CDU und CSU haben sich auf Transitzentren an der Grenze zu Österreich verständigt. Diese sollen sicherstellen, dass Aylbewerber nicht nach Deutschland einreisen, wenn sie bereits in einem anderen EU-Land registriert worden sind.
Die Kritik von Menschenrechtsorganisationen: Der politische Streit werde auf dem Rücken der Schutzsuchenden ausgefochten. Ein Interview mit Pro Asyl über Transitzentren, deutsche Vorhaben und europäisches Recht.
Bernd Mesovic ist Leiter der Abteilung Rechtspolitik von Pro Asyl.
Herr Mesovic, wie bewerten Sie die Entscheidung der Union, an der Grenze zu Österreich Transitzentren zu errichten?
Aus meiner Sicht ist es außerordentlich fragwürdig, ob das geht. Meine Sorge ist vor allem, dass dort die Prüfverfahren über das Knie gebrochen
werden könnten. Das Dublin Abkommen schreibt ein bestimmtes Prüfverfahren
vor. Dabei ersucht Deutschland den entsprechenden Staat, in dem es vermutet,
dass der Geflüchtete registriert wurde und übergibt ihm die Indizien. Dann prüfen die Behörden dort, ob dem tatsächlich so ist und müssen gegebenenfalls ihre Zustimmung geben. Diese
Prozedur kann man nicht ersetzen, sie ist europäisches Recht.
Und wenn das Prüfverfahren doch beschleunigt wird...?
Auch im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens
gelten die Regelungen der Dublin-III-Verordnung. Wenn etwa ein minderjähriger Asylsuchender
Angehörige der Kernfamilie in Deutschland hat, dann kann dies die Zuständigkeit
Deutschlands für das Asylverfahren begründen. Außerdem muss jemand, der
seinen Fingerabdruck in Spanien oder Italien abgegeben hat, nicht zwingend dort
in einem Asylverfahren sein. Die
jeweiligen Staaten müssen im Rahmen der durch die Dublin-Verordnung
vorgesehenen Prozedur zwecks Rücküberstellung angefragt werden.
Die Union spricht nun von "fiktionaler Nichteinreise" und verweist auf Transitzentren an Flughäfen...
Das kann man nicht
vergleichen. Transitzonen wie an Flughäfen, wo Asylsuchende als nichteingereist
gelten, sind an den Schengen-Binnengrenzen innerhalb Europas gar nicht
zulässig. Flughäfen sind aber Schengen-Außengrenze. Die Einrichtung von
geschlossenen Transitzentren zum Beispiel an der deutsch-österreichischen
Grenze wäre ein klarer Verstoß gegen den Schengener Grenzkodex.
Die SPD hat sich in der Vergangenheit deutlich gegen Transitzentren ausgesprochen. Was sind Ihre Forderungen an die Partei?
Man kann
nur hoffen, dass es eine deutliche
Positionierung geben wird. Die Transitzentren stehen ja nicht im
Koalitionsvertrag. Und Verträge sind einzuhalten. Die Partei sollte nicht für
tagespolitische Eitelkeiten von Herrn Seehofer zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sind die
Planungen europarechtswidrig und können vom nationalen Gesetzgeber nicht eigenmächtig geändert werden.
Angela Merkel hat in der Vorwoche auf dem EU-Gipfel zugestimmt, sogenannte Ausschiffungszentren in Nordafrika zu errichten. Dort sollen Flüchtlinge aufgenommen werden, die im Mittelmeer zwischen Afrika und Europa gerettet wurden. Wie bewerten Sie das?
Das ist
keine Lösung. Es ist nicht klar, wo diese Zentren stehen sollen und wie sie
funktionieren würden. Wie
sollen Flüchtlinge ihre Rechte nach der Genfer Flüchtlingskonvention geltend
machen in Staaten, die zum Teil nicht Unterzeichnerstaat sind, geschweige denn
ein Asylsystem kennen? Algerien und Ägypten haben bereits angekündigt,
nicht mitzumachen. Und mit
Milizen in Libyen zusammen zu arbeiten, heißt mit Menschenrechtsverletzern und
Räubern zu kooperieren. Geflüchtete dorthin zurückzuschicken, würde
bedeuten, dass sie in menschenrechtswidrigen Lagern landen. Dort besteht die Gefahr,
dass sie gefoltert oder von Menschenhändlern bedroht werden, die mit den Milizen eng
verbunden sind.
Sie sehen also in solchen Zentren einen Verstoß gegen das Völkerrecht?
Wenn Menschen davon
abgehalten werden, ihren Asylantrag in Europa zu stellen, indem sie in Staaten
außerhalb der EU zurückgeschickt werden, dann ist das ein Anschlag auf die Genfer
Flüchtlingskonvention. Die
EU will sich aus dem System des internationalen Flüchtlingsschutzes herauslösen
– zu Lasten insbesondere der Staaten, die seit Jahrzehnten mehr als 85 Prozent
der Flüchtlinge in dieser Welt aufnehmen.
Mit den
„Ausschiffungszentren“ will man offenbar geltendes Seerecht umgehen. Das
besagt: Schiffbrüchige müssen in
einen sicheren Hafen gebracht werden, wo ihnen keine völkerrechtswidrige Zurückweisung droht und wo sie
versorgt werden. Die Europäische Menschenrechtskonvention schützt zudem
vor Kollektivausweisungen und ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte aus dem Jahr 2012 besagt:
Auf dem EU-Gipfel wurde auch beschlossen, sogenannte kontrollierte Zentren innerhalb der Europäischen Union einzurichten. Wie könnten diese aussehen?
Wie eine
verschärfte Form der Lager, die wir aus Griechenland kennen, zum Beispiel Moria
auf Lesbos. Menschen werden dort quasi wie in einem Gefängnis gehalten, sie
fühlen sich wie auf dem Abfallhaufen des europäischen Asylrechts. Dieses Konzept der sogenannten
„Hotspots“ soll nach Seehofers Vorstellungen im Masterplan zum EU-Standardmodell
werden.
Die Geflüchteten haben kaum Rechte, ihre Versorgung ist katastrophal, die medizinische Behandlung schlecht. Es sind Hotspots des Elends.
Griechenland ist administrativ unterausgestattet, die Behörden tun sich schwer, das, was uns als rechtsstaatlich selbstverständlich gilt, umzusetzen. Aber die meisten Flüchtlinge kommen aktuell nun mal über Griechenland in die EU.
In den EU-Beschlüssen ist viel von Freiwilligkeit die Rede. Was bezweckt die CSU mit ihrer Forderungen nach neuen Zentren, wenn die europäischen Pläne gleichzeitig so vage sind?
Es geht
um Symbolik. Seit 2015 hat erst die AfD, dann die CSU von einem Kontrollverlust
gesprochen, der bekämpft werden muss. Schaut man auf die reinen Zahlen,
besteht zu der Handlungshektik für Masterpläne kein so starker Druck, dass man daraus ein Szenario für
eine Regierungskrise ableiten müsste. Die Zahl der Asylbewerber ist 2017
deutlich gesunken – auch wenn sich die Fluchtgründe kaum geändert haben und die eingesetzten
Abschottungsmethoden an den Außengrenzen mehr als fragwürdig sind.
Seehofers Masterplan versus Merkels ursprünglicher Ansatz – wo sehen Sie Gefahren?
Man muss
Frau Merkel zu Gute halten, dass sie 2015 gehandelt hat, als die Flüchtlinge an
den Grenzen ankamen. Hier
muss klargestellt werden:
Ich halte ihren ersten Impuls "Wir schaffen das" für authentisch. Geschlossene Grenzen kennt sie aus der deutschen Vergangenheit. Seit dem aber ist sie fast ohne Skrupel in der Gegenrichtung unterwegs und vom Ausgangsimpuls, der ja ursprünglich aus der Zivilgesellschaft kam, ist nichts geblieben.
Wie denn?
Jetzt
gerade zum Beispiel stimmt sie fast allen Punkten von Seehofers Masterplan zu – auch wenn viele davon sehr
schlimme, ignorante Maßnahmen beinhalten und zum Teil gegen europäisches oder internationales
Flüchtlingsrecht verstoßen.
Was bedeutet dieser Asylstreit mit seinen neuen Beschlüssen für Europa?
Europa
wollte eine Wertegemeinschaft werden. Wäre dem so, würden alle Mitglieder im
Rahmen ihrer Möglichkeiten an einer gemeinsamen Asylpolitik mitwirken. Wenn man aber bereits innerhalb
der EU nach dem Florians-Prinzip miteinander umgeht – "Verschon mein
Haus, zünd andere an" – dann macht man Unzuständigkeit zum Prinzip
anstelle politischer Gestaltung.
Mit solchen Methoden geht die EU auch in anderen Politikfeldern in Richtung politischer Bedeutungslosigkeit. Der einzig gemeinsame Nenner scheint zu sein, dafür sorgen zu wollen, dass Flüchtlinge die EU gar nicht mehr erreichen und anderen Kontinenten den Schutz von Flüchtlingen als alleinige Aufgabe aufzunötigen.