
David Christner ist seit 2025 Bundessprecher der "Jungen Linken". junge linke/ Robert Stephan
Interview
Deutschland hat eine neue linke Jugendorganisation und treffender Weise heißt sie: Junge Linke. Im watson-Interview erklärt Bundessprecher David Christner, warum er nicht einfach Linksjugend solid beigetreten ist, was die junge Linke ausmacht – und was er von dem Streit um die Grüne Jugend hält.
17.06.2025, 18:3917.06.2025, 18:39
Watson: David, politisch sozialisiert wurdest du bei der Grünen Jugend. Was war der Grund?
David Christner: Damals haben die Grünen als Partei ein besonderes Gefühl verkörpert. Vor allem beim Thema Klima haben sie sich als einzige gegen das ewige "Weiter so" in der Politik gestellt. Das hat mich bestärkt, mich in der Jugendorganisation zu organisieren. Aus heutiger Sicht war das naiv. Schon Anfang der 2000er hat sich in der Regierungsbeteiligung der Grünen gezeigt, dass die damals noch progressiven Inhalte der Partei und ihre tatsächliche Politik weit auseinandergehen. Meine Motivation kam aber auch gar nicht unbedingt durch die grüne Partei, sondern vielmehr durch den Wunsch, mich mit anderen zusammenzuschließen, um für meine Interessen und politischen Vorstellungen einzustehen.
Du bist dann auch aus der Grünen Jugend ausgetreten und heute Bundessprecher der Jungen Linken. Was ist euer politischer Kern – in vier Sätzen?
Wir wollen in einer freien und gerechten Welt leben, ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Wir sehen, dass die Welt linke Politik gerade sehr nötig hat, denn das Elend und die Krisen überschlagen sich. Trotzdem sind wir als Linke gerade in einer Position der Schwäche. Deshalb wollen wir unseren Teil dazu beitragen, dass die Linke sich wieder neu erfinden kann.
Trotzdem seid ihr parteiunabhängig. Warum grenzt ihr euch von den Linken ab?
Als Jugendorganisation verstehen wir uns eher als Mittel zum Zweck. Das Ziel dabei ist, wieder die ursprüngliche Zielgruppe von linker Politik zu erreichen: Arbeiter:innen, Auszubildende, also ganz normale junge Menschen. Davon profitiert am Ende nicht nur die Linkspartei, sondern alle linken Gruppen.
Eine linke Jugendorganisation gibt es mit solid schon. Warum habt ihr euch denen nicht angeschlossen?
Man muss sich anschauen, welche Aufgaben die offizielle Jugendorganisation einer Partei hat. Da geht es oft darum, das Korrektiv der Mutterpartei zu sein, oder schlicht darum, die Jugend für die klassischen Parteipositionen auszubilden. Das sind Dinge, die wir gerade nicht machen und die für uns auch nicht im Fokus stehen. Unser Ansatz sind konkrete Projekte mit zwei großen Säulen: Nützlichkeit und Gemeinschaft. Ich finde, es ist ein Grundproblem bei linker Politik, dass man oft von oben herab Dinge erklärt. So distanziert man sich von denen, für die man eigentlich Politik machen will.

Aus "Zeit für was Neues" wurde im Frühjahr die Jugendorganisation "Junge Linke". junge linke/ JAN TECKLENBURG
Hast du ein Beispiel für diese "Politik von oben herab"?
Erstmal vorweg: Man muss anerkennen, dass es da schon eine Art Trendwende gab – es wird mehr auf soziale Fragen gesetzt und darauf, den Leuten zuzuhören. Und trotzdem verbinden viele Leute Linkssein mit Vorschriften, wie man sich zu ernähren, was man zu kaufen und worauf man zu verzichten hat. Vielen Menschen wurde jahrelang von links nur mit erhobenem Zeigefinger begegnet. Diejenigen, die das am meisten getroffen und gekränkt hat, sind oft dieselben Menschen, die sich politisch zurückgezogen haben oder jetzt von rechts angesprochen werden. Ich glaube, da muss von Grund auf neues Vertrauen geschaffen werden – das braucht Zeit und stetige Arbeit.
Welche Projekte plant ihr als Junge Linke?
Wir wollen im Alltag helfen. "Grundsätzliche politische Veränderung" klingt für viele Menschen viel zu abstrakt. Wenn man überhäuft wird mit Briefen von Ämtern, wollen wir unterstützen können. Oder bei der Suche nach einem Therapieplatz. Außerdem schaffen wir Orte der Gemeinschaft. Seit März bauen wir dafür einzelne Ortsgruppen auf, zum Beispiel in Köln, Hamburg und Potsdam.
Was entsteht da konkret?
In Hamburg bauen wir beispielsweise unsere "KlarKommen"-Lernlounge auf. Die findet aktuell zweimal im Monat für drei Stunden statt und da kann jeder mit seinen Hausaufgaben oder zum gemeinsamen Lernen hinkommen. Denn viele junge Leute fühlen sich alleine gelassen mit ihren Problemen.
Inwiefern?
Ich erzähle mal ein Beispiel, das ich selbst mit einem Kumpel vor der Bundestagswahl 2021 erlebt habe.
Gerne.
Er wollte nicht wählen gehen. Aber weißt du, wer mir da gegenübersaß? Ein Arbeiterkind mit großem Herz, ohne Schulabschluss, ohne Job und ohne Therapieplatz trotz psychischer Probleme. Wenn wir wollen, dass diese Personen politisch aktiv werden und für ihre eigenen Sorgen politisch einstehen, müssen wir erst an ihren Problemen anknüpfen. Und da kann eine Unterstützung bei der Jobsuche oder bei der Therapieplatzsuche schon helfen.
Wie wollt ihr all diese Dinge finanzieren?
Aktuell finanzieren wir uns über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Das läuft ganz okay, reicht aber natürlich nicht aus, um wirklich gut klarzukommen. Wir sind also auf jeden Euro angewiesen und freuen uns, wenn Leute uns zusätzlich unterstützen möchten.
Aber ihr werdet euch in der Öffentlichkeit weniger zu aktuellen politischen Themen äußern als andere Jugendorganisationen?
Nicht unbedingt. Vieles, was politisch passiert, hat direkten Einfluss auf unser Leben als junge Menschen, das lässt uns natürlich nicht kalt und das kommentieren wir auch. Aber bei vielen Themen stellt sich für uns die Frage, ob das die Leute überhaupt interessiert. Wir rechnen uns außerdem nicht aus, über Talkshows oder Artikel grundlegend etwas reißen zu können. Wenn früher irgendwas im Bundestag passiert ist, haben wir uns mit verschränkten Armen vors Parlament gestellt. Dahinter steckte ehrlicherweise oft nur, anderen Linken zu beweisen, dass man selbst der beste Linke sei. Aber verändert das überhaupt irgendwas?
Die Grüne Jugend hat mit Jette Nietzard nun eine Vorsitzende, die sich oft sehr direkt äußert und damit auch aneckt. Ist das in deinen Augen kontraproduktiv?
Bei allen politischen Differenzen muss ich hier erstmal eine Lanze brechen. Wenn eine junge Frau in der Politik aktiv ist, entsteht schneller ein Shitstorm, als man gucken kann. Das finde ich schlimm. Ich frage mich, inwiefern solche Debatten überhaupt etwas verändern. Als hätten wir nichts Besseres zu tun, als darüber zu diskutieren, welchen Pulli jemand trägt, die politisch aktiv ist. Dass das Ganze so aufgeblasen wurde, finde ich lächerlich.
Also findest du so eine scharfe Rhetorik schon kontraproduktiv.
Das muss man immer im Zusammenspiel mit der medialen Hetze in den vergangenen Jahren betrachten. Aber ich würde schon infrage stellen, inwieweit wir ernsthafte politische Probleme in verkürzten Beiträgen auf Social Media wiedergeben können. Dass wir ein Problem mit dem Polizeiapparat haben, ist seit Jahren Thema.
An welchen Stellen macht sich das deiner Meinung nach bemerkbar?
Es macht mich wütend, dass ein Freund würdelos nackt in einer Zelle sitzen musste. Ein Bekannter wurde in Hanau im Stich gelassen und wurde dann bei dem rechtsextremistischen Anschlag getötet. Und nur fünf Minuten von meiner Haustür entfernt wurde ein Schwarzer festgenommen – und starb später in Polizeigewahrsam. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Frage ist nicht, ob man nun "ACAB" sagen darf oder nicht, sondern wie wir es schaffen, diese realen Ungerechtigkeiten zu verhindern. Aber das werden wir nicht auf Instagram.
Auf euren Accounts ist es auch vergleichsweise unpolitisch. Ist das Absicht?
Jein. Wir im Bundesvorstand kennen selbst das Gefühl, von der Politik im Stich gelassen zu werden. Ich bin 2002 geboren und ich denke nicht, dass es überhaupt mal eine Regierung gab, die jungen Menschen das Gefühl von Fortschritt gegeben hat. Wir als Junge Linke wollen nicht nur nahbar wirken. Wir wollen wirklich nahbar sein und damit junge Menschen erreichen, ohne den klassischen Politikersprech.