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Demos gegen rechts: Das darf erst der Anfang sein

January 21, 2024: Joining over 100,000 people in cities across Germany, nearly 300,000 outraged residents of Munich, Germany protested against the AfD party and its Identitaere Bewegung-developed plan ...
Mehr als eine Million Menschen demonstrierten in den vergangenen Tagen, um zu zeigen, was sie von der Politik der AfD halten.Bild: imago images / zuma wire
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Demos gegen rechts machen Hoffnung – doch das darf erst der Anfang sein

22.01.2024, 16:59
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Es gibt mehrere Lügengeschichten, die Politiker:innen der AfD seit Jahren immer und immer wieder erzählen. Das prominenteste Narrativ hat die deutsche Bevölkerung am Wochenende eindrucksvoll widerlegt: jenes, das besagt, die AfD vertrete in Deutschland eine schweigende Mehrheit und damit den wahren Willen des Volkes.

Das war, ist und bleibt Unfug.

Es war beeindruckend und bewegend zugleich, mit welcher Vehemenz das mehr als eine Million Menschen friedlich auf Deutschlands Straßen klarstellten. Wie sie mit den Demos gegen rechts unterstrichen, dass die Ziele der AfD nicht mit ihren Vorstellungen vereinbar sind. Sie alle zeigten, dass ein Großteil der Bevölkerung einen Rechtsruck, ein Abdriften der Gesellschaft nach rechtsaußen, verhindern will.

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Nach den "Correctiv"-Enthüllungen bewegt sich etwas in Deutschland. Es wirkt, als seien die Enthüllungen über das Geheimtreffen von und mit Rechtsradikalen der Weckruf gewesen, den viele bis dahin stille Beobachter:innen gebraucht haben.

Die Stärke der Demonstrationen sind neben ihrer Wucht ihre Spontanität. Die Demokrat:innen dieses Landes verbündeten sich parteiübergreifend und in ungewöhnlichen Konstellationen, um eine rote Linie zu ziehen. Bis hierhin und nicht weiter. Endlich!

Diese Erkenntnis muss und darf man wirken lassen, ehe man in das typisch deutsche Gegrummel verfällt, dass sich durch irgendwelche Proteste das Ergebnis an den Wahlurnen nicht verändern dürfte. Das hat auch niemand behauptet.

Demonstranten bei der Demo - Demokratie verteidigen - Zusammen gegen Rechts - , vor dem Reichstag Berlin, 21.01.2024. Berlin Deutschland *** Demonstrators at the demo Defending democracy together agai ...
Hunderttausende waren am Sonntag in Berlin auf den Straßen, um gegen rechts zu demonstrieren.Bild: imago images / photothek

Im ersten Schritt, und genau das waren die jüngsten Demos, war die Zeit gekommen, die Gleichgültigkeit abzulegen, mit der viele Menschen das immer weitere Erstarken der AfD hingenommen haben. Dass gleich mehrfach Kundgebungen abgebrochen werden mussten, weil weit mehr Menschen als erwartet kamen, unterstreicht das.

Die Proteste richteten sich einzig und allein gegen die menschenverachtende Politik, die die AfD vorantreibt. Was auch bedeutet: Sie beinhalteten noch keine Handlungsaufforderung an andere.

Demos gegen rechts: Wie reagiert nun die Politik?

Weshalb sich jetzt die Frage stellt: Was muss im nächsten Schritt geschehen, damit dem beeindruckenden Zeichen ein nachhaltiges positives Ergebnis entspringt?

"Jede:r AfD-Wähler:in nimmt hin, eine Partei zu unterstützen, in der Nazis tun und lassen können, was sie wollen."

Die möglichen Antworten darauf sind komplex, weil diejenigen, die auf die Straßen gingen, nicht allein dafür sorgen können, dass sich etwas verändert. Vielmehr sind ihre Proteste ein Weckruf an uns alle. Es muss sich grundsätzlich etwas ändern im Umgang mit der AfD und ihren Unterstützer:innen.

Gefordert sind selbstredend die demokratischen Parteien. Sie müssen aufhören, die Positionen, Themen und Kommunikationsmuster der AfD Stück für Stück zu übernehmen. In der verzweifelten Hoffnung, dadurch ein paar Stimmen zurückzugewinnen.

Sonntag, 21. Januar 2024, Demo gegen rechts, Demonstration in München abgebrochen, Andrang zu groß, größte Proteste seit Jahrzehnten, starkes Zeichen setzen gegen Rechtsruck in Deutschland, Plakate, W ...
Einfache Frage. Schwierige Antwort?Bild: imagi images / christine roth

Vielmehr müssen sie die Lügen der AfD in den Mittelpunkt stellen und ihre eigene Debattenkultur wieder mäßigen. Politischer Streit ist wichtig. Doch nicht in einer spalterischen Art und Weise, die am Ende den Radikalen in die Karten spielt.

Die Politik muss sich auch fragen, ob sie in der Gesetzgebung, in der finanziellen Ausstattung von Behörden und in der personellen Besetzung empfindliche Positionen wirklich alles in ihrer Macht Stehende unternimmt, um gegen Kräfte vorzugehen, die nicht mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.

Doch nicht nur die Politik, auch einige Medien wären gut beraten, noch einmal in sich zu gehen und zu reflektieren, inwieweit sie ihrer Informationspflicht nachkommen. Zum Beispiel, wenn sie systematisch lügenden oder Rassismus duldenden Menschen Interviewzeit schenken – ohne den entsprechenden Faktencheck mitzuveröffentlichen. Und ob es wirklich so clever war, Interviews mit AfD-Verantwortlichen aufs Titelblatt zu heben oder einzelne Passagen von Gesprächen ohne Einordnung als Instagram-Zitatkarte zu verbreiten.

"Man kann sie nicht ignorieren, man muss sie zur Rede stellen", hört man gerne von jenen, die ein Mikrofon unter die AfD-Nasen halten. Gegenfrage: Haben wir den Eindruck, das Reden mit der AfD hätte in den vergangenen Monaten und Jahren in der bisherigen Form gut funktioniert? Eher nicht.

An anderer Stelle hingegen wären wir gut beraten, vermehrt das Gespräch zu suchen: im privaten Umfeld. "Faschisten hören niemals auf, Faschisten zu sein. Man diskutiert mit ihnen nicht, hat die Geschichte gezeigt", sang Danger Dan bekanntermaßen, und vermutlich traf selten eine Liedzeile den Nagel so sehr auf den Kopf.

Jedoch: Nicht alle AfD-Wähler:innen sind faschistisch. Natürlich nicht. Es geht nicht darum, Rassist:innen davon zu überzeugen, dass Rassismus scheiße ist. Sondern mit jenen zu debattieren, die sich mit ihren Stimmen von den Rassist:innen vor den Karren spannen lassen.

Daher: Lasst uns mit ihnen sprechen, statt zu spalten. Aktuell geht es letztlich auch darum, die Demokratie nicht nur auf der Straße zu verteidigen. Sondern auch im Hausflur, in der Teeküche und an Omas Kaffeetafel.

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Für viele junge Menschen ist die Zeit gekommen, für die Demokratie auf die Straße zu gehen.Bild: imago images / zuma wire

Wir alle müssen ihnen bei jeder Gelegenheit klarmachen, dass die Zustimmung zu Positionen von Rechtsextremen nicht zu dulden ist. Wir sollten gerade im privaten Rahmen aufhören, Sätze zu überhören oder Handlungen zu relativieren. Wir alle sind aufgefordert, uns so zu verhalten, dass sich der unangenehme Onkel, die abgedriftete Freundin oder der verschwörungstheoretische Kollege erwischt fühlen, wenn sie sich mit Rassisten solidarisieren.

Nicht jede:r AfD-Wähler:in ist ein Nazi, aber jede:r AfD-Wähler:in nimmt hin, eine Partei zu unterstützen, in der Nazis tun und lassen können, was sie wollen.

Demos gegen rechts: der Beginn einer Bewegung?

Heute sind die Menschenmassen auf den Plätzen Deutschlands nur eine Momentaufnahme. Wir werden erst in einigen Jahren wissen, ob es der Beginn einer Bewegung war, die verhinderte, dass Deutschland nach rechtsaußen abdriftet.

Gerade wir jungen Menschen sind in einer Welt groß geworden, in der die Demokratie in Deutschland als gegeben wahrgenommen wurde. Wir sind es nicht gewohnt, dass Demokratie etwas ist, für das man auch manchmal kämpfen muss.

"Wir können nun beweisen, dass wir selbst bereit sind, etwas dafür zu tun, damit Rechtsradikale in diesem Land nie wieder etwas zu sagen haben.

Doch man spürt in Diskussionen mit Freund:innen, in Whatsapp-Nachrichten, in Gesprächen auf der Straße, dass viele von uns nachdenklich geworden sind. Seien wir ehrlich: Viele von uns haben in der Schule vier bis sieben Mal den Nationalsozialismus besprochen, ohne final kapiert zu haben, wie das damals einfach so passieren konnte.

Und in unseren Köpfen war immer wieder die Frage: Was haben eigentlich unsere (Ur-)Großeltern damals getan, als absehbar war, dass die Nazis bald die Macht ergreifen würden?

Nicht alle von uns haben darauf eine Antwort erhalten. Aber wir können nun beweisen, dass wir selbst bereit sind, etwas dafür zu tun, damit Rechtsradikale in diesem Land nie wieder etwas zu sagen haben.

Genau dafür sind mehr als eine Million Menschen in den vergangenen Tagen auf die Straßen gegangen.

Wir müssen uns bewusst machen: Das darf erst der Anfang sein.

Robert Habeck über Markus Söder: "Er hat einen Crush auf mich"

Für den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) muss letzte Woche im Bundestag wohl eine große Enttäuschung gewesen sein. Er hatte sich auf eine Debatte mit seinem Erzfeind und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eingestellt. Dieser fehlte aber spontan aufgrund eines Defekts an einem Regierungsflugzeug und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) musste für ihn einspringen.

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