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Volt hat Zoff mit Campact: Das steckt dahinter

Maral Koohestanian
Maral Koohestanian führt Volt als Spitzenkandidatin in der Bundestagswahl an.bild: volt
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Volt vor der Wahl: Zwischen fehlenden Umfragewerten und Ärger über eine Campact-Kampagne

15.02.2025, 08:05
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Junge Menschen in Deutschland fühlen sich von der Politik vergessen. Und sie haben keine Bindung zu den etablierten Parteien, die ihre Eltern oft seit Jahrzehnten wählen.

"Die eine Partei, die man ein Leben lang wählt, das ist etwas, das sich bei jungen Menschen überhaupt nicht abzeichnet", sagte Torsten Faas, Politikwissenschaftler an der FU Berlin, nach der Europawahl 2024 zu "tagesschau.de". Damals wählte jede dritte junge Person eine Kleinstpartei.

Die Gründe sind vielfältig. Nicht wegzudiskutieren ist, dass nach jüngsten Umfragen alle Ampel-Parteien an Zustimmung bei der Gen Z verloren haben.

Während manche junge Menschen deshalb die AfD wählen, suchen andere progressive Alternativen; Parteien, die die Versprechen einlösen, die die Grünen, die FDP und die SPD nicht gehalten haben.

Die Linke profitiert, auch Volt hofft auf einen Schub

Davon profitiert im Bundestagswahlkampf die Linke. Die Parteiführung feierte jüngst einen Mitgliederrekord. Allein seit der umstrittenen gemeinsamen Abstimmung von Union, FDP und AfD im Bundestag seien 17.470 neue Mitglieder dazugekommen, sagte ein Parteisprecher.

Die Neu-Linken sind bemerkenswert jung: Das Durchschnittsalter liegt nach Parteiangaben bei 28,7 Jahren.

Volt hofft auf einen ähnlichen Effekt: "Das Momentum spricht für uns", sagte Spitzenkandidatin Maral Koohestanian vor wenigen Tagen im watson-Interview. Und ergänzte mit dem Optimismus, den man im Wahlkampf ausstrahlen muss: "Ich gehe davon aus, dass wir in den Bundestag einziehen."

Volt holte bei der Bundestagswahl 2021 0,4 Prozent, bei der Europawahl 2024 2,6. In Hochburgen wie Darmstadt und Heidelberg feierte die Partei Ergebnisse von rund zehn Prozent. Und sie ist mittlerweile in mehreren Städten Teil der Regierung.

Triebfeder dieses Ergebnisses: junge Menschen. Acht Prozent aller Jungwähler:innen machten vor einem Dreivierteljahr ihr Kreuz bei Volt.

Volt bejubelte den Einzug ins Europaparlament. Doch bei einer Europawahl gibt es keine Fünf-Prozent-Hürde.

Die spannende Frage ist also: Wie weit ist Volt aktuell von den fünf Prozent weg?

Die Meinungsforschungsinstitute erheben zur paneuropäischen Partei keine konkreten Zahlen, sie fällt in Umfragen unter "Sonstige". Bei Befragungen wird Volt nicht konkret abgefragt wie beispielsweise FDP oder BSW, auch wenn die Parteien nur ein paar Prozent trennen.

"Sonstige" bei der Bundestagswahl: das große Fragezeichen

Es gibt Institute wie Emnid und Forsa, die sehen die sonstigen Parteien bei acht Prozent. Es würde überraschen, wenn die Hälfte davon auf Volt entfiele.

Jedoch: Wir wissen es nicht. Und um ein, zwei Prozentpunkte können sich Meinungsforscher:innen immer irren.

Infratest verschätzte sich 2021, wie man bei "tagesschau.de" nachlesen kann, bei der Union um 2,1 Prozent, Insa lag bei der Linken um 1,6 Prozent daneben, die Forschungsgruppe Wahlen stufte die Grünen um 1,7 Prozentpunkte zu hoch ein.

Watson hat sich im Umfeld der Partei umgehört. Eine Person sagte 13 Tage vor der Wahl: "Es gibt Umfragen, die uns bei vier Prozent sehen. Wir tappen nicht völlig im Dunkeln, wir rechnen uns berechtigte Chancen aus." Volt-Bundestagskandidat Tarek Zaibi schlägt in die gleiche Kerbe: "Wir bewegen uns je nach Umfrage zwischen drei und vier Prozent", schreibt er in einem Instagram-Kommentar.

Auch hier gilt: Verifizieren können wir das nicht.

Campact schaltet Google-Anzeigen und rät von Volt-Wahl ab

Volt hofft, am 23. Februar von Unentschlossenen zu profitieren, erhält aber seit einer Weile Gegenwind aus ungewöhnlicher Richtung.

Der Kampagnen-Verein Campact geht zurzeit gegen Volt vor. Das ist bemerkenswert, weil die Organisation sich auf die Fahnen geschrieben hat, progressive Politik zu stärken. Campact ist stabil im Kampf gegen die AfD und bei Aktionen zur Stärkung der Demokratie. Campact wurde bereits, so die eigenen Angaben, von 3,5 Millionen Menschen unterstützt und finanziert sich durch Spenden.

Nun schaltet Campact auf Google Anzeigen: Wer sich über taktisches Wählen oder Parteiinhalte informiert, stößt auf Link-Werbung wie diese – inklusive direktem Bezug zur AfD noch vor dem Klick:

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bild: screenshot google, 11.2.25

Dabei ist Volt das prominenteste, aber nicht das einzige Ziel: Watson hat auch Google-Anzeigen gefunden, die sich gegen die Tierschutzpartei richten:

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Auch die Tierschutzpartei war bei der Europawahl überraschend stark. Und sie landet im Wahl-O-Mat bei Sympathisant:innen der Grünen meist neben Volt auf den ersten Plätzen.

Campact macht damit Werbung für taktisches Wählen, um die AfD innerhalb des Bundestages möglichst kleinzuhalten.

Ein Rechenbeispiel: Wenn die CDU/CSU 30 Prozent holen, die AfD 20 Prozent, die SPD 16 und die Grünen 14 und nur diese vier Parteien in den Bundestag einziehen, würde die AfD 158 Sitze erobern. Das kann man mit dem Mandatsrechner kalkulieren. Würden hingegen drei weitere Parteien exakt fünf Prozent holen, während die anderen Ergebnisse unverändert bleiben, bekäme die AfD "nur" 133 Sitze.

Das Argument ist: Wer die AfD nicht gut findet, möge bitte eine Partei wählen, die möglichst große Chancen aufs Erreichen der Fünf-Prozent-Hürde hat.

Das bestätigte Campact auch auf watson-Anfrage. "Wenn progressiv denkende Menschen Parteien wählen, die ziemlich sicher an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, gehen diese Stimmen verloren", schrieb Friederike Gravenhorst von der Kampagnen-Teamleitung unserer Redaktion. "Dabei sprechen wir keine klare Wahlempfehlung für einzelne Parteien aus."

Doch politische Kampagnen, das liegt in der Natur der Sache, erzählen oft nur die halbe Wahrheit. Was Campact nicht betont, ist: An einer möglichen schwarz-blauen Mehrheit ändert das nichts. Und: Die Regierungsbildung wird durch mehrere kleine Parteien im Bundestag zusätzlich erschwert. Aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass es nicht für eine Große Koalition reicht. Was bedeutet, dass Friedrich Merz sich auf Schwarz-Rot-Grün oder Schwarz-Rot-Gelb einigen müsste. Da wäre Streit wieder vorprogrammiert – was der AfD auf Dauer noch mehr helfen dürfte.

Campact spendet Geld an mehrere Parteien

Obwohl sich Campact als "unabhängig von Parteipolitik und Wirtschaftsinteressen" versteht, spendet die Organisation Geld an Parteien. Auf der Homepage des Bundestags ist einsehbar, dass im September 2024 160.000 Euro an die SPD und 72.000 Euro an die Grünen gingen. Im August 2024 waren es rund 161.000 Euro für die Grünen und 68.000 Euro für die Linke.

Das moniert Volt in einem offenen Brief: "Volt ist auf dem Weg in den Bundestag. (...) Doch genau in diesem entscheidenden Moment startet Campact eine Kampagne – nicht gegen die AfD oder andere demokratiefeindliche Kräfte, sondern gezielt gegen Volt. (...) Campact agiert dabei nicht als neutrale Kraft, sondern als Unterstützer von Grünen, SPD und Linken. Anstatt sich mit Volts Politik auseinanderzusetzen, setzt Campact auf eine Desinformations-Kampagne – mit dem Ziel, Volts Erfolg zu schmälern."

Weiter heißt es: "Volt wird von Umfrageinstituten bislang nicht aktiv abgefragt. Trotzdem behauptet Campact, wir hätten keine Chancen."

Campact-Frau Gravenhorst kann den Frust von Volt sogar nachvollziehen. Sie schrieb watson: "Dass Kleinparteien über unsere Informationskampagne nicht erfreut sind, ist wenig verwunderlich. Schließlich ringen sie um jede Stimme für ihre Partei." Nur verfolge ihre Organisation eben andere Ziele.

Fabian Schuppert, Professor für Politische Theorie an der Universität Potsdam, äußerte sich im September im "Spiegel" zum grundsätzlichen Engagement von Campact. Dass die Organisation eine "größere Nähe zu gewissen Positionen und Parteien als zu anderen" habe, sei grundsätzlich nicht verwerflich. Jedoch: "Sollte dieses Modell Schule machen und sich nicht nur gegen eine in weiten Teilen wohl als rechtsradikal zu bezeichnende Partei wenden, dann ist das demokratietheoretisch sehr bedenklich."

Superheld, Sprachhüter, Gourmet: Markus Söders Instagram-Posts vor der Bundestagswahl

Markus Söder ist neben seinen Rollen als CSU-Chef, bayerischer Ministerpräsident und Fast-Kanzlerkandidat auch als Social-Media-Persönlichkeit bekannt. Mal umarmt er Bäume, dann postet er ein paar Würstchen, zwischendurch auch den ein oder anderen prägnanten politischen Inhalt.

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