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Deutschland
Wenn der Ausländer beim Bäcker in der Schlange...
14.05.2018, 12:2222.06.2018, 09:58
Christian Lindner und Alexander Dobrindt haben an diesem
Wochenende Sätze gesagt, die tief blicken lassen. Sätze, die wenig über die
tatsächliche Situation dieses Landes erzählen, aber viel über die Erzählenden
und ihre Politik selbst.
Der Fall Lindner
Auf dem FDP-Parteitag, der unter dem fetzigen Leitspruch
„Innovation Nation“ stand, formulierte der Parteivorsitzende Christian Lindner
sein Verständnis einer innovativen Nation – wählergerecht verpackt in eine launige
Bäckerparabel.
Denn: Immer dann, wenn Politik nicht weiß, wie sie
komplizierte Sachverhalte an den Mann oder die Frau bringen soll, kommen der
Klempner, die Putzfrau, die Krankenschwester oder eben der Bäcker ins Spiel. Die
Botschaft: ganz nah am Menschen. Das versteht jeder. Beim Bäcker stehen alle.
Der Ausländer auch.
Dabei sind diese vermeintlichen „Kleine-Leute-Geschichten“ ein
Affront gegen den mündigen Bürger. Weil solche Formulierungen unterstellen,
dass der Wähler im Grunde ein Idiot ist. Dass er erst dann in der Lage ist,
einen Sachverhalt zu verstehen, wenn man Unterbezahlte und Menschen mit
Migrationshintergrund oder Geflüchtete gegeneinander ausspielt. Im Übrigen ist
es das klassische Repertoire eines Populisten.
Oder meint Lindner das alles ganz anders?
Lindners Erzählung beginnt dann auch wie ein schlechter Witz
(Steht ein Ausländer beim Bäcker in der Schlange...) und endete mit einer noch
viel schlechteren Pointe.
Die Bäckerparabel ging so:
„Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer.“
Es scheint Christian Linder wichtig zu sein, welche
Qualifikation „ein Ausländer“ hat, damit der in Ruhe und ohne schräg angeguckt
zu werden beim Bäcker ein Brötchen bestellen kann. Die guten „Ausländer“, das
sind die Hochqualifizierten. Die schlechten, die anderen. Die ja im Zweifel nur
geduldet oder illegal sein könnten.
Voraussetzung, um in diesem Land unbehelligt ein Brötchen zu
kaufen, sind Herkunft, Qualifikation und Aufenthaltsstatus des Brötchenkäufers.
Ernsthaft? Haben Menschen also gute Gründe, Menschen anderer
Herkunft beim Bäcker schief anzuschauen?
Ist das die Botschaft des Parteivorsitzenden einer
traditionsreichen deutschen Partei, die „liberal“ in ihrem Namen trägt?
Die Geschichte vom Ausländer beim Bäcker in der Schlange
geht noch weiter:
„Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen die anderen, die in der Reihe stehen, damit sie nicht diesen einen schief anschauen und Angst vor ihm haben, müssen sich alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich legal bei uns aufhält. Die Menschen müssen sich sicher sein. Auch wenn jemand anders aussieht und noch nur gebrochen deutsch spricht, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt.“
Nein, lieber Herr Lindner, das Sicherheitsgefühlt ist nicht
durch holprig deutsch sprechende Menschen beim Bäcker bedroht, die in
Deutschland illegal sein könnten, sondern durch solche Sätze, die darauf
abzielen, das subjektive Sicherheitsgefühl im negativen Sinne zu beeinflussen.
Die Botschaft: Ihr könnt euch nicht mal mehr beim Bäcker in der Schlange sicher
sein.
Manche ziehen bereits Konsequenzen:
Ist das Aufgabe von Politik? Verständnis für Vorurteile
aufzubringen? Den Menschen Erklärungen zu liefern, dafür, dass ihr schiefer
Blick ja berechtigt sein könnte? Ist es nicht vielmehr Aufgabe von Politik,
gegen das Vorurteil zu kämpfen, statt den Menschen ihre Vorurteile durchgehen
zu lassen? Sollte Politik nicht das Ressentiment bekämpfen, statt den
Reaktionären das Feld zu bestellen?
Und: Gilt nicht die Unschuldsvermutung? Auch beim Bäcker? Und
wenn einer an der Käsetheke lupenreines Hochdeutsch spricht, warum macht der
sich nicht verdächtig? Vielleicht hat er ja sein Auto getunt, die
Steuererklärung nicht gemacht, schwarze Kassen im Hobbykeller oder vielleicht schlägt er seine Frau.
Wenn wir das Beispiel Lindners – und was daraus folgt – zur
Grundlage eines gesellschaftlichen Zusammenlebens machen, dann ist wirklich
jeder dem Menschen Wolf. Dann steht der Zweifel beim Bäcker in der Schlange.
Dann geht die Angst Brötchen holen.
Christian Lindner fühlt sich jetzt missverstanden. Und
meldete sich via Twitter zu Wort: „Wer in meinen Äußerungen Rassismus lesen
will oder Rechtspopulismus, der ist doch etwas hysterisch unterwegs. Ich
glaube, solche Debatten muss man nüchterner und vernünftiger führen.“
Ja, Herr Lindner, das glauben wir auch. Es wäre an der Zeit,
mit gutem (Ausländer-Bäcker freiem) Beispiel voranzugehen.
Was uns zum Fall Dobrindt bringt
Auch Alexander Dobrindts Botschaft gilt dem subjektiven
Sicherheitsgefühl des verängstigten Deutschen. Die Dobrindt’sche Logik: Wenn
Ausländer mit abgelehntem Asylantrag klagen, gefährdet das den Rechtsstaat.
Dobrindt formulierte das so: "Die
Anti-Abschiebe-Industrie nutzt die Mittel des Rechtsstaates, um ihn durch eine
bewusst herbeigeführte Überlastung von innen heraus zu bekämpfen." Weiter
sagte der CSU-Politiker in der „Bild am Sonntag“:
"2015 wurden unsere Grenzen überrannt, jetzt versuchen Abschiebe-Saboteure das Gleiche mit unseren Gerichten."
Unter der "Anti-Abschiebe-Industrie" verstehe er
"eine unsägliche Allianz von Zwangsideologen und Partikularinteressen, die
durch Klagewellen versucht, Abschiebungen zu verhindern und die Durchsetzung
des Rechtsstaates zu sabotieren."
Zusammengefasst: Wer in einem Rechtsstaat Rechtsmittel
einlegen darf und wer nicht, entscheidet also Alexander Dobrindt. Weil Menschen
ihre demokratischen Rechte nutzen, sind sie Feinde des Rechtsstaates. Saboteure.
Das ist ein sehr spezielles Verständnis von Rechtsstaat und Demokratie.
Die Erfolgsquote solcher Klagen lag im Übrigen für das Jahr
2017 bei mehr als 40 Prozent. (Welt) Nach der
Logik Dobrindts müssten dann die Saboteure unmittelbar auf den Richterstühlen
sitzen.
Fazit:
Lindner unterscheidet zwischen guten und schlechten „Ausländern“.
Für Dobrindt ist der Rückgriff auf Rechtsmittel Sabotage. Zwei Aussagen zweier
Spitzenpolitiker in Deutschland zeigen, wie viel sie von Rechtsstaatlichkeit
und Demokratie verstehen – nämlich nichts.
Und es zeigt, wie der Versuch rechte Wähler zurück in die Mitte zu holen, nicht die Ränder geschwächt, sondern die Mitte radikalisiert hat. Der Diskurs hat sich
verschoben. Darüber freut sich vor allem eine: die AfD.
So langsam füllt sich Donald Trumps Wunschkabinett. Für viele wichtige Posten plant der designierte US-Präsident dabei mit Hardlinern. So will er etwa den Fox-News-Moderator Pete Hegseth zum Verteidigungsminister machen.