Zuletzt sollen 70.000 Menschen in ganz Deutschland an einem einzigen Tag gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gegangen sein. Vor allem im Osten der Republik, aber auch in westdeutschen Bundesländern, kommt es jeden Montag zu Protestmärschen und Gegendemonstrationen.
Entsprechend viel zu tun gibt es derzeit für die Bereitschaftspolizei, und der Job ist nicht ungefährlich.
Erst am vergangenen Dienstag wurde ein 50-jähriger Mann aus Sachsen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr und acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Er soll Flaschen auf Polizisten geworfen haben.
Theoretisch hätte der Mann auch Herrn Las und Frau Seifert treffen können*.
Las ist 25 Jahre alt, Polizeioberkommissar und Gruppenführer bei der Bereitschaftspolizei in Sachsen. Seine Kollegin Seifert ist 34 Jahre alt und Polizeioberkommissarin. Sie ist in der Führungsgruppe einer Hundertschaft in Dresden tätig.
Im Interview mit watson sprechen die beiden über Ängste, politische Gespräche im Einsatzfahrzeug und darüber, wie es sich anfühlt, von wütenden Demonstranten angeschrien zu werden.
watson: Herr Las, Frau Seifert, warum haben Sie sich ursprünglich mal für den Polizeiberuf entschieden?
Las: Das liegt bei mir in der Familie. Mein Vater war auch Polizist und ist für mich immer ein Vorbild gewesen. Dazu kommt eine innere Überzeugung.
Wir können in Deutschland sehr stolz auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung sein. Jeder kann hier in Freiheit und Sicherheit leben. Bei der Bereitschaftspolizei bin ich gerne, weil es nicht nur Büroarbeit ist.
Seifert: Für mich war es immer ein Kindheitstraum, ich wollte nie etwas anderes sein. Ich habe schon im Kindergarten gesagt: Ich werde Polizistin.
Gerade auch bei aktuellen Einsätzen gegen die Pandemie-Regeln kommt es immer wieder zu Eskalationen. Wie bereitet man sich auf so einen Einsatz vor?
Las: Einmal gibt es die formelle Vorbereitung, bei der wir eine Einweisung bekommen, wie sich die Einsatzleitung den Ablauf vorstellt. Persönlich schauen wir uns zunächst das Einsatzthema an und durchdenken das.
Man denkt darüber nach, was für Situationen auf einen zukommen können und welche Lösungsmöglichkeiten es gibt. Wir schauen auch in die sozialen Medien, ob es vielleicht entsprechende Aufrufe von Demonstranten gibt.
Seifert: Bei uns ist das ähnlich. Wir sind darüber hinaus noch dafür zuständig, die Philosophie des Einsatzleiters als Präsentation so vorzubereiten, dass die Kollegen, die Führungsaufgaben wahrnehmen, darüber in Kenntnis gesetzt werden.
Meine mentale Vorbereitung liegt darin, dass ich mir anschaue, welche Corona-Regelung aktuell gilt, um mögliche Verstöße zu ahnden.
Zu meinen Aufgaben gehört auch, Kontakt zu der Kriminalpolizei herzustellen, damit die Kommunikationswege kurz sind. Und dann studiere ich die Medienlandschaft, um ein Bild der allgemeinen Stimmung zu bekommen.
Welche Rolle spielt Angst in ihrem Beruf?
Seifert: Ich würde eher von Unwohlsein sprechen, weil der Begriff Angst das nicht ganz greift. Es darf uns nicht lähmen, es ist ein Schutzmechanismus. Wir sind auch nur Menschen. Aber wir müssen damit umgehen können.
Las: Angst ist eine sehr nützliche Emotion, um den Menschen vor Schaden zu bewahren. Dementsprechend braucht man eine bewusste Wahrnehmung für seine eigenen Instinkte. Aber hochemotionale, reflexhafte Entscheidungen sind nicht ideal, weil sie nicht besonders tiefgründig durchdacht sind.
Ich versuche, im Einsatz einen ruhigen Kopf zu bewahren. Wenn ich merke, dass ich hektisch werde, versuche ich, mich wieder herunterzukühlen, um rationale Entscheidungen treffen zu können.
Die Polizei erfährt immer wieder offene Ablehnung, gerade auf Demonstrationen. Wie gehen Sie damit um?
Seifert: Es ist schon mitunter sehr schwierig, wenn man dasteht und die ganze Zeit angeschrien wird. Das prallt menschlich nicht immer an einem ab. Aber wir sind Profis genug, um das auszuhalten. Die Leute greifen ja nicht mich persönlich an. Wir stehen für den Staat auf der Straße. Niemand geht auf eine Demonstration und sagt: Heute ärgere ich die Frau Seifert.
Las: Genau. Ich sage mir auch immer wieder: Die Leute sind nicht auf der Straße, um uns persönlich zu ärgern. Unabhängig davon gibt es Äußerungen, die auf eine persönliche Ebene gehen. Gegenüber dem Bürger kann ich das im Grunde komplett ausblenden.
Wenn mich jemand während einer Maßnahme massiv und persönlich beleidigt, bin ich in der Lage, am Ende noch einen schönen Abend zu wünschen. Aber das ist nicht immer ganz so einfach.
Zu den „Anti-Corona“-Demonstrationen rufen immer wieder auf rechte Gruppierungen auf. Wie ist Ihre Erfahrung?
Las: Auf den Versammlungen erlebe ich das als sehr unterschiedlich. Da sind Menschen unterschiedlichen Alters, in unterschiedlichsten Lebenssituationen.
Die intensivste Erfahrung haben wir in Berlin gemacht. Da waren Leute, die man als klassisch links einstufen würde, über die bürgerliche Mitte bis zu Menschen, die man einer rechten politischen Meinung zuordnen kann. Das ist breit gefächert.
Auch hier in Sachsen kann man das nicht pauschal beschreiben. Die Leute haben unterschiedliche Motivationen: Darunter sind etwa Selbstständige mit Existenzangst, Pflegekräfte oder Eltern. Und dann gibt es natürlich auch "Erlebnisorientierte", die Konflikte provozieren.
Seifert: Ich denke, wir können gut differenzieren, von welcher Gruppe potenziell eine Eskalation zu erwarten ist. Aber der Großteil ist eher gemäßigt unterwegs.
Auch über rechte Tendenzen innerhalb der Polizei gibt es Berichte. Wie reagieren Sie auf den Vorwurf?
Seifert: Wir sind alle in unserer Dienstausübung politisch neutral. Wer welches Parteibuch zu Hause hat, sollte keine Rolle spielen, und das tut es auch nicht.
Ein Beispiel aus dem Alltag: Man sagt zu verschiedenen Leuten denselben Satz, und jeder wertet das so, dass man auf der anderen politischen Seit steht: „Ist ja klar, dass Sie rechts sind“, sagen die einen, „Ist ja klar, dass Sie zur linken Seite halten“, die anderen. Beides weise ich vehement von uns.
Las: Sie müssen sich unseren Arbeitsalltag als Bereitschaftspolizei so vorstellen: Wir sitzen viele Stunden die Woche in einem Fahrzeug und haben auch nicht immer etwas zu tun. Das führt natürlich zu persönlichen Bindungen und politischen Gesprächen.
Wir sind alle politisch und gesellschaftlich interessiert. Für meine Gruppe kann ich sagen, dass wir ein sehr breites Meinungsspektrum haben, von sehr weit links bis zu Positionen, die sehr konservativ sind. Und natürlich auch die Mitte.
Wir schaffen es trotzdem, sehr konstruktiv zu diskutieren. Und das ist in Ordnung so. Gegenüber den Bürgern auf der Straße erwarten wir von unseren Beamten einhundert Prozent Neutralität. Und das wird auch so umgesetzt.
Ist die Polizei angesichts der Masse und Intensität der Demonstrationen auch mal überfordert?
Seifert: Wir können nicht überall sein, das ist schon richtig. Von einer Überforderung würde ich aber nicht sprechen. Wir versuchen unser Mögliches und wägen nach Verhältnismäßigkeit ab: Momentan reden wir von Ordnungswidrigkeiten, dem untersten Limit der Strafbarkeit. Wir dokumentieren die Lage und versuchen zu deeskalieren.
Las: Wir setzen Prioritäten. Wenn wir als Zug mit 30 Leuten zu einer verbotenen Versammlung mit 300 Personen kommen, wird man die nicht komplett abarbeiten können, etwa wenn es um das Feststellen der Personalien und das Einleiten von Ordnungswidrigkeits-Verfahren geht. Wir konzentrieren uns dann eher auf die Problemklientel.
Fühlen Sie sich ausreichend wertgeschätzt von Politik und Gesellschaft?
Seifert: Ja, doch. Man kann nicht immer jeden zufriedenstellen, aber das ist in anderen Berufen auch so. Der Polizeiberuf ist meiner Meinung nach hoch angesehen.
Es kommen immer wieder Bürger, die uns sagen: Schönen Abend noch und schön, dass Sie da sind. Vor allem bei störungsfreien Einsätzen. Manche freuen sich bei der nächsten Veranstaltung auch, uns wiederzusehen.
Auch von der Politik fühle ich mich wertgeschätzt. Nehmen Sie den Tarifvertrag. Den hat man für uns eins zu eins übernommen. Das ist auch eine Art Wertschätzung. Dass man auch mal kritisiert wird, ist aber normal.
Las: Ich sehe das ähnlich. Während der Pandemie ist dem einen oder anderen Politiker noch bewusster geworden, wie wichtig unser Einsatz ist. Da gab es zuletzt mehrere Beispiele.
Bei uns in Dresden und auch insgesamt in Sachsen ist unsere Ausrüstung im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr gut, das gehört auch dazu.
*Die Namen der Beamten wurden von der Redaktion geändert.