watson: Das Cannabisgesetz soll zum 1. April in Kraft treten. Entwickelt sich die Freigabe zu einem Aprilscherz, Frau Wegge?
Carmen Wegge: Auf keinen Fall. Wenn wir das Ganze im Bundestag beschließen in dieser Woche, dann muss es nur noch durch den Bundesrat. Da es aber kein zustimmungspflichtiges Gesetz ist, kann dort höchstens der Vermittlungsausschuss angerufen werden.
Was würde das bedeuten?
Dann könnte sich der Startpunkt verzögern, aber die Freigabe wird auf jeden Fall kommen und es ist auf keinen Fall ein Aprilscherz. Ich muss mir also für den ersten April was anderes ausdenken.
Die Union plant eine namentliche Abstimmung zu dem Gesetz. Fürchten Sie, dass viele in ihren eigenen Reihen umkippen?
Ich weiß, dass es in der SPD eine überwältigende Zustimmung zu dem Gesetz gibt. Das liegt nicht nur daran, dass wir die Entkriminalisierung und Modellregionen im Wahlprogramm stehen hatten.
Sondern?
Es gibt eine Beschlusslage des Parteivorstandes und wir haben vor wenigen Wochen in unser Europawahl-Programm geschrieben, dass wir uns für eine umfassende Cannabis-Legalisierung einsetzen wollen. Ein paar Gegenstimmen können wir aber auf jeden Fall aushalten. Als Abgeordneter ist man schließlich nur seinem Gewissen unterworfen.
Die Innenminister:innen der Länder sind besorgt, dass durch eine Freigabe der Markt für Kriminelle größer wird. Ist die Kritik berechtigt?
Ich würde mir wünschen, dass sich die Innenminister und Kritiker mehr mit Daten und Fakten auseinandersetzen: In anderen Ländern, die diesen Weg gegangen sind, sind die Befürchtungen nicht eingetreten. Im Gegenteil: In Kanada oder dem Bundesstaat Colorado zum Beispiel sehen wir, dass der Konsum von jungen Menschen rückläufig ist. Was spannend ist: Man kann sehen, dass der Konsum von älteren Menschen über 60 zunimmt. Aber viel wichtiger finde ich, dass wir uns ehrlich machen.
Was meinen Sie damit?
Aktuelle Erhebungen kommen zu dem Schluss, dass knapp 4,5 Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig Cannabis konsumieren. Der Schwarzmarkt wird nicht wachsen, das ist ja das Gute, das wir mit unserem Gesetz machen. Wir sorgen dafür, dass Menschen einen legalen Zugang zu der Droge haben – weil sie sie selbst anpflanzen, oder weil sie Mitglied einer Anbauvereinigung sind. Und bald dann auch in den Modellregionen in lizenzierten Fachgeschäften.
Im aktuellen Gesetzentwurf gibt es viele Regularien, die die sogenannten Social Clubs erfüllen müssen. Der private Anbau hingegen ist weniger reglementiert. Wenn der Eigenanbau so viel leichter ist, werden Prävention und Jugendschutz dann untergraben?
Nein. Die aktuelle Situation ist inakzeptabel. Es gibt gar keinen Kinder- und Jugendschutz, sondern nur Prävention. Und auch für erwachsene Konsumenten und Konsumentinnen gibt es aktuell keinen Gesundheitsschutz. In dem Gesetz ist außerdem ganz klar geregelt, dass der Eigenanbau zu Hause so erfolgen muss, dass er nicht zugänglich für Kinder und Jugendliche ist. Auch das gibt es heute nicht, obwohl viele bereits jetzt selbst anbauen.
Der Gesetzgeber kann auch in Zukunft kaum überprüfen, ob die Regeln eingehalten werden.
Wir gehen davon aus, dass Menschen rechtstreue Bürger sind. Das heißt: Sie halten sich daheim an die geltenden Regeln. Wenn das nicht der Fall ist, sind wir natürlich auf Hinweise aus der Bevölkerung oder Zufallsfunde angewiesen.
Sie haben eben die lizenzierten Fachgeschäfte in Modellregionen angesprochen. Ursprünglich war geplant, dass beide Säulen der Freigabe gleichzeitig starten sollen. Sind sie mit der abgespeckten Version der Legalisierung trotzdem zufrieden?
Absolut. Alles, was wir diese Woche beschließen, ist eine eklatante Verbesserung zum Ist-Zustand. Aktuell wird zum Teil sehr schädliches Cannabis konsumiert, obwohl die Pflanze selbst nicht stark gesundheitsschädlich ist.
Sie meinen synthetische Cannabinoide, die auf Grasblüten gesprüht werden.
Genau. Dazu kommt, dass die Freigabe Konsumierenden Rechtssicherheit gibt. Und das kommt in der Debatte zu kurz: Es gibt viele erwachsene Menschen, die selbstbestimmt und verantwortungsbewusst Cannabis konsumieren – und mit einem Bein im Gefängnis stehen. Das ist Unrecht und da gab es eine Fehlbewertung der Situation. Die Freigabe wird also für viele Menschen eine Erleichterung darstellen.
Wann sollen die Modellregionen und damit der zweite Teil der Freigabe umgesetzt werden?
Wenn das Gesundheitsministerium zeitnah nach dem Abschluss dieses Gesetzes reagiert und die entsprechenden Eckpunkte vorlegt, besteht die realistische Chance, dass die Modellprojekte noch in diesem Jahr durch den Bundestag gehen.