watson: Herr Glasenapp, wie groß ist der Einfluss von Taylor Swift auf ihre Fans wirklich?
Jörn Glasenapp: Um das zu erklären, müssen wir erst einmal den Erfolg von Taylor Swift verstehen. Und da kommt man nicht um die Tatsache herum, dass sie seit mittlerweile fast zwei Jahrzehnten kontinuierlich außerordentlich gute Musik abliefert. Insofern ist es verfehlt, von einem "Hype" um Taylor Swift zu sprechen. Damit wird sie uns implizit als kurzfristiges, von den Medien hochgejazztes Phänomen untergejubelt.
Was zählt noch dazu?
Ihren Erfolg macht auch ihre bestens funktionierende Star-Persona aus. Sie gibt sich als sympathische, am Boden gebliebene Frau, nicht wie etwa Beyoncé als Diva. Das kommt bei ihren Anhänger:innen bestens an. Und zu guter Letzt ist Taylor Swift natürlich eine begnadete Geschäftsfrau. Sie beobachtet ihre Fans auf Social Media genau.
Klingt, als sei sich Taylor Swift ihrer Verantwortung gegenüber ihren Fans auch bewusst.
Taylor Swift kennt ihre Fans und deren Wünsche. Sie weiß, was erfolgversprechend ist und was nicht. Und sie schreibt die Gesetze des Musikbusiness immer wieder neu.
Inwiefern?
Swift nimmt ihre alten Alben nochmal auf, um die Rechte an ihrer Musik zurückzubekommen, lässt ihren Tourfilm von ihrer eigenen Produktionsfirma produzieren und nimmt damit Mitverdienende aus dem Spiel. Die üblichen Werbekanäle erübrigen sich bei ihr auch. Denn ihre Fans posten ganz umsonst alles auf Social Media. Um Ihre Frage zu beantworten: Ihr Einfluss ist riesig.
Haben Sie Beispiele?
Taylor Swifts Fans sind überaus loyal. Sie verstehen Swift als ihre beste Freundin oder große Schwester. Gleichzeitig ist der Kontakt der Swifties untereinander elementar. Das "Taylorverse" ist für sie ein Safe Space inklusive Harmonie-Oase, in der kein Widerspruch droht. In düsteren Zeiten wie unseren ein attraktives Angebot.
Ihren Einfluss nutzt Swift ab und zu auch politisch. Seit 2018 ist Swift offen für die Demokraten. Erwarten Sie, dass sie sich klar hinter Harris stellen wird?
Ja, aber klug wie sie ist, wird sie mit ihrer Wahlempfehlung bis Oktober warten, denn dann kehrt ihre "Eras"-Tour in die Staaten zurück. Kurz vor der Wahl kann sie Trump am meisten schaden.
Wie sicher kann man denn davon ausgehen, dass ihre Fans dann auch Kamala Harris wählen, wenn Swift eine Wahlempfehlung ausspricht?
Während Joe Biden ob seines Alters für die Zielgruppe von Taylor Swift nur sehr bedingt als Identifikationsfigur taugte, sieht das bei Kamala Harris ganz anders aus. Die Hälfte der Amerikaner:innen bezeichnet sich darüber hinaus als Swift-Fan. In Umfragen, etwa im Januar, gaben immerhin 18 Prozent der US-Bürger:innen an, einer Wahlempfehlung von Taylor Swift zu folgen – darunter mehrheitlich junge. Effektiv werden es also Tausende sein, die Harris wegen Swift wählen.
Kann Taylor Swift also die US-Wahl entscheiden?
Ja, auf jeden Fall! Am Ende sind es vielleicht die Stimmen, die in den Swing States den Unterschied machen. Denn bei der US-Wahl gilt auf Staatenebene das "Winner takes it all"-Prinzip. Erhält also ein:e Kandidat:in die Mehrheit in dem jeweiligen Staat, bekommt er oder sie alle Stimmen, der oder die andere Kandidat:in geht leer aus. 2020 haben die Demokraten Georgia gewonnen, weil sie 11.000 Stimmen mehr hatten. So viele könnte Taylor Swift im kommenden November in Georgia locker generieren.
Ist Swifts Einfluss auf diesen Wahlkampf vergleichbar mit dem eines anderen Stars?
Nein. Das Phänomen Taylor Swift ist einzigartig. Allerdings wird sie die Wahl natürlich nicht allein entscheiden. Denn am Ende wird man sich unter anderem erinnern: Ach, Kamala Harris war doch brat!
Dafür hat wiederum Charli XCX gesorgt.
Im Vergleich zu Swift ist sie natürlich klein, doch ihr zu Beginn der Debatte um Harris geposteter Tweet "Kamala IS brat" ging viral und wurde von den Demokraten bestens genutzt. "Brat" ist der Name des neuen Albums von Charli XCX, das in den USA seit einigen Wochen wie kein anderes trendet. Sie prägte damit sogar eine eigene Farbe: das "brat-Grün". Soll heißen: Kamala Harris ist so etwas wie eine coole "Göre", so wie Charli XCX selbst. Eine Bezeichnung, die sich die Gen Z zu eigen gemacht hat.
Auch Beyoncé trägt zu dem Auftrieb von Kamala Harris derzeit bei. Sie hatte ihr erlaubt, ihren Song "Freedom" für ihre Kampagne zu verwenden.
Richtig. Am Ende könnte es also eine Kooperation aus drei Frauen sein, die Kamala Harris die entscheidenden Stimmen verschaffen.
Das spielt natürlich den Demokraten in die Hände. Aber bedenklich ist das trotzdem.
Ja, denn wünschenswert wäre natürlich ein politischer Wahlkampf, der mit sachlichen Argumenten geführt wird und nicht mit Tiktok-Videos und Memes.
Sollten sich Superstars überhaupt politisch einmischen?
Wenn es einen Faschisten wie Donald Trump zu verhindern gilt, ja. Wir können von Glück reden, dass es die liberale, demokratisch denkende Taylor Swift ist, die diese enorme politische Macht hat und nicht ein Rassist und Antisemit wie Kanye West. Grundsätzlich ist es aber natürlich höchst bedenklich, wie sehr der politische Diskurs in den USA auf den Hund gekommen ist und dass wir hoffen müssen, dass die Wahlempfehlung einer 34-jährigen Popsängerin uns eine weitere Amtszeit Trumps erspart.