
Reiche riecht nach Reichtum.Bild: dpa / Katharina Kausche
Meinung
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche will das Renteneintrittsalter anheben. Doch was als pragmatische Reform daherkommt, folgt einer fatalen Logik: Wer nicht mehr verwertbar ist, gilt als überflüssig. Warum die Debatte um die Rente mit 70 mehr über unser System verrät als über die Demografie.
29.07.2025, 09:1529.07.2025, 09:15
Da sind wir wieder, mittendrin im Strudel parteipolitischer Scherereien. Ein Wirbel, losgetreten durch Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche und ihre Forderung, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Die SPD ist erbost, die Linke auch, die Grüne entgeistert, die AfD erzürnt, die CDU (in Teilen) entzückt und die FDP – na ja, wen juckt’s?
Reiches champagnerbitterer Vorstoß hat sich durchaus Kritik verdient. Er ist aber weder schockierend noch sonderlich überraschend, geschweige originell. Seit Jahren plädieren Arbeitgeber:innen, Wirtschaftsinstitute und Politik für eine längere Lebensarbeitszeit. Manche setzen dabei auf Daumenschrauben-Druck via Gesetzgebung (Reiche, Linnemann), andere auf zuckrig-süße Anreize (Ricarda Lang).
Wie auch die Durchsetzungsmittel aussehen mögen, eine längere Lebensarbeitszeit folgt einer irrigen Logik.
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Aber bleiben wir erst mal bei Katherina Reiche und ihrer völlig absurden Argumentation. Da wäre etwa die aktive Arbeitszeit im Verhältnis zur Rente. Es sei nicht tragbar, dass wir nur zwei Drittel des Erwachsenenlebens arbeiten.
Das Renteneintrittsalter liegt bei 67, die durchschnittliche Lebenserwartung bei 78,2 (Männer) und 83,2 Jahren (Frauen). Rechnerisch schon blöde. Bei einem Drittel Rentenzeit müssten die Menschen schon über 90 werden. Aber es geht bei der Argumentation ohnehin nicht um Fakten, sondern Wirkung. Ein Verweis auf die Demografie soll diese nochmal ordentlich motorisieren.
Reiche sieht im demografischen Wandel und der höheren Lebenserwartung ein Problem, welches eine längere Lebensarbeitszeit unausweichlich macht. Faktisch ist klar: bis 2036 gehen 19,5 Millionen Beschäftigte in Rente, während insgesamt 12,5 Millionen nachkommen. Die Boomer-Unwucht soll Deutschland ordentlich ins Taumeln bringen.
Deshalb heißt's: Buckeln fürs BIP, für einen starken Standort, damit der stolze bundesdeutsche Adler weiterhin über den Weltmarkt gleitet. Stellt sich nur eine Frage: Muss er das? Nach Logik des globalen Wettbewerbs schon. Dafür müssen alle Menschen als Ressource herhalten, ungeachtet des Alters. Ob sie sich dem unterwerfen wollen, ist hingegen eine andere Frage.
Sind Innovationen die Lösung?
Natürlich könnten klügere Köpfe gegenhalten, dass technische Innovationen für mehr Produktivität sorgen könnten, wodurch Deutschland auch nach dem Boomer-Schwund ausreichend Güter produziert. Einen Wirtschaftsschaden müsste es also nicht geben, ein höheres Renteneintrittalter wäre ergo nicht nötig.
Ob es diese Innovationen aber geben wird, ist ungewiss. Das Problem der Verwertungslogik wäre damit weiterhin präsent.
Die Erhöhung des Renteneintrittsalters findet zudem längst statt, unabhängig eines ersehnten Fortschritts. Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren wird für Jahrgänge nach 1953 angehoben. Ohnehin: 45 Beitragsjahre und mit 63 (oder 65) packen nur Beschäftigte, die keine akademische Laufbahn hinter sich und stets durch malocht haben. Die sollen sich nach Reiche natürlich noch bis 70 kaputt ackern.
Denn gemeint sind nicht Ökonom:innen, nicht Professor:innen, nicht Politiker:innen, nicht Manager:innen, nicht Top-Verdiener:innen, nicht Rentiers, sondern Menschen mit mittlerem Einkommen, Menschen im Niedriglohnsektor, Menschen, deren Lobby-Einfluss maximal in den Bundestag tröpfelt, während die Kapitalseite diesen flutet.
Die Widersprüche des Rentensystems
Ein Monster ist Reiche deswegen nicht. Sie, aber auch alle anderen, die für Arbeit im Alter argumentieren, folgen einer kapitalistischen Denke. Dieser nach erfüllen Rentner:innen keine Funktion. Sie sind ausrangierte Produktivkräfte. Eine höhere Lebensarbeitszeit soll sie wieder in Arbeit zwingen, bestenfalls so lange, bis sie zu Staub zerfallen – ein letzter Dienst an der Kapitalverwertung. Alles für den Wachstumszwang, dem konkurrierende Staaten unterliegen.
Dem wohnt aber ein gewaltiger Widerspruch inne. Wer sich bis ins Alter länger körperlich fordert, wird eher mit Gebrechen zu kämpfen haben. Da es ohnehin zu wenig Pfleger:innen gibt, Heimplätze und Tagespflege zudem kaum bezahlbar sind, müssen Verwandte sie pflegen. Produktivkräfte gehen in die Care-Arbeit, es kommt wieder zum Mangel. Und in ein paar Jahren folgt der nächste Strudel parteipolitischer Scherereien. Vielleicht tritt ihn dann jemand mit bisschen mehr Köpfchen los.
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