Politik
Interview

Polizeigewalt in Deutschland: "Das kann jeden treffen"

18.05.2024, Berlin: Die Berliner Polizei geht auf der Propalästinensische Demonstration "Palestine will be free" gegen Demonstranten vor. Der 15. Mai markierte den Nakba-Gedenktag, an dem di ...
Polizeigewalt in Deutschland nimmt immer mehr zu.Bild: dpa / Fabian Sommer
Interview

Polizeigewalt in Deutschland: "Das ist ein Männlichkeitsproblem"

30.09.2024, 18:4702.10.2024, 16:38
Mehr «Politik»

Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Innenministeriums zeigt: Jede:r dritte:r Polizeibeamt:in hat bei Kolleg:innen rassistisches Verhalten bemerkt. Autor und Journalist Mohamed Amjahid forscht seit Jahren zum strukturellen Rassismusproblem der Polizei und hat darüber ein Buch geschrieben. Im Gespräch mit watson erläutert er die vielschichtige Problematik.

Watson ist jetzt auf Whatsapp
Jetzt auf Whatsapp und Instagram: dein watson-Update! Wir versorgen dich hier auf Whatsapp mit den watson-Highlights des Tages. Nur einmal pro Tag – kein Spam, kein Blabla, nur sieben Links. Versprochen! Du möchtest lieber auf Instagram informiert werden? Hier findest du unseren Broadcast-Channel.

Watson: Mohamed, du erkennst bei der Polizei ein Rassismusproblem. Worin besteht das deiner Meinung nach?

Mohamed Amjahid: Dieses Problem gibt es in der gesamten Gesellschaft – und deswegen auch bei der Polizei. Hier besteht jedoch ein Machtgefälle. Diese Menschen sind mit dem Gewaltmonopol ausgestattet und bewaffnet. Und es geht nicht nur um Rassismus, sondern auch um Frauenhass, Antisemitismus und Ableismus. Im Polizeikomplex gibt es eine Struktur, die das gedeihen lassen kann – das ist der Ursprung des großen Polizeiproblems. Menschen, die irgendwie verletzbar sind, können in diesem System den Kürzeren ziehen – während Polizist:innen eine Art Narrenfreiheit genießen.

Aber sollten Minderheiten nicht von der Polizei vor Diskriminierung geschützt werden?

Das ist ja das Problem. Von klein auf lernen wir, die Polizei sei unser "Freund und Helfer" – was übrigens eine Chiffre aus dem Nationalsozialismus ist. Im Kontrast dazu steht die Bedrohung, die die Polizei gegenüber all diesen Minderheiten ausstrahlen kann. Auch bei der Polizei gibt es – wie überall in der Gesellschaft – Strukturen, die auf toxischer Männlichkeit basieren, weswegen Minderheiten aktiv diskriminiert werden.

Also eigentlich das Gegenteil von Schutz geben.

Deswegen ist das Image der Polizei ein Paradoxon. Sie soll uns eigentlich alle schützen – und so tritt die Polizei ja auch nach außen auf – in der Realität werden immer wieder auch Menschen von der Polizei bedroht. Dabei ist wichtig, zu betonen: Es geht nicht nur um verletzliche Minderheiten. Statistiken zeigen, jede Person kann potenziell von Polizeigewalt getroffen werden. Da kann man so privilegiert sein wie man will – wenn man auf die falsche Demo geht, beispielsweise eine Klimademo, dann kann es passieren, dass man auch hier eine Polizeifaust abkriegt. Deswegen müssen wir auch gesamtgesellschaftlich über das Thema sprechen.

Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist regelmäßig selbst von Racial Profiling betroffen.Andreas Hornoff

Wären Frauen oder queere Menschen die Lösung gegen das Männlichkeitsproblem der Polizei?

Es wird immer so getan, als wäre Diversity die Lösung für das Rassismusproblem. Wenn man nur genug Mohameds in die Uniformen steckt, dann ist alles super – denn die können ja nicht Rassisten sein. Das stimmt nicht. Denn von Rassismus betroffene Polizist:innen, Frauen und queere Menschen müssen sich innerhalb der Polizei stärker beweisen. Das kann dazu führen, dass sie im Zweifelsfall sogar noch fester zuschlagen.

In deinem Buch schreibst du über Cop Culture. Was bedeutet dieser Begriff?

Cop Culture ist ein Begriff aus der kritischen Polizeiforschung. Er beschreibt die Polizei als Parallelgesellschaft, in der es bestimmte Regeln gibt. Dass beispielsweise über Jahrzehnte hinweg rechtsextreme Chats existieren können, viele davon wissen und niemand sagt etwas – das ist die Quintessenz von Cop Culture. Über Fehler wird zu selten gesprochen, Kolleg:innen werden kaum kritisiert. Dadurch kann Macht sehr leicht missbraucht werden.

Du erwähnst einen weiteren Begriff: Copaganda. Was ist das?

Durch die Copaganda wird all das eben beschriebene nach außen ganz anders dargestellt. Nach außen positioniert sich die Polizei als "Freund und Helfer". Copaganda findet unsichtbar in unserer Freizeit statt. Über Film, Fernsehen und oft auch über Zeichentrickserien wird sehr unkritisch auf die Rolle der Polizei geschaut.

Über Zeichentrickserien?

Ja, ein aktuelles Beispiel ist "Paw Patrol". Da wird Copaganda systematisch für Kinder aufgearbeitet und sie werden so daran gewöhnt, dass Polizeigewalt normal ist. Es gibt wissenschaftliche Analysen, die zeigen, dass Kinder, nach dem Schauen der Serie, eher Strafen fordern. Das klingt vielleicht lustig, aber das ist eine Art Gehirnwäsche für sehr junge Menschen. Die Kinder lernen in der Serie, dass Fehler hart bestraft werden müssen, ihnen soll weisgemacht werden, dass Polizeigewalt normal ist.

Gibt es ähnlich kritische Formate für Erwachsene?

Viele. Eines davon ist der Tatort. Zunächst einmal: jede Person kann natürlich gucken, was sie möchte. Beim Tatort wird jedoch eine sehr unrealistische Arbeitsweise der Polizei abgebildet. Kommissar:innen gehen einfach in Wohnungen, nehmen Menschen ihre Handys ab, öffnen Post, brechen Finger. Das ist alles Normalisierung von Polizeigewalt und eine Überschreitung von Grenzen, die so auch bei der Polizei selbst ankommt. Das ist ein weiterer Teil des Problems: Polizist:innen gucken Tatort und lassen sich teilweise davon inspirieren.

Aber die Polizei muss doch wissen, was legal im Rahmen ihrer Arbeit ist.

Diese Form der Propaganda in der Unterhaltung trägt aber leider dazu bei, dass unser Bild von der Polizei verzerrt wird, Gewalt normalisiert wird. Ein weiteres Beispiel ist die amerikanische Serie CSI. In den USA werden sogar Episoden dieser Serie für die Polizeiausbildung benutzt.

Du sagtest, Polizeigewalt kann jeden treffen. Warum ist das so?

Polizeigewalt passiert da, wo viele Menschen zusammenkommen. Zum Beispiel bei Fußballspielen, aber auch bei Demonstrationen. Bei diesen merkt man, dass es je nach politischer Färbung mehr oder weniger Polizeigewalt gibt. Es liegt nahe, dass Polizist:innen je nach Thema anders reagieren. Die Klimaproteste wurden im allgemeinen Diskurs verteufelt. Das wiederum färbte auf die Polizist:innen ab: Es wurde zugeschlagen, sexistisch und rassistisch beleidigt.

Bei all der Kritik: Polizist:in sein ist ein schwieriger und gefährlicher Job.

Ja, das stimmt. Aber niemand zwingt sie in diesen Beruf. Natürlich ist es körperlich anstrengend, natürlich ist es viel Verantwortung. Dazu kommt: Gesellschaft und Politik laden alles bei der Polizei ab. Wenn der Nachbar zu laute Musik hört, das Café zu viele Tische auf dem Bürgersteig platziert hat – dann rufe ich die Polizei in Deutschland. Das ist nicht gut für die Sicherheit aller Menschen, aber auch für die Polizist:innen selbst.

Und wie löst man das?

Wir müssen uns im ersten Schritt fragen: Wofür ist Polizei eigentlich gedacht? Sollte die Polizei zum Einsatz kommen, wenn ein drogenabhängiger Mensch Hilfe braucht? Oder sollten wir mehr Geld in Sozialarbeit stecken? Es wäre auch im Sinne der Polizei, das Polizeisystem zurückzufahren, damit sie nicht für alles zuständig ist. Diese Entscheidung muss die Polizeigewerkschaft selbst treffen. Aber gerade ist das Gegenteil im Gange: Sie wollen mehr Ausrüstung, mehr Kompetenzen, mehr Racial Profiling, mehr Grenzschutz. Und das wiederum macht noch mehr Polizeigewalt möglich.

Ermittler decken russische Geldwäsche-Netzwerke und Krypto-Deals in halb Europa auf
Im Zuge einer internationalen Operation sind zwei riesige russische Geldwäsche-Netzwerke aufgedeckt worden, die Milliarden in Kryptowährungen "abwickelten". Mittendrin: Ransomware-Banden und Putin.

Russische Oligarchen, Ransomware-Banden und andere Kriminelle haben während Jahren ausgeklügelte Geldwäschenetzwerke in Russland genutzt, um große Summen ins Ausland zu schaffen und zu reinvestieren.

Zur Story