Volkswirtschaftslehre ist komplex, kann erschlagen, wirkt schlichtweg langweilig. Ein müßiges Fachgebiet. Jeder versuchte Vorstoß endet schnell mit Hirn-Muskelkater. Also Schotten dicht, Expert:innen wie Politiker:innen regeln schon. Flucht in Fatalismus: ein großer Fehler.
Volkswirtschaftliches Vorwissen hilft dabei, politische Argumente à la "Gürtel enger schnallen", à la "Jetzt kommen schwere Zeiten", à la "Dafür ist kein Geld da" zu übersetzen. Ökonom Maurice Höfgen widmet sich seit Jahren der Aufgabe, Wirtschaftsthemen näherzubringen.
Auf Youtube und in seinem Blog zeigt er, dass viele Erzählungen auf einem wissenschaftlich marodem Fundament stehen. Er entlarvt die ideologische Prägung dahinter. Ein Gespräch über angestaubte konservative Ökonom:innen, angestaubte Theorien und die Frage, was der Staatshaushalt mit Monopoly zu tun hat.
watson: Maurice, die Volkswirtschaftslehre als Nerdthema, das gerade jungen Menschen kaum Zugang verspricht. Wieso hast du dich dem verschrieben?
Maurice Höfgen: Anders als man vielleicht denken würde, waren mir Politik und Wirtschaft in meiner Jugend komplett egal. Erst während meines BWL-Studiums kam allmählich das Interesse an größeren wirtschaftspolitischen Zusammenhängen auf. Wenn ich meine Begeisterung aber auf ein Ereignis herunterbrechen müsste, wäre das wohl die Griechenlandkrise. Die wollte ich verstehen und die hat mich politisiert.
Die griechische Staatsschuldenkrise löste in Europa ein Beben aus, für viele war sie aber kaum greifbar. Was genau hat dich daran schockiert?
Die radikalen Kürzungen bei Renten, bei Löhnen, im Sozialstaat, fast überall – und deren gravierende Folgen. Anders als von Ökonomen versprochen, brach die Wirtschaft ein, entstand Massenarbeitslosigkeit, Firmen gingen Pleite, Armut grassierte und der Schuldenstand nahm sogar zu, nicht ab. Offensichtlich war die Therapie falsch, die neoliberale Ökonomen und Politiker den Griechen verschrieben haben. Ein einzelnes Unternehmen kann man gesundsparen, aber nicht eine ganze Wirtschaft.
Du beziehst dich hier auf die Volkswirtschaftslehre, die sich mit großen Zusammenhängen beschäftigt. Doch gerade die machen sie so abstrakt. Wie können Laien einen Zugang bekommen?
Viele finden VWL abstoßend und langweilig, weil sie so mathematisiert und weit weg von den echten Problemen ist. Prominente Ökonomen sind zudem stereotypisch Boomer in Anzügen, die mit pseudoakademischen Fachbegriffen um sich werfen. Das schreckt ab. Mein Mittel dagegen: VWL-Themen ins Internet bringen, zum Beispiel auf Youtube, das Ganze mit Witz und Unterhaltung übersetzen und verständlich erklären.
Kannst du drei Regeln nennen, mit denen sich ein Grundstein für eine VWL-Denke legen lässt?
Die Schulden des einen sind die Vermögen des anderen, die Einnahmen des einen sind die Ausgaben des anderen. die Exporte des einen sind die Importe des anderen. Es gibt zwar verschiedene Denkschulen, doch das sind allgemeingültige Grundsätze. Reine Logik. Man könnte auch sagen: Buchhaltung. Schon daraus kann man viel schließen und die Welt- und Nachrichtenlage besser verstehen.
Gerade bei wirtschaftspolitischen Fragen gibt es je nach Partei gravierende Unterschiede, etwa bei der Schuldenbremse. Wie kommt das?
Weil Politiker versuchen, die Menschen in ihrem Alltagsverständnis abzuholen. Ein Fehler, weil der Staatshaushalt eben nicht die Spardose von Oma Erna ist. Dann gibt es noch verbreitete Missverständnisse und falsche ökonomische Vorstellungen.
Zum Beispiel?
Ein höherer Mindestlohn führe zu mehr Arbeitslosigkeit. Ist noch nie passiert. Oder die Annahme, Staatsschulden seien ein Inflationstreiber, ist auch so pauschal nicht richtig. Nehmen wir etwa Japan: Dort gibt es eine Schuldenquote von rund 250 Prozent, und die kämpften bis zur globalen Energiepreiskrise gegen Deflation und nicht gegen Inflation.
Aber wieso klammern sich zum Beispiel Ökonom:innen an Annahmen, die bereits widerlegt sind?
Weil man an seinen einmal gelernten Modellen festhält. Sagt das Modell, höhere Kartoffelpreise dämpfen die Nachfrage, liegt der Gedanke nahe, dass höhere Löhne, die Nachfrage nach Arbeitskräften dämpfen – und insofern Arbeitslosigkeit erzeugen. Das ist aber falsch. Arbeiter gehen mit ihrem Lohn wieder einkaufen, Kartoffeln nicht. Die Bereitschaft, sich von der Realität eines Besseren belehren zu lassen, ist unter Ökonomen ein schwieriges Thema.
Bei Staatsschulden scheiden sich die Geister ebenfalls. Du hattest erwähnt, der Staatshaushalt würden anders funktionieren als der private. Was bedeutet das?
Wir reden über Schulden schon völlig falsch. Eine Erklärung, die viele bei meinen Vorträgen immer verblüfft: All die Schulden, die der Staat hat – 2,5 Billionen Euro –, liegen als Guthaben auf unseren Bankkonten, sind also 2,5 Billionen Euro private Ersparnisse.
Die allerdings schlecht verteilt sind.
Aber dennoch gilt: Die Schulden des Staates sind Ersparnisse der Privatwirtschaft. Ebenso wie Staatsausgaben private Einkommen sind. Würde der Staat all seine Schulden abbauen, müsste er uns 2,5 Billionen Euro an Ersparnissen abnehmen, uns also ärmer machen. Das will keiner.
Trotzdem wird konsequent vor Staatsschulden gewarnt.
Weil es an unser Privatverständnis anknüpft. Eine persönliche Angst vor Schulden ist für viele normal. Und diese Angst übertragen sie dann auf den Staat, vor allem, wenn wir von einem Steuerzahlergeld-Narrativ ausgehen. Dann heißt es, wir alle sind verschuldet, weil der Staat Schulden hat, was schlicht Quatsch ist.
Aber es heißt doch stets, ein Staat finanziere sich über Steuern.
Das würde ich mit einem Monopoly-Beispiel kontern. Woher kommt das Monopoly-Geld? Von der Bank oder den Brettspielern? Von der Bank. Bevor Spieler loslegen können, bekommen sie Geld von der Bank. Erst dann können sie Straßen, Häuser und Hotels kaufen. Im Laufe des Spiels können sie dann bankrottgehen, aber die Bank bleibt stets liquide. Das Geld im Monopoly ist ein Monopol der Bank, genauso wie staatliche Währungen ein Monopol des Staates sind.
Du selbst stehst für eine progressive Wirtschaftspolitik. Wie sieht die aus?
Jeder hat da andere Vorstellungen. Meine wäre, dass wir Vollbeschäftigung haben, also dass jeder, der arbeiten will, auch eine Arbeit findet; dass die Wirtschaft gut läuft, aber dass alles, was die Wirtschaft hervorbringt, auch gerecht verteilt wird; und dass wir nachhaltig produzieren. Außerdem will ich erstklassige öffentliche Daseinsvorsorge: von der Kita bis zum Krankenhaus. Schulen müssten eigentlich die modernsten Gebäude der Stadt sein. Das Gegenteil ist die Realität, leider.
Woran liegt das?
In Deutschland wird zu wenig ausgegeben. Seit meiner Geburt 1996 sind die öffentlichen Netto-Investitionen bei null.
Was heißt das?
Die Infrastruktur hat seitdem nicht an Wert gewonnen. Netto-Investitionen bedeutet, was investieren wir neu und was verfällt gleichzeitig. Eine neue Brücke verfällt zum Beispiel mit der Zeit, verliert insofern an Wert. In den 70er-Jahren hat die Infrastruktur jedes Jahr drei Prozent der Wirtschaftsleistung an Wert gewonnen. Das wären heute 120 Milliarden Euro – jedes Jahr. Da müssen wir wieder hin.
Aber gibt es überhaupt Parteien mit realen Wahlsieg-Chancen, die für mehr Investitionen stehen, die mehr ausgeben wollen?
Der Wind hat sich meines Erachtens gedreht. Abseits von AfD und FDP klammert sich zum Beispiel keine Partei mehr an die Schuldenbremse. Viele sind bereit, mehr Geld in Deutschland zu investieren. Sogar Friedrich Merz zeigt sich allmählich offen für eine Reform, die mehr Investitionen mit sich bringen würde.
Wobei hier die Befürchtung wäre, dass er sich nur auf Rüstungsausgaben konzentrieren will.
Mag sein, und dazu kann man verschiedene Positionen haben, aber: wenn er die Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausklammert, bleibt mehr Geld für andere Investitionen. Wenn noch einmal 100 Milliarden für die Bundeswehr von der Schuldenbremse ausgenommen werden, hat der Staat ja dann auch 100 Milliarden für andere Ausgaben zur Verfügung. Wir brauchen dringend finanzielle Spielräume, um die vielen Missstände zu beseitigen.