Madeleine Henfling sitzt als Abgeordnete der Grünen seit 2014 im Thüringer Landtag. Am Mittwoch erschien sie zur Abstimmung der Plenarsitzung mit ihrem wenige Wochen alten Sohn. Der Landtagspräsident Christian Carius (CDU) ließ sie deshalb des Saales verweisen. Jetzt will die 35-Jährige vor das Verfassungsgericht ziehen.
watson: Frau Henfling, schildern Sie uns nochmal genau, was Mittwoch passiert ist?
Henfling: Mittwochs beginnen wir unsere dreitägige Plenardebatte, am
Anfang stimmen wir die Tagesordnung ab. Im Juli ist mein Sohn geboren, das war
jetzt die erste Plenarsitzung nach der Sommerpause und ich wollte zur
Abstimmung der Tagesordnung – weil es da durchaus eine Kontroverse mit der
Opposition gab – dabei sein. Ich bin also mit meinem mittlerweile sieben Wochen alten Sohn rein. Da hat der Landtagspräsident Herr Carius mir zuerst zur
Geburt des Kindes gratuliert und dann gesagt, dass es keine Kinderbetreuung
im Landtag geben wird. Anschließend sagte er, dass er die Sitzung so lange
unterbricht, bis ich mit dem Kind den Saal verlasse. Dabei hat er unter anderem
Kindeswohlgefährdung angeführt. Ich bin dann raus, dann gab es noch eine
Intervention von den Kollegen der Grünen und Linken und eine
Ältestenratssitzung dazu – die haben aber gesagt, sie können das nicht
entscheiden, da in der Hausordnung steht, dass der Präsident die
Ausnahmegenehmigung erteilen muss.
Sie sind Mutter von drei Kindern, seit 2014 im Thüringer Landtag. Ist Ihnen so etwas vorher schon mal passiert? Mein Sohn ist mal rausgeflogen, der ist aber schon zehn Jahre alt. Das war jetzt nicht so ganz schlimm, da er alt genug war, um draußen auf mich zu warten. Aber bei Kleinkindern ist das nochmal eine andere Geschichte. So etwas ist nicht nur mir, sondern auch anderen Kolleginnen und Kollegen passiert, das waren dann aber immer ältere Kinder. Eine Kollegin von der SPD ist auch schon mit Baby rausgeflogen, aber eben nicht mit diesen Begründungen, sondern da kam einfach nur ein Kollege von der Verwaltung und hat sie nach draußen geschickt. Ohne ihr direkt Kindeswohlgefährdung zu unterstellen.
War Ihnen bewusst,
dass Sie des Saales verwiesen werden könnten?
Ich wusste, dass es eine Kontroverse gibt, da wir die
Diskussion nicht erst seit zwei Tagen führen. Schon seit Monaten bitte ich zusammen mit meiner Fraktion darum, dass
wir Kinder mit in den Plenarsaal nehmen können. Zumindest, wenn wir abstimmen. Es gab auch schon Gespräche mit unserer
Fraktions-Geschäftsführung und der Landtagsverwaltung, aber eben bisher keine Bewegung
in der Frage. Ich hätte nicht erwartet, dass mich der Präsident mit so
einer krassen Begründung rausschickt. Ich hätte gedacht, er sagt: ‚Schön,
dass Sie da sind, Sie können jetzt erstmal abstimmen und dann finden wir eine andere Lösung.‘ Aber
die Begründung, ich würde mein Kind gefährden im Plenarsaal, weil es da so laut
und hell ist – da gibt es Tageslicht – fand ich starken Tobak und das habe
ich persönlich genommen.
Haben Sie dann im Anschluss nochmal mit Herrn Carius gesprochen?
Ich sehe mich nicht in der Pflicht, auf ihn zu zu gehen. Es ist auch nicht der erste Konflikt, den wir miteinander haben, bisher hat er eher selten das persönliche Gespräch gesucht, auch nicht, was die Frage der Regelung angeht. Er kannte
meinen Vorschlag und auch mein Begehr, da es auch in anderen Landtagen möglich
ist – aber ist nicht darauf eingegangen und hat pauschale Absagen erteilt, wie: 'Kinder haben im Plenarsaal nichts zu suchen.'
Es geht darum, dass man sein Recht zur Abstimmung wahrnehmen und seine Arbeit als Abgeordnete machen kann. Und irgendwann müssen wir zu einer Lösung kommen.
Klären Sie uns kurz
auf: Ist das nur in Thüringen ein Problem?
Bisher scheint es tatsächlich in vielen Landtagen Ausnahmeregelungen zu geben, sodass man sein Kind zu Abstimmungen mit in
den Raum nehmen kann. Im Berliner Abgeordnetenhaus geht das, dort gibt es auch eine Kinderbetreuung. In Sachsen und
Bayern habe ich Kolleginnen, die das gemacht haben. Auch da gab es absolut keine
Diskussion darüber, ob die Kinder jetzt mal mit ins Plenum dürfen. Bisher
habe ich noch von keinem Landtag gehört, bei dem das ein Problem wäre. Der
rheinland-pfälzische Landtag hat mir zum Beispiel geschrieben, dass sie das definitiv anders entschieden
und eine familienfreundliche Lösung gefunden hätten.
Es ist eben schwierig, wenn die Entscheidungsmacht bei einem Präsidenten liegt, der nicht Teil der Koalition, sondern der CDU-Fraktion
ist.
Was glauben Sie denn, hat Herrn Carius zu seinem Entschluss bewogen?
Ich kann es nicht sagen, aber die Position scheint zu sein: Frauen sollen, sobald sie Mütter werden, so lange
zuhause bleiben, bis die Kinder in einem Alter sind, wo sie nicht mehr stören. Das
finde ich schon erstaunlich, denn er ist ja gerade mal Anfang 40 und nicht aus einer ganz anderen Generation. Ich bin sehr zäh und arbeite schon immer mit Kindern, habe glücklicherweise eine Familie, die mich unterstützen kann. Aber wenn man in ein Klima kommt, in dem man das Gefühl hat, dass es nicht okay ist, sein Kind mitzubringen, schräg angeguckt wird und dann noch Kindeswohlgefährdung unterstellt bekommt, stellt sich mir die Frage: ‚Warum macht man das?‘ Das muss nun wirklich nicht sein. Ich bin ja nicht die Einzige, die Kinder im Landtag hat. Das Gefühl, das mitschwingt ist:
Das ist aber nur meine Vermutung, ich kenne seine Position nicht.
Was kann man jetzt
tun und was sind Ihre weiteren Schritte?
Ich komme jetzt erstmal nicht mehr mit Kind in die Sitzung,
ich will schließlich nicht dafür sorgen, dass ständig die Plenarsitzung abgebrochen
wird. Wir haben als Fraktion jetzt geguckt, inwieweit wir rechtlich gegen
den Landtag vorgehen können und erwägen gerade zu klagen und das vor dem
Verfassungsgericht klären zu lassen. Das ist eine Einschränkung
meines Mandates.