Politik
Interview

CDU-Mann Kiesewetter mahnt vor Fehlern unter Merkel und hofft auf Merz

News Bilder des Tages Roderich Kiesewetter, MdB, CDU, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, posiert fuer ein Foto. Berlin, 15.02.2022 Berlin Deutschland *** Roderich Kiesewetter, Member ...
CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter warnt vor den Fehlern unter Altkanzlerin Angela Merkel. Bild: imago images / Thomas Trutschel
Interview

CDU-Mann Kiesewetter warnt vor Russland: "Nächsten zwei Jahre werden entscheidend"

Kaum ein anderer aus der Union setzt sich so rigoros für das Überleben der Ukraine ein wie CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter. Im watson-Interview kritisiert er die Russland-Romantik in Deutschland.
16.04.2025, 13:2116.04.2025, 19:37
Mehr «Politik»

Mit US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus verliert Europa einen wichtigen Verbündeten. Militärexpert:innen warnen vor einem großen Krieg in Europa, denn Russland würde bei der Ukraine nicht Halt machen.

Auch CDU-Politiker Roderich Kiesewetter mahnt seit Jahren dazu, sich auf die russische Aggression intensiver vorzubereiten.

Roderich Kiesewetter CDU, Aussenpolitiker, zu Gast bei - maischberger, Polittalk, TV, Format, mit Moderatorin - Sandra Maischberger, Das Erste, Mit folgenden Themen: Welche Rolle spielt Deutschland be ...
CDU-Mann Roderich Kiesewetter ist Mitglied des Deutschen Bundestages.Bild: imago images / Uwe Koch

watson: Herr Kiesewetter, während Sie vor Russland warnen, bezeichnen andere Ihre Position als Angstmacherei. Was entgegnen Sie?

Es ist an der Zeit, die Russland-Romantik in Deutschland zu entlarven. Russland wird noch immer als Kulturnation gesehen, aber die weiten Teile des Landes bestehen nicht aus Dostojewski und Tolstoi.

Sondern?

Russland ist auf der Nordhalbkugel das letzte imperiale und koloniale Land, in dem viele Menschen nicht in Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung leben, sondern in einem Terrorstaat. Diese Russland-Romantik müssen wir überwinden und durch Realpolitik, Verteidigungsbereitschaft und Wehrhaftigkeit ersetzen.

Also aufrüsten?

Es geht nicht um Aufrüsten, sondern darum, kriegstüchtig zu werden. Sprich, sich auf Krieg vorzubereiten, um ihn zu verhindern. Russland weiß selbst, dass wir Europäer etwa drei Jahre brauchen, bis wir fit sind. Die nächsten zwei Jahre werden demnach entscheidend.

Was wäre das Worst-Case-Szenario?

Wenn die Ukrainer Russland nicht mehr abwehren können, wird sich der Krieg ausweiten. In Gefahr sehe ich etwa die baltischen Staaten, Polen oder Moldau. Dann wäre Deutschland nicht Hauptkriegsort, aber Durchmarschland, wo tausende Soldaten aus Frankreich, aus Kanada – hoffentlich auch aus den USA – an die Ostflanke gehen. Umgekehrt müssen dann Millionen von Flüchtlingen und Zehntausende von verwundeten Soldaten bei uns versorgt werden.

Das klingt für viele nach Kriegshetze.

Es ist nicht nur die AfD, die solche Mahnungen abwinkt. Es ist auch die Mitte der Gesellschaft, die nicht daran glaubt, dass Russland eine aggressive Macht ist. Sie glaubt daran, indem wir beschwichtigen und zum Beispiel wieder unsere Energiekanäle wie Nord Stream öffnen, dass wir Sicherheit durch Handel erreichen. Egal, ob wir die Ukraine dafür opfern. Diese Haltung vertritt schon mehr als ein Viertel unserer Gesellschaft. Doch damit wird ein Krieg erst wahrscheinlicher.

Was stört Sie an dieser Haltung?

Vielfach wird Frieden als Waffenstillstand verstanden. Das ist in der SPD besonders ausgeprägt durch Egon Bahr. Der SPD-Politiker hat 2014 gesagt, die Ukraine kann nicht ganz Westen und nicht ganz Osten sein, sie muss immer dazwischen liegen. Für Bahr war Frieden eine Harmonie, die man beschreiben kann mit der eines Fahrradfahrers. Wenn er unvermittelt stehenbleibt, kippt er um, also muss er immer weiterfahren. Man lässt den Aggressor gewähren, damit das Fahrrad gerade so nicht "umkippt".

Wie damals 2014, mit Beginn des Kriegs in der Ostukraine?

Richtig, Russland ließ die angeblichen Separatisten kämpfen gegen die angeblich unrechtmäßig existierende Ukraine. Die Deutschen wollten eine Lösung finden, indem sie Russland mit dem Konzept Nord Stream 2 entgegenkamen. Nach dem Prinzip: Wenn wir gegenseitige Abhängigkeiten durch Handel schaffen, erhalten wir Sicherheit. Doch am Ende haben wir uns damit in die Abhängigkeit begeben und erpressbar gemacht.

Mit wir meinen sie die CDU unter Angela Merkel?

Der letzte klare "Anwalt" der mittelosteuropäischen Länder war Altkanzler Helmut Kohl. Angela Merkel hat damals nur die Kooperation mit den Großen gesucht, also vielleicht noch mit Polen, aber ansonsten mit Frankreich, Großbritannien, USA und Russland.

Sie war demnach keine Anwältin für die Länder zwischen Deutschland und Russland?

Ja, das hat zu großem Misstrauen geführt. Angela Merkel hatte nicht das Gespür, was das angeblich wirtschaftliche Projekt Nord Stream für diese Länder und europäische Sicherheit bedeutet. Etwa für die baltischen Staaten, die jahrzehntelang Unterdrückung durch die Sowjetunion erdulden mussten und zuvor von Hitler und Stalin vor den Bus geworfen wurden.

Das Thema vermeidet Merkel auch in ihrer Biografie.

Daher finde ich auch den Buchtitel "Freiheit" irreführend, weil sie eben nicht die Ängste der Staaten zwischen Deutschland und Russland anspricht.

Jetzt kommen die alten Partner von damals wieder zusammen: CDU und SPD.

Genau, und sie sollten nicht daran anknüpfen, was aber leider die Aussagen von SPD-Mann Dietmar Woidke und einigen Unionsleuten vermuten lassen. Sie zeigen sich offen, wieder Geschäfte mit Russland zu machen.

Welche Gefahr sehen Sie?

Mich besorgt dabei die Geschichtsvergessenheit und der Mangel an strategischem Denken. Es ist ein kurzfristiges, taktisches, wirtschaftsliberales Denken, ohne zu begreifen, dass Russland massiv unsere Blauäugigkeit und strategische Blindheit ausnutzt und unsere Sicherheit bedroht.

Was braucht es stattdessen?

Ich hoffe, dass Union und SPD etwas Neues schaffen, das das Vertrauen in uns aus Mittelosteuropa stärkt und nicht alte Befürchtungen und Traumata weckt, befürchte aber, dass man wieder dieselben Fehler fortsetzt und europäische Sicherheit und damit auch unsere gefährdet.

Die USA mischen jetzt auch bei Nord Stream mit.

Das erschwert die Sache gänzlich. Es könnte heißen: Jetzt nutzen wir eben amerikanisches Gas, das die Amerikaner von den Russen kaufen. Dann hätten wir transatlantisch wieder eine Zusammenarbeit. Wir hätten eine US-russische Aussöhnung.

Wo ist da das Problem?

Wir vergessen dabei, dass die Ukraine unter die Räder gerät und die Länder wie die baltischen Staaten, Polen und Tschechien. Sie bangen erneut, dass über sie hinweg Energie und Wirtschaft als geoökonomisches Druckmittel eingesetzt wird und sie im Grunde genommen nur die Lösung darin sehen, dass sie autarker werden oder sich gemeinsam mit den skandinavischen Staaten nuklear bewaffnen.

Sieht das Friedrich Merz auch so?

Wenn uns die Ukraine nicht mehr schützt, steht Russland an der Grenze zur Nato. Diese Ansicht teilt Friedrich Merz mit mir in jeder Hinsicht. Ich erwarte aber, dass wir entschlossener sind. Dass wir diejenigen, die sich als mahnende Stimme äußern, stärker einbinden als jene, die an Fehler unserer Vergangenheit nahtlos anknüpfen wollen.

Und doch sind Sie bei den Koalitionsverhandlungen nicht dabei.

Merz hat den richtigen Kompass. Es geht darum, dass er sich damit insgesamt in der Partei durchsetzt. Da helfe ich gern mit. Wir müssen die Störfelder, die einen Ausgleich mit Russland suchen, ansprechen und entlarven, auch wenn diese Haltung einen Preis hat.

Schweigeminute des Deutschen Bundestag, Roderich Kiesewetter, MdB, CDU Schweigeminute des Deutschen Bundestages und einleitenden Worten der Präsidentin des Deutschen Bundestages, Bärbel Bas, gemeinsam ...
Mit seinen Forderungen für die Ukraine stand Roderich Kiesewetter oft allein dar. Bild: imago images / Bernd Elmenthaler

Welchen?

Ich habe das, was heute für die Verteidigung und für den Zivilschutz umgesetzt wird, vor gut einem Jahr angesprochen, und da galt es als isolierte Einzelmeinung, um das positiv zu formulieren. Heute wird fast das Dreifache an Geldsummen bereitgestellt. Das hätten wir deutlich früher und günstiger haben können, denn es spielt immer der Faktor Zeit mit. Früher, entschiedener und substanzieller vorzugehen, hätte vor allem Menschenleben in der Ukraine retten können.

Noch-Kanzler Olaf Scholz begründete seine Ablehnung der Taurus-Lieferung mit der Sorge, Deutschland könnte dadurch zur Kriegspartei werden.

Das Argument ist absoluter Unsinn. Diese Angstmacherei durch Russland höhlt sogar die internationale Ordnung aus, sodass selbst zulässige Dinge im Rahmen des Artikels 51 der Charta der Vereinte Nationen nicht umgesetzt werden. Wir ziehen uns ständig rote Linien, die für Putin ein roter Teppich nach Mittelosteuropa sind.

Ukraine-Krieg: Experte erklärt sprunghafte Rekrutierungsrate in Russland
Russland lockt Soldaten – auch aus dem Ausland – vor allem mit saftigen Prämien. Nun steigt der Andrang von Freiwilligen und übt enormen Druck auf die Staatskasse aus.

Der Plan von US-Präsident Donald Trump geht nicht auf. Selbstbewusst prahlte er damit, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine innerhalb von 24 Stunden zu beenden. Danach sah er ein, dass es mehrere Monate dauern würde.

Zur Story