Tag der Deutschen Einheit: Ein Feiertag, den junge Menschen nicht brauchen?
In jedem deutschen Bundesland ist der 3. Oktober ein gesetzlicher Feiertag. Hoch die Tassen! Angesichts föderalistischer Hochkultur ist das in diesem Land schließlich ein absoluter Ausnahmefall.
Am 3. Oktober feiert Deutschland seine Einheit – und das mittlerweile zum 35. Mal. Aber offen gesagt juckt das ohnehin niemanden. Gerade für junge Menschen versprüht dieser Feiertag ungefähr so viel Charme wie ein Grünkohlfest in Gifhorn. Und er wird ebenso stiefmütterlich behandelt. Was nur könnte ein Grund dafür sein, dass ein Tag mit so großem Namen so unbedeutend für uns ist?
Tag der Deutschen Einheit: Wiedervereinigung, war da was?
Alle Deutschen unter 35 (mit Verlaub, junge Menschen) haben von der innerdeutschen Teilung nichts mehr mitbekommen – zumindest nicht aktiv. Wir wuchsen in Ost- oder Westdeutschland auf, ohne zu wissen, was das eigentlich wirklich bedeutet. Bei den DDR- (oder BRD)-Geschichten unserer Eltern schalteten viele ebenso auf Durchzug wie bei den Kriegsgeschichten von Opa. Betrifft uns ja nicht, so die Annahme.
Für viele von uns ist der 3. Oktober einfach nur ein freier Tag, an dem irgendwann vor Jahrzehnten mal die Mauer gefallen ist.
... und, wer hat’s gemerkt?!
Das ist nicht nur faktisch falsch, denn der Mauerfall war am 9. November 1989, nicht am 3. Oktober. Der Feiertag wurde auf den Tag der Unterzeichnung des Einigungsvertrags gelegt. Doch vor allem ist es auch unglaublich gefährlich, diesen Tag nicht ernst zu nehmen.
Denn aus politischer Sicht spiegelt sich in dieser Wahrnehmung einmal mehr jene Verdrossenheit wider, die auch vom viel diskutierten Rechtsruck nicht zu lösen ist.
Verständnis zwischen Ost und West: ein Lippenbekenntnis, mehr nicht
Das Problem ist: Die Politik nimmt die Menschen in Ostdeutschland bis heute nicht ernst.
Die Festlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit sollen mehr Verständnis für "das Gegenüber" bringen. Gemeint ist aber: Verständnis für den Osten. Es gibt ein Narrativ, das sich seit der Wiedervereinigung hält: Westdeutschland muss sich nur einmal wie ein genügsamer Vater mit dem Sohnemann Ostdeutschland hinsetzen und die "Missgeschicke" der vergangenen Jahre besprechen, dann lösen sich die anderen Probleme schon von allein.
Jahr für Jahr erleben wir einen Festakt, bei dem ein Bundesland nach dem anderen (ja, sogar die ostdeutschen Länder sind dabei!) ein riesiges Volksfest "für die Demokratie" ausrichten darf und Politiker:innen große Reden schwingen dürfen. Wobei in diesem Jahr sogar Persönlichkeiten wie Altkanzlerin Angela Merkel und Ex-Bundespräsident Joachim Gauck fehlen.
Anstatt dort tatsächlich die Probleme der Demokratie zu besprechen, hört man hier aber ohnehin viele Lippenbekenntnisse und die Forderung nach mehr Verständnis füreinander. Wobei man auch hier eigentlich Verständnis für den Osten meint.
Nationalfeiertage sind aus politikwissenschaftlicher Sicht zwar durchaus sinnvoll, weil sie eben Funktionen wie nationale Integration, Identifikation und Stabilität erfüllen. Nur war dieses Projekt in Deutschland von Beginn an zum Scheitern verurteilt.
Denn es gab ja schon einen Feiertag. Bis 1990 war für alle Menschen in der BRD der 17. Juni Nationalfeiertag (Aufstand vom 17. Juni 1953). Dieses Datum musste man damals ebenso wie den Regierungssitz zugunsten der DDR aufgeben. Natürlich sorgte das nicht für Begeisterung. Auch hier ist es ein bisschen wie mit dem genügsamen Vater, der das geliebte Angelhobby für das wöchentliche Fußballtraining des Sohnes aufgibt: So kann doch keine gute Beziehung entstehen!
Darüber kann auch der Tag der Deutschen Einheit nicht hinwegtäuschen: Die Meinung über die "neuen Bundesländer" hat sich längst festgesetzt und wurde über unsere Eltern auch an uns herangetragen.
AfD-Vorsprung im Osten: Wundert das irgendjemanden?
Und diese Meinung zeigt sich auch in der Weise, wie wir über die aktuelle politische Lage in Deutschland sprechen: Kaum jemand war wirklich schockiert, als eine Sonntagsumfrage zu den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern (Ostdeutschland) im kommenden Jahr veröffentlicht wurde.
Die beunruhigenden Ergebnisse: 38 Prozent der Befragten würden demnach die in weiten Teilen rechtsextreme AfD wählen, wenn heute Wahlen wären. Die amtierende rot-rote Koalition käme in dem Bundesland gerade einmal auf 34 Prozent. Doch überrascht hat das niemanden mehr. Es war nur eine weitere Geschichte, die einmal mehr perfekt in das Wessi-Bild vom Ossi passte.
Anders sah es wenige Tage zuvor bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen (Westdeutschland) aus. Dass die AfD ihr Ergebnis hier insgesamt verdreifachte und in vielen Städten zweitstärkste Kraft wurde, kam für viele einem politischen Erdbeben nahe.
Dass Expert:innen wie der Soziologe Steffen Mau bereits seit Jahren prognostizieren, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis sich ostdeutsche Wählertendenzen auch nach Westdeutschland transportieren, ignoriert man dabei gern.
Doch das wahre Problem liegt an anderer Stelle: Die großen Volksparteien haben verschlafen, sich politisch wirklich um Ostdeutschland zu kümmern.
Gerade junge Menschen haben laut Umfragen das Gefühl, dass sie in Ostdeutschland beruflich schlechtere Chancen haben. Viele, die hier geboren sind, wandern auch heute noch nach Westdeutschland ab. Kein Wunder: Laut Statistischem Bundesamt verdienten Vollzeitbeschäftigte im Osten im Jahr 2024 durchschnittlich 3973 Euro brutto im Monat. Im Westen fiel dieses Gehalt mit 4810 Euro knapp 18 Prozent höher aus.
Was es am 3. Oktober wirklich bräuchte
Diese Unterschiede gilt es anzugehen. Die Grünen versuchen seit einigen Monaten, mit extra Landesbüros im Osten für mehr Kommunikation vor Ort einzustehen. Das ist ein wichtiger erster Schritt. Darauf muss man sich im Osten nun auch einlassen. Es braucht beide Seiten für ein wirklich konstruktives Gespräch.
Und natürlich müssen solchen Gesprächsangeboten dann auch Taten folgen.
Von Unionspolitiker:innen wird immer wieder die Abschaffung des Amts des Ostbeauftragten in den Raum geworfen. Im Kabinett Merz sitzt einer Auswertung der Managementberatung Horváth zufolge aktuell zudem nur ein Anteil von sieben Prozent an Personen mit ostdeutschem Hintergrund.
Das wiederum ist das falsche Signal und hilft nicht dabei, der deutschen Einheit mehr Bedeutung zuzuschreiben. Es wird zudem weder der Union noch ihrem Koalitionspartner bei den anstehenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt helfen.
Wer aus dem Westen kommt, schüttelt den Kopf über den Osten und andersherum. Mit welcher Einheit sollten sich junge Menschen also identifizieren?!
Aber vielleicht ergibt es genau deshalb so viel Sinn, den Tag der Deutschen Einheit doch zu feiern und an diesem Tag einmal wirklich zu streiten: um in ein echtes Gespräch zu kommen. Eines auf Augenhöhe. Denn auch für unsere Generation ist das Thema Ost und West sehr viel bedeutsamer als ein Grünkohlfest in Gifhorn.