Robert Habeck schafft es, Probleme zu benennen und dennoch Optimismus auszustrahlen.Bild: imago images / pictureteam
Meinung
Friedrich Merz und Markus Söder hatten am Dienstag die Bühne nach ihrer Pressekonferenz zur K-Frage kaum verlassen, da verschickte RTL schon eine E-Mail in eigener Sache, um ein "RTL direkt Spezial: Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Gespräch mit Pinar Atalay" am Abend anzukündigen.
Der Bundestagswahlkampf hat begonnen. 375 Tage vor dem Wahlsonntag. Das kann ja heiter werden.
Die Parteivorsitzenden von CDU und CSU stellten bei ihrem Auftritt klar: Kernthema der Union wird die Migration sein.
Auf welche Tonalität sich Deutschland dabei gefasst machen muss, hatte Hendrik Wüst, seines Zeichens der moderateste der drei vermeintlichen K-Kandidaten der Union, tags zuvor schon eindrucksvoll unter Beweis gestellt, als er Merz seine Unterstützung versicherte und dabei von der "schlechtesten Bundesregierung in der 75-jährigen Geschichte" der Bundesrepublik sprach.
Der Wind der trumpesken Rhetorik weht auch durch Deutschland immer kräftiger.
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Die Stimmung in Deutschland, das kann man nicht wegdiskutieren, ist eindeutig: Friedrich Merz müsste sich ähnlich dämlich anstellen wie 2021 Armin Laschet, um in gut einem Jahr nicht Bundeskanzler zu werden.
Wahlumfragen: Die Union steht gut da – trotz oder wegen Friedrich Merz?
Aktuell deutet dennoch viel darauf hin, dass die guten Umfragewerte der CDU/CSU nicht wegen, sondern trotz Friedrich Merz zustande kommen. Im "Trendbarometer" von RTL und ntv gab die Summe der Befragten jüngst an, dass sie bei einer Direktwahl zu je 26 Prozent Merz oder Bundeskanzler Olaf Scholz wählen würde. Das ist ein ziemlich mieser Wert für Merz, wenn man bedenkt, wie harsch die Kritik an Scholz aktuell ist.
Die Union vereint in den aktuellen Sonntagsfragen dennoch mehr Wähler:innen auf sich als die SPD, die Grünen und die FDP zusammen. Gleichzeitig wären die von RTL und ntv aktuell ausgewiesenen 31 Prozent der zweitschlechteste Wert der Union der Geschichte, wie diese Grafik von "Statista" zeigt:
bild: statista
Für einen Mann kann die Entscheidung pro Merz daher zur Chance werden: Robert Habeck – der negativen Stimmung gegenüber der aktuellen Regierung zum Trotz.
Der Vizekanzler wird die Grünen höchstwahrscheinlich als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf führen, nachdem die seit Monaten, wenn nicht Jahren seltsam blass wirkende Außenministerin Annalena Baerbock schon vor Monaten eine erneute Kandidatur ausgeschlossen hat.
"Robert Habeck schafft es, Hoffnung zu machen, auch wenn er Probleme und Rückschläge klar benennt."
Nun kann, nun muss Habeck zeigen, wie gut er als Chef-Wahlkämpfer seiner Partei ist. Und hat dabei gegenüber allen anderen Kontrahent:innen einen riesigen Vorteil: Er ist der mit Abstand beste und authentischste Kommunikator.
Er hat eine Gabe, die in schwierigen Zeiten wichtig ist: Robert Habeck schafft es, Hoffnung zu machen, auch wenn er Probleme und Rückschläge klar benennt.
Robert Habeck bei einem Wahlkampfauftritt im Sommer.Bild: imago images / pictureteam
Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine kann man ihm fast schon wöchentlich zusehen, wie er komplexe Sachverhalte benennt und Lösungswege skizziert. Kein:e deutsche Politiker:in kommuniziert so reflektiert und glaubhaft auf Social Media wie er. Und niemand versucht dabei so differenziert, auch auf mögliche Gegenargumente einzugehen.
Kurz gesagt: Habeck ist eine:r der wenigen, der verstanden hat, dass wir in der aktuellen Situation klare Ansprachen benötigen, mit Polemik auf Dauer in Deutschland aber keine guten Lösungen finden werden.
"Habecks Aufgabe wird sein, all jene anzusprechen, die sich für die Zukunft ein anderes Deutschland wünschen."
In den übrigen Parteien ist das anders: Merz und Söder lassen sich, wie weite Teile der Union, in Sachen Rhetorik längst von der AfD treiben und stehen zudem wahrlich nicht für ein fortschrittliches, modernes Deutschland. Olaf Scholz ist das kommunikative Gegenteil und redet so gut wie gar nicht. Christian Lindner rudert nach Kräften, um den Untergang seiner Partei zu verhindern, setzt aber keinerlei inhaltliche Akzente mehr. Die AfD ist aus bekannten Gründen für weite Teile der Bevölkerung weiterhin unwählbar. Sahra Wagenknecht baut Luftschlösser und kuschelt mit Wladimir Putin. Und die Linke versinkt in der Bedeutungslosigkeit.
Umfragen: Grüne stehen schlecht da – Robert Habeck kann das ändern
Womit sich die Augen allein schon wegen des Ausschlussprinzips auf Robert Habeck richten. Und ja, er hat die Fähigkeiten, die Grünen zu einem aktuell unwahrscheinlich wirkenden, richtig starken Ergebnis zu führen – wenn er es schafft, die Menschen anzusprechen, die nichts von einer von Merz geführten Neuauflage der Großen Koalition halten. Und genau die ist aktuell die einzige AfD- oder BSW-freie Machtoption, die Merz hat, weil sein neuer guter Freund aus Bayern nicht müde wird zu betonen, dass es mit ihm eine Zusammenarbeit mit den Grünen nicht geben wird.
Habecks Aufgabe wird sein, all jene anzusprechen, die sich für die Zukunft ein anderes Deutschland wünschen. Er muss das progressive Potenzial in der Wählerschaft packen, das von den anderen Parteien einfach nicht angesprochen wird. Er kann die Wählerinnen für sich gewinnen, die das Frauenbild in (Teilen) der Union abschreckt. Er hat die Chance, jene zu gewinnen, die nichts davon halten, dass man in unserem Land immer mehr damit beschäftigt ist, sich gegenseitig zu beleidigen und zu beschimpfen und sich so in einen unentwegten Pessimismus zu treiben.
Er muss dafür keine Luftschlösser bauen. Zumindest nicht bei den jungen Generationen.
Denn die wissen längst, dass die Welt kompliziert ist; dass wir allein schon wegen der Klimakrise vor riesigen Herausforderungen stehen; dass es Augenwischerei ist, von dauerhaftem Wachstum und den guten, alten Zeiten zu träumen; dass unsere Eltern und Großeltern ihren wirtschaftlichen Wohlstand in den Sozial- und Krankenversicherungen zum Teil auf Pump finanziert haben, den wir am Ende zurückzahlen müssen.
Viele junge Menschen haben verstanden, dass wir bei der Lösung unserer Sorgen auch mal komplizierte Antworten brauchen, die Hoffnung und den Anstand aber nicht verlieren dürfen.
Für all jene wird Robert Habeck Wahlkampf machen müssen, auch und gerade weil die Stimmung rund um die Grünen gerade ebenso schwierig ist wie die jüngsten schlechten Wahlergebnisse. Es ist Zeit für eine Trotzreaktion. Als Gegenentwurf zur Politik, aber auch zum Stil von Friedrich Merz.
Das Duell der Vize-Präsidentschaftskandidaten in der Nacht zu Mittwoch hat gleich durch mehrere Erkenntnisse überrascht. Tim Walz von den Demokraten und Republikaner J.D. Vance traten dabei unter deutlich gegensätzlichen Vorzeichen an. Die Debatte zwischen den "Running Mates" von Donald Trump und Kamala Harris könnte das letzte Duell im US-Wahlkampf gewesen sein.