Transitzentren, Fiktion der Nichteinreise, verstärkter Grenzschutz. Die Diskussion um Asylbewerber, Geflüchtete und Migrationspolitik hat fast zu einem Bruch in der Regierung geführt.
Jouanna Hassoun ist seitdem sie sechzehn Jahre alt ist ehrenamtlich tätig, vor allem in den Bereichen Bildung und in Frauenthemen.
Mittlerweile ist die 35-Jährige Geschäftsführerin ihres eigenständig gegründeten Vereines "Transaidency", der sich seit zwei Jahren in der humanitären Hilfe engagiert. Der Verein ist inklusiv, Geflüchtete sind Teil der Projekte, ob passiv oder aktiv. Jouanna ist jeden Tag mit Geflüchteten in Kontakt.
Regelmäßig geht sie mit ihren Vereinsmitarbeitern beispielsweise in Berliner Geflüchtetenunterkünfte und verteilt unter anderem "Deutschtüten" an die Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkunft. In den Tüten sind neben Süßigkeiten und Malsachen für die Kinder auch ein Wörterbuch und das Deutsche Grundgesetz.
Jouanna ist selbst im Alter von sechs Jahren aus dem Libanon nach Deutschland geflüchtet, ihre Familie hat palästinensische Wurzeln.
Wie sieht jemand, der selbst einmal nach Deutschland geflüchtet ist und tagtäglich mit den neu angekommenen Geflüchteten in Kontakt ist, die aktuelle Debatte um Seehofer und Merkel? Was von den aktuellen Diskussion zur Asylpolitik kommt möglicherweise bei denen, über die gesprochen wird, an?
watson: Wie nimmst du die
aktuelle Diskussion zur Asylpolitik wahr?
Jouanna Hassoun: Ich habe es verfolgt, aber irgendwann wurde mir das zu doof.
Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich mir das ganze Affentheater um
Transitzentren oder Ankerzentren nicht geben will. Das ist so peinlich. Leute, wir haben andere Probleme, mit denen wir uns
wirklich beschäftigen müssen! Trotzdem, ich möchte momentan nicht in der Haut unserer
Bundeskanzlerin stecken. Die hat gerade eine sehr schwierige Situation
und eine schwierige Rolle. Ich glaube so manch anderer männlicher Kollege wäre
an ihrer Stelle schon eingeknickt.
Wie bewertest du als
Sozialmanagerin die Idee von Transitzentren?
Naja, wenn wir uns Griechenland, Italien angucken: Da gibt es
schon Ankunftszentren, es wird nur nicht so genannt. Die wichtige Frage ist doch: Werden diese Ankunftszentren human gestaltet? Gibt es
da eine psychologische Betreuung, Sozialarbeiter? Können die Menschen auch aus
diesen Ankunftszentren raus? Oder werden sie wirklich dort festgehalten, bis
das geklärt ist? Und was bedeutet "geklärt"? Sind die Menschen dann eine Woche
dort? Und 24 Stunden, 7 Tage die Woche eingesperrt oder sind es Monate?
Darüber spricht keiner! Konkrete Vorschläge, wie das durchgeführt werden soll, gibt es nicht. Ich kann nur sagen: Das alles darf man nicht einer privaten Firma überlassen, das darf man nicht aufgliedern und einem Betreiber geben, der unglaublich viel Kohle bekommt und die Menschen wie Dreck behandelt. Da bin ich absolut dagegen.
Es spricht nichts gegen Ankunftszentren in meinetwegen Bayern, wo man die Menschen unterbringt, denn sie müssen ja sowieso untergebracht werden, wo man sie registriert, sie sich aber frei bewegen dürfen. Aber solche Zentren an jeder Grenze halte ich angesichts der aktuellen Zahlen für falsch.
Wie meinst du das?
Ich kann verstehen, dass man 2015 bei dem Zustrom und den
vielen Geflüchteten, die angekommen sind, darüber diskutiert hat. Aber diese
Zahlen haben wir nicht mehr. Wenn man sich die aktuellen Zahlen ansieht: 18.349
Geflüchtete, die im Jahr ankommen. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, das
runterzurechnen: Das wären 50 Geflüchtete am Tag in
Deutschland.
Wenn man etwa Transitzentren in ganz Deutschland verteilen möchte,
würden unnötigerweise viel mehr Kosten und brachliegende Stellen entstehen.
Wie kommst du darauf?
Ich sehe das ja an Berlin, an den verschiedenen Orten, die
teilweise aufgemacht worden sind: Die Leute klatschen da Fliegen, da ist
nichts! Die Erstregistrierungsstelle in Tempelhof ist so ein Beispiel, seitdem das
Lageso zugemacht hat. Dort sitzen die Leute und langweilen sich, weil keine
Menschen kommen.
Die genauen Zahlen für Berlin habe ich nicht, aber selbst wenn nur 10 Menschen am Tag kommen würden, was sollen denn beispielsweise 20 Angestellte da den ganzen Tag machen?
Du bist selbst 1989 nach
Deutschland geflohen. Erinnerst du dich noch daran, wie es damals war, an das
Procedere?
Teilweise.
Also wir sind in Berlin angekommen, konnten dann glücklicherweise zu meinem
Onkel ganz kurz und sind dann direkt zur Ausländerbehörde. Da haben wir irgendwann alle sechs Monate unseren Aufenthalt verlängert. Erstmal Duldung, dann
Aufenthaltsgestattung. Wir waren die ersten in der Behörde und die letzten, die
rausgescheucht wurden. Das waren keine schönen Bilder. Bis ich 18 wurde, musste ich das alle 6 Monate durchmachen.
Was für Bilder waren das?
Menschen, die von der Abschiebung bedroht waren, vor der
Polizei weggerannt sind. Aus dem Toilettenfenster gesprungen sind.
Diese Unsicherheit, die ich all die Jahre gespürt habe, ist kein schönes Gefühl. Manche können besser damit umgehen, andere nicht so sehr.
Du bist seit 2009
Sozialmanagerin. Hast du das Gefühl, dass sich die Punkte, die gerade politisch
diskutiert werden, mit deiner Arbeits- und Lebensrealität decken?
Wie soll sich das denn decken, wenn unser Innenminister
behauptet, wir brauchen ein Ankerzentrum um die Flüchtlingsströme zu
regulieren, wo es doch gar keine Flüchtlingsströme gibt! Wie kann das sein?
Was die Realität meiner Arbeit decken würde, wäre, dass man
sich anschaut, was für einen Fachkräftemangel wir haben. Pflegekräfte
unterbezahlt werden. Sich die Menschen die Mieten in Großstädten wie Berlin
nicht mehr leisten können. Das ist die Realität, mit der wir zu kämpfen haben.
Die Flüchtlingsthematik war 2015 und 2016 noch aktuell, wo tatsächlich viele
Geflüchtete nach Deutschland auch eingereist sind. Dass die Politik immer noch
darüber spricht, ist für mich realitätsfern. Man deckt einfach nur Populismus
ab, schürt Ängste und spaltet unsere Gesellschaft.
Wie erlebst du
Geflüchtete in den Unterkünften momentan, wenn du vor Ort bist?
Hoffnungslos. Es ist hoffnungslos. Jetzt vor Kurzem waren
wir mehrere Tage lang Schulmaterial und Süßigkeiten für Kinder und ihre Eltern
verteilen. Sie waren sehr dankbar für das Angebot, aber es ist einfach
hoffnungslos. Es gibt Menschen, die leben seit 5 Jahren in diesen
Unterkünften. Und kriegen kein geregeltes Leben. Nicht, weil sie
nicht wollen, sondern weil sie nicht können. Weil es teilweise nicht politisch
gewollt ist, weil es teilweise auch schwierig ist, mit einer Familie mit fünf bis sechs Kindern
eine bezahlbare Wohnung zu finden, selbst im Speckgürtel von Berlin. Und dann
bleiben die Menschen eben in Unterkünften stecken. Kolleginnen, die in anderen Unterkünften
waren, berichten das Gleiche.
Wie sind die Umstände in so einer Unterkunft?
Es ist einfach nicht schön. Du teilst dir dein Bad immer mit
20 Menschen, deine Küche, du kannst nicht selbstständig für dich entscheiden,
wie du essen und trinken willst. Ich kenne das alles. Ich weiß, wie sich das
anfühlt, ich habe das erlebt, meine Familie hat das erlebt. Von 1989 bis 1995 haben wir in Unterkünften gelebt. Wir haben "Flüchtlingsunterkunft-Hopping" gemacht, wenn man so will. Nicht weil wir wollten, sondern weil wir mussten, es neue
Regelungen gab, keinen Platz mehr für uns, und so weiter.
Was bekommen Geflüchtete von der politischen Stimmung und den Asylpolitik-Diskussionen mit?
Sie bekommen mit, dass sie nicht erwünscht
sind. Ansonsten beschäftigen sich insbesondere alleinstehende Männer und Frauen
ohne ihren Partner oder Partnerin mit der Familienzusammenführung. Ob
das stattfinden kann oder nicht. Es geht ihnen meist darum, kann mein Bruder, mein Mann,
meine Frau, meine Mutter noch nach Deutschland einreisen oder nicht? Wenn nun noch die Einreise erschwert wird, wächst natürlich die Angst bei den Geflüchteten.
Ja, wir können nicht alle aufnehmen. Aber das erwartet auch keiner.
Wie bewertest du Merkels Entscheidung zur
Drei-Punkte-Einigung mit der CSU?
Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken, aber die drei Punkte sind
jetzt auch nicht komplett neu erfunden. Es gibt nur keine konkrete Regelung
dazu, was dann wirklich geschehen soll.
Was mich enttäuscht hat, war, dass es so wenig Rückendeckung für
sie aus der Fraktion gab, den anderen politischen Parteien.
Und all das wird auf Kosten von uns Bürgern – egal welcher Herkunft
– ausgetragen. Wir haben andere Probleme. Die Flüchtlings-Thematik ist nicht
das, was uns wirklich tagtäglich beschäftigt.