Die Lira stürzt ab, immer mehr Türken haben darunter zu leiden. Präsident Erdogan wettert gegen einen "feigen Angriff" von außen – aber die Krise zeigt: Seine Macht endet beim Geldbeutel der Bürger.
Recep Tayyip Erdogan steht auf einer Bühne in Trabzon und lässt sich von seinen Anhängern feiern. Gerade hat er in einer Rede zum Angriff geblasen – zwar ohne die USA und Donald Trump direkt zu erwähnen, aber wer gemeint war, das hat seine Gefolgschaft auch so verstanden. Der rasante Absturz der türkischen Lira? Ein "heimtückisches Komplott aus dem Ausland!"
"Aber wir haben euren Plot durchschaut und fordern euch heraus. Wir werden diesen Wirtschaftskrieg gewinnen!"
Auf der Bühne gibt Erdogan den Kämpfer, das gefällt offenbar der Mehrheit seiner Anhänger.
Die Türkei rutscht immer tiefer in die Krise, der von Erdogan prophezeite "Sieg" ist nicht in Sicht. Wirtschafts- und Finanzexperten betrachten die Entwicklung mit Sorge: "Wir müssen uns massiv Sorgen machen", sagt Clemens Fuest, Chef des ifo-Wirtschaftsinstituts. Die Situation sei hoch gefährlich. "Es handelt sich um eine klassische Wirtschafts- und Währungskrise."
Von Problemen der türkischen Wirtschaft will Erdogan jedoch nichts wissen.
Gerade mal einen Tag später stürzte die Lira weiter ab. Erstmals mussten mehr als sieben Lira für einen US-Dollar und mehr als acht Lira für einen Euro gezahlt werden.
Der Währungsverfall trifft Bürger und Unternehmen in der Türkei gleichermaßen hart.
Das Leistungsbilanzdefizit – die Türkei importiert mehr, als sie sich leisten kann – macht das Land angreifbar.
Dies nutzt ausgerechnet der Nato-Verbündete USA aus. Trump sorgt mit den Sanktionen auf Stahl und Aluminium für einen weiteren Lira-Sturzflug.
"Sie haben ihrem Nato-Partner in den Rücken und die Füße geschossen", schimpfte der türkische Präsident. Mitverantwortung für die Krise bestreitet er gänzlich.
Dabei gab es allein im vergangenen Jahr zahlreiche Uneinigkeiten mit den USA:
Seither versucht Erdogan, Trump die Verantwortung für die Krise zuzuschieben. Doch die Instabilität der türkischen Wirtschaft ist größtenteils hausgemacht.
Zu Beginn seiner Regierungszeit stand Erdogan für politische Stabilität. Er hatte im Jahr 2001 ein Land übernommen, das fast pleite war, mit hoher Arbeitslosigkeit und einer Inflation von 40 Prozent. Er sorgte für Wohlstand, was ihm die Loyalität der Bevölkerung einbrachte.
Bis heute verdreifachte sich unter seiner Führung das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen. "Er zehrt von der damaligen Dankbarkeit der Bevölkerung und der Freude in- und ausländischer Business-Kreise über die Stabilität der Wirtschaft", schreibt der Journalist Can Dündar in seiner Kolumne für "Zeit Online".
Eine positive wirtschaftliche Entwicklung, steigende Einkommen und Renten waren das Fundament für Erdogans politische Erfolge. Doch diese Erfolge, die ihm die Gefolgschaft vieler Menschen sicherten, werden immer schaler.
Erdogans Machtfülle lässt ausländische Investoren eine Einmischung des türkischen Präsidenten in die Wirtschaft vermuten – in der Folge kommt weniger Kapital ins Land.
Nun sinkt das Pro-Kopf-Einkommen in der Türkei, und der Mann, der sich so gern als visionärer Staatenlenker inszeniert, wirkt zwar laut, aber ratlos.
In einem wirtschaftlichen Konflikt sitzt Donald Trump am längeren Hebel. Erdogan appellierte vergeblich an seine Bevölkerung, ausländische Währungen in Lira umzutauschen. Man kann das durchaus als Misstrauensvotum der Menschen werten. Auch die "Aktionspläne" seines Finanzministers und Schwiegersohns Berat Albayrak sowie die Maßnahmen der Notenbank fruchteten bislang nicht.
Eine Revolte droht Erdogan bisher nicht, dafür ist seine Macht zu groß. Er hält die Medien unter Kontrolle, lässt Kritiker einsperren. So wird gegen 346 Inhaber von Twitter-Konten ermittelt: Erdogan nannte sie "Wirtschaftsterroristen". Sie hätten "Verrat" begangen, indem sie durch Berichte oder Kommentare die Aufwertung des Dollars gegenüber der Lira unterstützt hätten. Absurd. Finanzhilfen, etwa durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) lehnt Erdogan bislang ab.
Doch die Kritik wird lauter. Türkische Unternehmen fordern ein Einlenken des Präsidenten, Analysten kritisieren seinen Finanzminister. Sollte sich die Lira nicht bald erholen und die Bevölkerung weiter unter den Sanktionen leiden, wird die Krise zu Erdogans politischem Überlebenskampf. Der mächtige Präsident, der öffentlich so gern über Verschwörungen räsoniert, sieht zum ersten Mal in seiner politischen Laufbahn hilflos aus.
"Die Lira wird weiter an Wert verlieren", prophezeit Alexander Kriwoluzky, Ökonom des Deutschen Institus für Wirtschaftsforschung (DIW). Das klingt nicht gut für stolzen Mann vom Bosporus.
Dieser Artikel erschien zuerst bei t-online.