Wie es ist, aus dem Gefängnis heraus Wahlkampf in der Türkei zu machen
Selahattin Demirtaş ist – neben Recep Tayyip Erdoğan – einer der sechs Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen in der Türkei am kommenden Sonntag 24. Juni.
Er tritt für die prokurdische HDP (Halkların Demokratik Partisi, zu deutsch: "Demokratische Partei der Völker") an.
Aber seit November 2016, nach dem Putschversuch im Sommer 2016, sitzt der 45-Jährige in Edirne, im Westen des Landes, in einem Hochsicherheitsgefängnis.
Ihm wird von Erdoğan „Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation (PKK)“ vorgeworfen. Seine Immunität als Politiker wurde bereits im Mai 2016 aufgehoben.
Selahattin Demirtaş hat nun ein Essay für die New York Times geschrieben, in dem er von seinen Erfahrungen berichtet und beschreibt, wie es ist von einer Gefängniszelle aus Wahlkampf zu betreiben.
Den gesamten Text gibt es hier in englischer Fassung zu lesen.
Warum er glaubt, in Edirne inhaftiert zu sein:
Demirtaş sitzt in Edirne, der am westlichsten gelegenen Stadt, ein. Seine Familie und Freunde leben noch im Südosten des Landes. Der Politiker selbst kommt aus der Stadt Palu. Er sagt:
Demirtaş verschickt von seiner Zelle aus Sprachnachrichten an Wähler
Wie er seine Haft einschätzt:
Das Recht auf freie Meinungsäußerung, sagt Demirtaş, sei beiseite gestellt worden, die Zahl der gewöhnlichen Bürger, die festgenommen werden, wachse Tag für Tag.
Er sagt:
Die Regierung habe gegen ihn bisher 102 Untersuchungen initiiert und 34 einzelne Gerichtsdokumente eingereicht. Wenn sie Erfolg habe, so Demirtaş, würden ihm 183 Jahre im Gefängnis bevorstehen.
Wie die anderen Kandidaten zu seiner Haft stehen:
Demirtaş beschreibt, wie die anderen Kandidaten der Wahl zu seiner Haft stehen:
Die Vorwürfe gegen ihn, schreibt Demirtaş, seien ausschließlich gespeist aus politischen Reden und Statements.
Wie er Wahlkampf aus der Gefängniszelle betreibt:
Wähler durch die dicken Mauern eines Gefängnis zu erreichen, ist keine einfache Angelegenheit.
Sein Twitter-Account, schreibt Demirtaş weiter, sei lange inaktiv gewesen. Als dann im September 2017 wieder Tweets erschienen, stürmten Gefängsniswärter seine Zelle, und durchsuchten diese auf "ziemlich invasive" Art und Weise.
Als Demirtaş die Gefängnismitarbeiter gefragt habe, wonach sie suchten, erwiderten diese, sie suchen nach der Quelle seiner Tweets. Aber das einzige, was sich in seiner Zelle befand, erinnert sich Demirtaş, war ein Wasserkocher, mit dem er Tee kochte.
Trotz der Absurdität des Vorfalls, schreibt der HDP-Kandidat weiter, sah er eine "unbeschreibliche Angst, die autoritäre Staatsoberhäupter umgebe", sobald sie mit Kontrahenten konfrontiert werden, die "trotz Verfolgung durchhalten".
Demirtaş fragt sich demnach:
Erdoğan und die regierende AKP würden den wieder verlängerten Ausnahmezustand und andere "hinterhältige" Maßnahmen nutzen, um sicherzustellen, dass die HDP die 10-Prozent-Hürde ins Parlament nicht schaffe.
Tausende von Wahllokalen seien in den Südosten der kurdischen Region versetzt worden, die für Menschen, die auf dem Land leben viel schwerer zu erreichen seien. Außerdem, sagt Demirtaş, sei das Sicherheitspersonal aufgestockt und an den Wahllokalen platziert worden. Das könne Wähler einschüchtern.
Wie er die Wahl und die Rolle der kurdischen Wähler einschätzt
Die kommenden Wahlen würden die Zukunft der Türkei bestimmen, sagt der HDP-Kandidat. Es sei statistisch gesehen unwahrscheinlich, dass ein Kandidat, der die Unterstützung der kurdischen Bevölkerung meidet oder unterdrückt – was ungefähr ein Fünftel der 81 Millionen Menschen ausmache – und seine Forderungen für Frieden gewinnen können.
Demirtaş schreibt, dass die Türkei nun verstehe, dass das "kollektive Bestrafen der Kurden der südöstlichen Peripherie die Freiheit und demokratische Kultur des ganzen Landes beeinflusst".