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Das sagt eine geflüchtete Sozialmanagerin zur Debatte um Asylpolitik

Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)Bild: dpa / watson
Interview

"Realitätsfern" – Das sagt eine geflüchtete Sozialmanagerin zur Debatte um Asylpolitik

04.07.2018, 12:3904.07.2018, 14:19
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Transitzentren, Fiktion der Nichteinreise, verstärkter Grenzschutz. Die Diskussion um Asylbewerber, Geflüchtete und Migrationspolitik hat fast zu einem Bruch in der Regierung geführt. 

Jouanna Hassoun ist seitdem sie sechzehn Jahre alt ist ehrenamtlich tätig, vor allem in den Bereichen Bildung und in Frauenthemen. 

Mittlerweile ist die 35-Jährige Geschäftsführerin ihres eigenständig gegründeten Vereines "Transaidency", der sich seit zwei Jahren in der humanitären Hilfe engagiert. Der Verein ist inklusiv, Geflüchtete sind Teil der Projekte, ob passiv oder aktiv. Jouanna ist jeden Tag mit Geflüchteten in Kontakt.

Regelmäßig geht sie mit ihren Vereinsmitarbeitern beispielsweise in Berliner Geflüchtetenunterkünfte und verteilt unter anderem "Deutschtüten" an die Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkunft. In den Tüten sind neben Süßigkeiten und Malsachen für die Kinder auch ein Wörterbuch und das Deutsche Grundgesetz.

Jouanna ist selbst im Alter von sechs Jahren aus dem Libanon nach Deutschland geflüchtet, ihre Familie hat palästinensische Wurzeln.

Wie sieht jemand, der selbst einmal nach Deutschland geflüchtet ist und tagtäglich mit den neu angekommenen Geflüchteten in Kontakt ist, die aktuelle Debatte um Seehofer und Merkel? Was von den aktuellen Diskussion zur Asylpolitik kommt möglicherweise bei denen, über die gesprochen wird, an?

Jouanna Hassoun
Jouanna HassounBild:  transaidency
watson hat mit der Sozialmanagerin gesprochen

watson: Wie nimmst du die aktuelle Diskussion zur Asylpolitik wahr?
Jouanna Hassoun: Ich habe es verfolgt, aber irgendwann wurde mir das zu doof. Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich mir das ganze Affentheater um Transitzentren oder Ankerzentren nicht geben will. Das ist so peinlich. Leute, wir haben andere Probleme, mit denen wir uns wirklich beschäftigen müssen! Trotzdem, ich möchte momentan nicht in der Haut unserer Bundeskanzlerin stecken. Die hat gerade eine sehr schwierige Situation und eine schwierige Rolle. Ich glaube so manch anderer männlicher Kollege wäre an ihrer Stelle schon eingeknickt.

Wie bewertest du als Sozialmanagerin die Idee von Transitzentren?
Naja, wenn wir uns Griechenland, Italien angucken: Da gibt es schon Ankunftszentren, es wird nur nicht so genannt. Die wichtige Frage ist doch: Werden diese Ankunftszentren human gestaltet? Gibt es da eine psychologische Betreuung, Sozialarbeiter? Können die Menschen auch aus diesen Ankunftszentren raus? Oder werden sie wirklich dort festgehalten, bis das geklärt ist? Und was bedeutet "geklärt"? Sind die Menschen dann eine Woche dort? Und 24 Stunden, 7 Tage die Woche eingesperrt oder sind es Monate?

Darüber spricht keiner! Konkrete Vorschläge, wie das durchgeführt werden soll, gibt es nicht. Ich kann nur sagen: Das alles darf man nicht einer privaten Firma überlassen, das darf man nicht aufgliedern und einem Betreiber geben, der unglaublich viel Kohle bekommt und die Menschen wie Dreck behandelt. Da bin ich absolut dagegen.

Es spricht nichts gegen Ankunftszentren in meinetwegen Bayern, wo man die Menschen unterbringt, denn sie müssen ja sowieso untergebracht werden, wo man sie registriert, sie sich aber frei bewegen dürfen. Aber solche Zentren an jeder Grenze halte ich angesichts der aktuellen Zahlen für falsch.

Wie meinst du das?
Ich kann verstehen, dass man 2015 bei dem Zustrom und den vielen Geflüchteten, die angekommen sind, darüber diskutiert hat. Aber diese Zahlen haben wir nicht mehr. Wenn man sich die aktuellen Zahlen ansieht: 18.349 Geflüchtete, die im Jahr ankommen. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, das runterzurechnen: Das wären 50 Geflüchtete am Tag in Deutschland. Wenn man etwa Transitzentren in ganz Deutschland verteilen möchte, würden unnötigerweise viel mehr Kosten und brachliegende Stellen entstehen.

Wie kommst du darauf?
Ich sehe das ja an Berlin, an den verschiedenen Orten, die teilweise aufgemacht worden sind: Die Leute klatschen da Fliegen, da ist nichts! Die Erstregistrierungsstelle in Tempelhof ist so ein Beispiel, seitdem das Lageso zugemacht hat. Dort sitzen die Leute und langweilen sich, weil keine Menschen kommen. 

Es sind einfach nicht so viele Menschen da, die sich registrieren lassen wollen.

Die genauen Zahlen für Berlin habe ich nicht, aber selbst wenn nur 10 Menschen am Tag kommen würden, was sollen denn beispielsweise 20 Angestellte da den ganzen Tag machen?

Merkel und Seehofer
Merkel und SeehoferBild: dpa

Du bist selbst 1989 nach Deutschland geflohen. Erinnerst du dich noch daran, wie es damals war, an das Procedere?
Teilweise. Also wir sind in Berlin angekommen, konnten dann glücklicherweise zu meinem Onkel ganz kurz und sind dann direkt zur Ausländerbehörde. Da haben wir irgendwann alle sechs Monate unseren Aufenthalt verlängert. Erstmal Duldung, dann Aufenthaltsgestattung. Wir waren die ersten in der Behörde und die letzten, die rausgescheucht wurden. Das waren keine schönen Bilder. Bis ich 18 wurde, musste ich das alle 6 Monate durchmachen.

Was für Bilder waren das?
Menschen, die von der Abschiebung bedroht waren, vor der Polizei weggerannt sind. Aus dem Toilettenfenster gesprungen sind. 

Meine Familie und ich saßen immer da und haben gedacht: "Bitte lass uns nicht die nächsten sein!"

Diese Unsicherheit, die ich all die Jahre gespürt habe, ist kein schönes Gefühl. Manche können besser damit umgehen, andere nicht so sehr.

Du bist seit 2009 Sozialmanagerin. Hast du das Gefühl, dass sich die Punkte, die gerade politisch diskutiert werden, mit deiner Arbeits- und Lebensrealität decken?
Wie soll sich das denn decken, wenn unser Innenminister behauptet, wir brauchen ein Ankerzentrum um die Flüchtlingsströme zu regulieren, wo es doch gar keine Flüchtlingsströme gibt! Wie kann das sein?

Ich habe das Gefühl, Seehofer ist mit seinen Gedanken in 2015 stehen geblieben.

Was die Realität meiner Arbeit decken würde, wäre, dass man sich anschaut, was für einen Fachkräftemangel wir haben. Pflegekräfte unterbezahlt werden. Sich die Menschen die Mieten in Großstädten wie Berlin nicht mehr leisten können. Das ist die Realität, mit der wir zu kämpfen haben. Die Flüchtlingsthematik war 2015 und 2016 noch aktuell, wo tatsächlich viele Geflüchtete nach Deutschland auch eingereist sind. Dass die Politik immer noch darüber spricht, ist für mich realitätsfern. Man deckt einfach nur Populismus ab, schürt Ängste und spaltet unsere Gesellschaft.

Wie erlebst du Geflüchtete in den Unterkünften momentan, wenn du vor Ort bist?
Hoffnungslos. Es ist hoffnungslos. Jetzt vor Kurzem waren wir mehrere Tage lang Schulmaterial und Süßigkeiten für Kinder und ihre Eltern verteilen. Sie waren sehr dankbar für das Angebot, aber es ist einfach hoffnungslos. Es gibt Menschen, die leben seit 5 Jahren in diesen Unterkünften. Und kriegen kein geregeltes Leben. Nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie nicht können. Weil es teilweise nicht politisch gewollt ist, weil es teilweise auch schwierig ist, mit einer Familie mit fünf bis sechs Kindern eine bezahlbare Wohnung zu finden, selbst im Speckgürtel von Berlin. Und dann bleiben die Menschen eben in Unterkünften stecken. Kolleginnen, die in anderen Unterkünften waren, berichten das Gleiche.

Wie sind die Umstände in so einer Unterkunft?
Es ist einfach nicht schön. Du teilst dir dein Bad immer mit 20 Menschen, deine Küche, du kannst nicht selbstständig für dich entscheiden, wie du essen und trinken willst. Ich kenne das alles. Ich weiß, wie sich das anfühlt, ich habe das erlebt, meine Familie hat das erlebt. Von 1989 bis 1995 haben wir in Unterkünften gelebt. Wir haben "Flüchtlingsunterkunft-Hopping" gemacht, wenn man so will. Nicht weil wir wollten, sondern weil wir mussten, es neue Regelungen gab, keinen Platz mehr für uns, und so weiter.

Was bekommen Geflüchtete von der politischen Stimmung und den Asylpolitik-Diskussionen mit?
Sie bekommen mit, dass sie nicht erwünscht sind. Ansonsten beschäftigen sich insbesondere alleinstehende Männer und Frauen ohne ihren Partner oder Partnerin mit der Familienzusammenführung. Ob das stattfinden kann oder nicht. Es geht ihnen meist darum, kann mein Bruder, mein Mann, meine Frau, meine Mutter noch nach Deutschland einreisen oder nicht? Wenn nun noch die Einreise erschwert wird, wächst natürlich die Angst bei den Geflüchteten.

Ich frage mich: Wo ist der Humanismus geblieben? Niemand nimmt euch etwas weg!

Ja, wir können nicht alle aufnehmen. Aber das erwartet auch keiner.

Wie bewertest du Merkels Entscheidung zur Drei-Punkte-Einigung mit der CSU?
Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken, aber die drei Punkte sind jetzt auch nicht komplett neu erfunden. Es gibt nur keine konkrete Regelung dazu, was dann wirklich geschehen soll. 

Ich weiß nicht, woran es scheitert, dass sie Seehofer nicht offiziell entlässt, auch weil es so respektlos ist, wie er mit ihr als Bundeskanzlerin umgeht.

Was mich enttäuscht hat, war, dass es so wenig Rückendeckung für sie aus der Fraktion gab, den anderen politischen Parteien. Und all das wird auf Kosten von uns Bürgern – egal welcher Herkunft – ausgetragen. Wir haben andere Probleme. Die Flüchtlings-Thematik ist nicht das, was uns wirklich tagtäglich beschäftigt.

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