Kamala Harris befindet sich im Endspurt im Wahlkampf der US-Präsidentschaftswahl.Bild: POOL AP / Jacquelyn Martin
Interview
Nicht nur im Swing State North Carolina kämpft Kamala Harris um die Unterstützung der schwarzen Wählerschaft. Warum sich Afroamerikaner:innen von der Demokratin abwenden, erklärt Politikwissenschafts-Professor Isaac Unah im Interview.
ralph steiner, washington, watson.ch
Watson: Was ist nebst wirtschaftlichem Aufschwung und einer akademischen Wählerschicht ausschlaggebend dafür, dass North Carolina zu einem Swing State geworden ist?
Isaac Unah: Lange galt North Carolina als konservative Hochburg der Republikaner. 2008 betrat ein kluger, wortgewandter Kandidat namens Barack Obama die Bühne und läutete einen Wandel ein. Rund jeder vierte Bewohner von North Carolina ist afroamerikanisch, diese Menschen zog es damals zahlreich an die Urnen, um den afroamerikanischen Barack Obama zu unterstützen. Doch Obama blieb der einzige demokratische Präsidentschaftskandidat in den letzten vierzig Jahren, der den Staat gewinnen konnte.
"Weiße Männer, hispanische Männer, schwarze Männer sind einfach weniger dazu bereit, eine Frau zu unterstützen."
Hat Kamala Harris die afroamerikanische Wählerschaft bislang ebenso mobilisieren können?
Die Demokraten hoffen, dass Kamala Harris, deren Wurzeln teils afroamerikanisch sind, bei dieser Bevölkerungsschicht punkten kann. Schaut man sich in North Carolina die Auswertung der vorzeitigen Stimmabgabe jedoch an, ist die Wahlbeteiligung der Schwarzen tiefer als erwartet. Sie liegt sogar niedriger als zur gleichen Zeit im letzten Präsidentschaftswahlkampf, als Joe Biden hier knapp verlor. Wenn sich der Staat an seiner Vergangenheit orientiert, ist Donald Trump im Vorteil. Es sei denn, eine späte schwarze Mobilisierungswelle kann dazu beitragen, dass sich das Blatt noch wendet.
Bild: watson.ch
Zur Person
Isaac Unah ist Professor für Politikwissenschaften an der University of North Carolina in Chapel Hill. Zu seinen Forschungsinhalten gehören juristische Institutionen und deren Einfluss auf die öffentliche Politik. Einer seiner Schwerpunkte ist Rassismus in Strafprozessen.
Was sind die Gründe, dass Harris bei dieser Wählergruppe landesweit nicht so gut ankommt?
Einer der Gründe, warum Kamala Harris bislang weniger Unterstützung bei schwarzen Wählern – insbesondere bei Männern – findet, als dies etwa bei Barack Obama der Fall war, ist ihr Geschlecht. Seien wir ehrlich, die USA haben noch nie eine Frau als Präsidentin gewählt. Für viele Männer, unabhängig ihrer Herkunft, existiert eine starke Abneigung gegenüber der Vorstellung einer weiblichen Präsidentin. Dass es Frauen in der Politik grundsätzlich schwerer haben, zu männlichen Wählern durchzudringen, ist wissenschaftlich eindeutig belegt. Weiße Männer, hispanische Männer, schwarze Männer sind einfach weniger dazu bereit, eine Frau zu unterstützen.
Was sind weitere Faktoren?
Ein weiterer Erklärungsansatz für die niedrige Unterstützung von Kamala Harris speziell unter schwarzen Männern ist ihre Vergangenheit als Staatsanwältin. Diese kommt bei dieser Schicht nicht gut an, da diese demografische Gruppe in den USA statistisch am stärksten von Strafverfolgung betroffen ist. Die negative Wahrnehmung, die schwarze Männer mit der Justiz verbinden, färbt auf Kamala Harris ab.
"Dunkelhäutig zu sein, ist im amerikanischen Strafprozess ein stiller, erschwerender Faktor."
Inwiefern werden schwarze Männer von der Strafverfolgung benachteiligt?
Es gibt unwiderlegbare Beweise, die zeigen, dass die ethnische Herkunft in allen Phasen des Strafverfolgungsprozesses eine große Rolle spielt. Sie beeinflusst, wo Polizeikontrollen stattfinden, wen die Beamten festnehmen, wie Verhöre durchgeführt werden, wie die Geschworenen urteilen. Es ist wahrscheinlicher, dass Staatsanwälte bei einem Afroamerikaner für das gleiche Verbrechen eine härtere Strafe fordern, als bei einer weißen Person. Dunkelhäutig zu sein, ist im amerikanischen Strafprozess ein stiller, erschwerender Faktor. Erschwerend insofern, als er die Wahrscheinlichkeit einer hohen Strafe erhöht, und still, weil man über diesen Faktor nicht spricht, er aber stets präsent ist.
Die jüngsten Umfragedaten sprechen für Kamala Harris, doch sie muss weiter kämpfen.Bild: imago images / scott hasse
Befasst sich das politische Programm von Kamala Harris mit dieser Form von Diskriminierung?
Definitiv. Ich halte ihre diesbezüglichen Positionen für äußerst vernünftig und fortschrittlich. Sie versucht, unser Land vor einer Rückkehr in die 1940er-, 50er- und 60er-Jahre zu bewahren, als in den Vereinigten Staaten eine hasserfüllte Rassenfeindlichkeit herrschte, die sich gegen Schwarze und Minderheiten richtete. Donald Trump hingegen verfolgte während seiner Amtszeit im Weißen Haus eine sehr aggressive Strafrechtspolitik. Durch seine Ernennung von drei stark konservativen Richtern für den Obersten Gerichtshof wurden fortschrittliche Bürgerrechtsentscheidungen der 1950er- und 60er-Jahre, die insbesondere die Rechte von Afroamerikanern förderten, rückgängig gemacht.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Einfluss dieser drei Richter entschieden, dass die Vereinigten Staaten – insbesondere die Südstaaten – nicht verpflichtet sein sollen, die Genehmigung des Justizministeriums einzuholen, bevor sie politische Maßnahmen ergreifen, welche die Rechte der afroamerikanischen Bevölkerung angreifen.
Was wird im Bereich der Strafverfolgung passieren, wenn Donald Trump zum zweiten Mal Präsident wird?
Trump hat angekündigt, in einer möglichen zweiten Amtszeit hart gegen Verbrechen vorzugehen, um das amerikanische Volk zu schützen. Allerdings gibt es keine Garantie dafür, dass die Kriminalitätsrate tatsächlich zurückgehen wird. Während seiner ersten Amtszeit stieg sie sogar an. Trump und auch republikanische Regierungen vor ihm unterstützten die Strafverfolgung oft nachdrücklich. Dadurch fühlten sich Polizeibeamte bestärkt, hart und aggressiver vorzugehen und ihre Macht zu missbrauchen. Das beste Beispiel ist die Ermordung von George Floyd in Minnesota, die in die Amtszeit Trumps fiel.
Ein Künstler malt ein Bild von George Floyd an der Stelle, an der er 2020 von einem Polizisten ermordet wurde.Bild: Star Tribune / Alex Kormann
Was bedeutet das für Afroamerikaner:innen?
Es gibt stichhaltige Belege dafür, dass das Ausmaß der Gewaltanwendung gegenüber Afroamerikanern unter republikanischen Regierungen zunimmt. Donald Trump hat bereits erklärt, dass Polizeibeamte für den Einsatz von Gewalt gegen Bürger nicht zur Rechenschaft gezogen werden, sollte er erneut Präsident werden. Unter Trump wird das strafrechtliche Umfeld noch aggressiver und feindlicher werden, insbesondere gegenüber schwarzen Männern, die oft die Hauptlast der strafrechtlichen Verfolgung in den Vereinigten Staaten tragen.
"Die Art und Weise, wie wir in den Vereinigten Staaten Strafen verhängen, hat eine sehr starke politische Dimension."
Wäre dies für afroamerikanische Männer nicht ein Grund, Harris zu unterstützen?
Tatsächlich sollten gerade afroamerikanische Männer einen starken Anreiz haben, Harris zu wählen. Doch die Afroamerikaner, bei denen Harris aufgrund ihrer Vergangenheit als Staatsanwältin wenig Unterstützung genießt, neigen dazu, zu vergessen, was unter republikanischen Regierungen und Trump geschehen ist und welche negativen Auswirkungen dies auf die afroamerikanische Gemeinschaft hatte.
Die Strafverfolgung scheint in den USA traditionell eine große Rolle zu spielen. Inwiefern ist Amerika ein Bestrafungsstaat?
Wir sind in der Tat ein Bestrafungsstaat, gerade weil wir eine Nation von Gesetzen, nicht von Menschen sind, wie es schon Gründervater John Adams gesagt hatte. Wenn jemand gegen ein Gesetz verstößt, folgt als nächste Stufe die Bestrafung. Leider funktioniert das System der Bestrafung nicht linear und ist in den USA sehr stark von der sozialen Schicht abhängig. Es gibt Menschen, die Straftaten begehen und dafür nicht belangt werden, weil sie die Mittel haben, sich einen guten Rechtsbeistand zu leisten. Wenn man arm ist, hat man zwar Anspruch auf einen Pflichtverteidiger, der ist jedoch meistens nicht so kompetent wie ein Anwalt, den sich vermögendere Menschen leisten können. Die Art und Weise, wie wir in den Vereinigten Staaten Strafen verhängen, hat eine sehr starke politische Dimension.
Das Interview mit Isaac Unah wurde in Chapel Hill, North Carolina, geführt.