann vom Bosporus.
Dieser Artikel erschien zuerst bei t-online.
Anfang des Jahres führte Günther Felßner noch als Vorsitzender des Bayerischen Bauernverbands die Proteste der Landwirte gegen die Ampel-Regierung in Berlin an. Mit gelber Warnweste stand er an der Spitze von Traktor-Kolonnen und protestierte unter anderem gegen die Politik von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne).