16. Juli, 16.18 Uhr: Wolfram Jarosch ist seit ein paar Stunden unterwegs. Am Morgen hat er seinen Protestmarsch begonnen, von der JVA Dresden zur JVA Budapest. Der Weg, den sein Kind Maja T. am 28. Juni vergangenen Jahres genommen hat.
Ein Marsch von vielen Tagen. Bei Maja waren es mit dem Helikopter nur wenige Stunden – dann war die Auslieferung an die ungarischen Behörden vollzogen.
In der Nacht holte das LKA Sachsen laut der juristischen Fachdatenbank "Beck-Online" in Absprache mit der Berliner Generalstaatsanwaltschaft Maja aus der Zelle. Rechtsexpert:innen kritisieren, dass der Eilantrag des Bundesverfassungsgerichts, der weniger als eine Stunde zu spät kam, nicht abgewartet wurde.
Eine Debatte, die Maja nichts mehr nützt: Seit rund einem Jahr ist Maja inhaftiert, obwohl das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung inzwischen für rechtswidrig erklärt hat.
Seitdem kämpfen die Eltern um ihr Kind. Die Mutter, die denselben Nachnamen wie Maja hat, ist im Hintergrund für sie da. Wolfram Jarosch organisiert Demos, gibt öffentliche Interviews, ist ständig erreichbar. Auch für Journalist:innen.
Er ist von Jena nach Berlin gelaufen, um eine Petition für eine Rücküberstellung zu überreichen. Jetzt ist Jarosch zu Fuß auf dem Weg nach Budapest. 730 Kilometer. Ohne feste Nahrung. "Leider ist es manchmal so, dass man wirklich etwas deutlich Sichtbares machen muss, um überhaupt gehört zu werden", sagt er im Gespräch mit watson.
Er erinnert sich an den Moment, der sein Leben auf den Kopf stellte. Es war Mitte Dezember 2023. "Ich wurde plötzlich von Polizisten überrascht, die an die Tür geklopft und dann alles durchsucht haben", berichtet er. "Das war natürlich ein Schock."
Er erzählt: "Am Ende der Hausdurchsuchung sagte ein Polizist zu mir, ganz lapidar: 'Ihr Kind ist gerade verhaftet worden.'"
Erst durch den Durchsuchungsbefehl erfährt er, was Maja vorgeworfen wird. Es geht um schwere Körperverletzung. Maja T., mutmaßlich linksextrem, soll laut der ungarischen Staatsanwaltschaft im Februar 2023 in Budapest an Angriffen auf Rechtsextremist:innen beteiligt gewesen sein.
Vorwürfe, die aufgeklärt werden sollen. Müssen. Doch Ungarn steht für die Prozessführung massiv in der Kritik. Maja T. wird mit Hand- und Fußfesseln in den Saal geführt, an einer Leine um den Bauch. Linken-Politiker Martin Schirdewan sprach gegenüber watson von einem politischen "Schauprozess".
Nach einem Prozesstag berichtete Schirdewan, der Sachverständige habe Folgen des Hungerstreiks (darunter Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit) weggelassen. Die Staatsanwaltschaft bringe Aussagen, die vom Verteidiger bereits widerlegt seien; der Richter sei voreingenommen.
Wolfram Jarosch sagt, in den bisherigen Gerichtsterminen habe keine:r der Zeug:innen Maja erkannt. Es sei auch kein Video gezeigt worden, auf dem zu sehen wäre, wie Maja Gewalt ausgeübt hätte.
Ähnlich erzählt es Spiegel-Reporter Timo Lehmann, der den Prozess vor Ort begleitet. Er habe in den Videos bisher noch nichts gesehen, wo klar sei, dass es sich um Maja T. handelt. Auch werde nicht ersichtlich, welche Person darauf Maja sein soll. Lehmann war nicht bei allen Verhandlungstagen im Saal; Jarosch bei fünf.
Maja selbst äußert sich nicht zu den Vorwürfen. Vater Jarosch verweist auf die Unschuldsvermutung. Spiegel-Reporter Lehmann berichtet, man habe im Gericht "nicht das Gefühl, dass diese Unschuldsvermutung gilt".
Die Vorwürfe müssten in einem rechtsstaatlichen Verfahren geprüft werden, doch "da habe ich überhaupt nicht den Eindruck, dass es in Ungarn ein solches rechtsstaatliches Verfahren ist", kritisiert Jarosch. Auch Schirdewan bezweifelt dies.
Ungarn und die Rechtsstaatlichkeit – für die EU-Kommission ist das schon lange ein Thema. Ende 2022 hatte die EU bereits Gelder an das Land eingefroren. Im kürzlich veröffentlichten Rechtsstaatlichkeitsbericht steht Ungarn weiter schlecht dar. Es gebe gravierende Mängel, auch bei der Unabhängigkeit der Justiz.
Jetzt ist Maja T. mittendrin. Bei einer Verurteilung in Ungarn drohen bis zu 24 Jahre Haft, deutlich mehr, als in Deutschland zu erwarten wäre.
Vater Wolfram Jarosch versucht alles, damit sein Kind zurück nach Deutschland überstellt wird, sodass es hier ein Gerichtsverfahren geben kann; Maja in Ungarn wenigstens in Hausarrest verlegt wird – bisher ohne Erfolg.
Zuletzt wurde ein Hausarrest auch deswegen abgelehnt, weil Maja "nicht das geringste Anzeichen einer freiwilligen Unterwerfung" zeige und versucht habe, mit dem Hungerstreik Druck aufzubauen, heißt es laut einer Pressemitteilung vom Gericht. Jarosch wirft dem Gericht vor, immer neue Begründungen zu konstruieren. Dass sich nichts ändert, das fühlt sich für den Vater frustrierend an.
Darum läuft Jarosch. Das hilft auch ihm, in gewisser Weise. Etwas tun, was vielleicht einen Effekt hat.
Den Hungerstreik, den Maja aus gesundheitlichen Gründen nach 40 Tagen unterbrochen hat, führt er weiter. Will auf dem Weg auf feste Nahrung verzichten. Dadurch erhofft er sich, mehr Aufmerksamkeit auf sein Anliegen zu lenken.
Und er will Druck ausüben, erwartet, dass Außenminister Johann Wadephul sich einsetzt. Der hatte angekündigt, eine Delegation des Auswärtigen Amtes nach Ungarn zu schicken. Zunächst gehe es darum, Haftverbesserungen zu erreichen, sagte der CDU-Politiker.
Maja berichtete von Ungeziefer in der Zelle, von völliger Isolation. Nur die dauerhafte Videoüberwachung wurde inzwischen eingestellt. Außerdem gebe es Nacktkontrollen. "Das ist natürlich sehr unangenehm, wenn man das jeden Tag vor männlichen Wärtern machen muss, die sich dann noch darüber lustig machen – gerade für eine non-binäre Person", sagt Jarosch.
Maja erklärte vor wenigen Wochen, die Haft nicht mehr auszuhalten: der Grund für den Hungerstreik. Majas Zustand verschlechterte sich dabei dramatisch. Es folgte die Verlegung in ein Haftkrankenhaus. Laut Jarosch gibt es hier keine Bettwanzen, es sei "relativ modern und sauberer als die Haftanstalt". Auch Wärter:innen, Ärzt:innen und Pfleger:innen seien etwas freundlicher.
"Maja kann aus dem Fenster gucken und hat zum ersten Mal seit einem Jahr die Sterne gesehen" – darüber habe sich Maja besonders gefreut.
In der Haftanstalt seien die Fenster verkleidet. Laut Bundesverfassungsgericht ist das nur erlaubt, wenn den Insassen der Blick ins Freie dadurch nicht völlig genommen wird.
Zuletzt hat Jarosch sein Kind im Juli gesehen. Bei dem Besuch hat er Maja auch umarmen dürfen: Das sei nicht immer der Fall. Überhaupt sind die Regeln für Besucher:innen streng. Zwei Stunden im Monat seien erlaubt – mehr nicht. Er will versuchen, für Anfang August wieder einen Besuchstermin zu bekommen, denn es wäre schön, Maja nach der langen Reise in den Arm nehmen zu können, sagt er.
Wolfram Jarosch macht sich große Sorgen um Maja. Besonders wegen der Isolation. Daran hat sich auch im Krankenhaus nichts geändert. "Das finde ich absurd", findet Majas Vater. "Ein Krankenhaus ist doch dazu da, um gesund zu werden."
Begründet werde die Isolation auch mit Majas Identität. Wegen des queerfeindlichen Klimas könnte Maja angegriffen werden. Überzeugend findet Jarosch das nicht. "Man könnte doch gezielt auswählen, mit wem Maja gemeinsam Hofgang hätte." Seine größte Angst aktuell? Ein weiteres Andauern der Isolation.
Die Situation ist auch für ihn schwer auszuhalten. "Man möchte am liebsten einfach hinfahren und Maja rausholen. Aber das geht ja nicht."
Maja versuche, den Tag zu strukturieren, mache Yoga, lerne Italienisch und Ungarisch. Maja würde gerne Forstwirtschaft oder Landschaftsgartenbau studieren; ein dickes Lehrbuch, das Wolfram Jarosch mit ins Gefängnis gebracht hatte, hat Maja in Haft komplett durchgearbeitet. Dass sein Kind das alles durchhält, findet er "bewundernswert".
Wann sich etwas ändert, ist ungewiss. Wolfram Jarosch, der nun nicht nur Lehrer, sondern Sprachrohr für Maja ist, will weiterkämpfen. Vormittags Schule. Nachmittags Maja. Gerade sind Ferien – deshalb ist der Protestmarsch möglich.
Kraft gibt ihm seine Familie, Freund:innen, Menschen, die sich vorstellen: 'Was wäre, wenn das meinem Kind passieren würde?' Und seine Frau, die ihn mit dem Fahrrad begleitet. Die ganze Situation sei eine "himmelschreiende Ungerechtigkeit", sagt er. "Ich würde auch bis nach Kathmandu laufen, um Maja freizubekommen."