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Geisel-Abkommen Israel: Nahost-Expertin sagt, wie realistisch das ist

Families and friends of about 240 hostages held by Hamas in Gaza call for Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu to bring them home during a demonstration in Tel Aviv, Israel Tuesday, Nov. 21, 2023 ...
Aufnahme einer Demonstration in Tel Aviv, bei der für die Freilassung von Hamas-Geiseln protestiert wird.Bild: AP / Ariel Schalit
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Nahost-Expertin zum Geisel-Abkommen: "Hamas verfolgt eine geopolitische Strategie"

Sowohl Israel als auch die Hamas haben einem Austausch von israelischen Geiseln mit palästinensischen Gefangenen zugestimmt. Nahost-Expertin Margret Johannsen sagt, wie realistisch es ist, dass dieser Deal wirklich umgesetzt wird.
23.11.2023, 14:04
Aylin Erol / watson.ch
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Die Hamas und Israel haben sich auf einen Deal geeinigt. Ursprünglich ab Donnerstag, nun frühestens ab Freitag, soll schrittweise ein Austausch israelischer Geiseln mit palästinensischen Gefangenen erfolgen. Gleichzeitig soll es vorübergehend zu einer Feuerpause kommen. Wie realistisch glauben Sie, ist es, dass dieser Austausch wirklich durchgeführt wird?

Margret Johannsen: Der Austausch erfolgt ja schrittweise. Ich glaube schon, dass dadurch wenigstens ein paar Geiseln freikommen können. Ob der Austausch allerdings zu Ende geführt werden kann, so wie die Kriegsparteien das abgemacht haben, ist schwer zu sagen.

Es kommt immer darauf an, welche Entscheidungen die Köpfe hinter diesem Konflikt, also Premierminister Benjamin Netanjahu und die Hamas-Anführer in Katar, treffen. Ändern sie ihre Meinung, ihre Strategie, kommt alles anders als man denkt.

Zur Person
Margret Johannsen ist Politikwissenschaftlerin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Konflikt zwischen Israel und Palästinensern.
2023 erschien ihr Buch "Der Nahost-Konflikt" in fünfter Auflage. In diesem zeichnet sie nicht nur die Entstehung des Konflikts vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart nach, sie analysiert auch die verschiedenen Friedensprozesse, die seit den 1990er-Jahren stattgefunden haben. Johannsen reiste mehrfach nach Israel, in die Westbank und den Gazastreifen und hat jüdische Wurzeln.

Die Hamas hat am 7. Oktober bewusst Geiseln genommen, um sie als Druckmittel zu verwenden. Warum glauben Sie, hat sie nun diesem Abkommen zugestimmt? Welche Strategie verfolgt sie?

Ich kann mir vorstellen, dass die Hamas damit eine langfristige geopolitische Strategie verfolgt. Sie will sich damit international profilieren, sich einen Ruf als kompromissbereite, verlässliche Handelspartnerin machen. Bei aller Unterstützung, die Israel in der westlichen Welt genießt, dürfen wir nämlich nicht vergessen, dass die Hamas vor allem in Drittweltstaaten auf viel Sympathie stößt. Etwa in afrikanischen Staaten oder Indien. Lässt die Hamas Geiseln frei, allen voran Kinder und Frauen, kommt das in diesen Ländern sehr gut an. Es wird beinahe als humanitäre Geste angesehen.

Was sind das für Gefangene, die Israel im Gegenzug für die Geiseln freilässt?

Das weiß man noch nicht. Ich nehme an, es werden "harmlose" Gefangene sein. Etwa Jugendliche, die das israelische Militär in den letzten Jahren gefangen nahm, weil sie Steine auf Panzer warfen. Das muss man sich mal vorstellen: Diese Jugendlichen wurden ohne Gerichtsurteil, ohne Prozess, fürs Steinewerfen für sehr lange Zeit inhaftiert. Es ist also fürs Erste schon mal eine gute Sache, dass diese Gefangenen freikommen.

Magret Johannsen, Politikwissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkt Israel-Palästina.
Magret Johannsen, Politikwissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkt Israel-Palästina.Bild: zvp

Was bedeutet der Deal für Israel?

Es ist ein Teilerfolg. Die Angehörigen der Geiseln haben schon lange darauf gedrängt, dass ihr Staat einen Austausch ermöglicht. Außerdem haben sie ebenfalls schon lange eine Feuerpause gefordert. Immerhin sind schon einige Geiseln in Gefangenschaft umgekommen.

Der israelische Staat hingegen hatte bisher kein Interesse an einem solchen Deal. Doch Israel stand unter Druck von allen Seiten, allen voran von den USA. Schließlich hat Netanjahu zugestimmt, um seine internationalen Partner nicht zu verprellen.

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Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und US-Präsident Joe Biden.Bild: Pool Flash 90/AP / Miriam Alster

Wie wird sich das Geisel-Abkommen nun auf den weiteren Verlauf des Krieges auswirken?

Auch darüber kann ich nur spekulieren. Ich könnte mir vorstellen, dass sich die Lage ein wenig beruhigt. Vielleicht sogar für die nächsten paar Jahre, bis der Konflikt dann erneut eskaliert. Aber ebenso wahrscheinlich ist es, dass der Krieg gleich weitergeht wie bisher. Schließlich hat sich Israel zum Ziel gesetzt, die Hamas zu zerschlagen. Und das ist fast unmöglich.

Sie kann die Hamas-Kämpfer im Gazastreifen töten. Aber die Strippenzieher, die Spitze dieser Terrororganisation, bleibt davon unberührt. So oder so: Ohne eine nachhaltige, faire Lösung für beide Seiten, wird in dieser Region nie Frieden einkehren.

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