Es ist der 7. November 2024. Heute ist der Tag, an dem in Deutschland der Wahlkampf beginnt.
Gestern Abend ist die Ampel geplatzt. Olaf Scholz hat Christian Lindner fast schon kunstvoll verbal zerlegt. Christian Lindner spielte anschließend den patzigen Besserwisser. Und Annalena Baerbock und Robert Habeck wussten auch nicht so genau, in was für eine Show sie da rein geraten sind. Deutschland ist sich einig: Es ist gut, dass diese Regierung nicht weitermacht.
Dennoch, oder gerade deshalb, wären alle Beteiligten, und damit ist Markus Söder, der Mann mit dem nervösen Twitter-Daumen, der heute eigentlich X-Daumen heißt, und seine CDU/CSU-Opposition mitgemeint, gut beraten, den Ball verbal für ein paar Tage flach zu halten. Um sich zu sammeln. Um sich darauf zu besinnen, was in unserem Land und unserer Welt gerade passiert.
Rund zwölf Stunden vor dem Ampel-Aus wurde Donald Trump zum zweiten Mal zum US-Präsidenten gewählt. Es ist eine Wahl, die zeigt, was geschieht, wenn Menschen keinen Bock mehr haben auf das politische Establishment.
Trump wurde nicht gewählt, weil er einen politischen Plan hat, und er wurde auch nicht gewählt, weil die Mehrheit der Bevölkerung es gut findet, wenn jemand andauernd lügt und es normal findet, Frauen ungefragt zwischen die Beine zu greifen.
Er wurde gewählt, weil er erfolgreich so tut, als würde er die Probleme der Menschen verstehen. Und, noch schlimmer, weil die Bevölkerung der USA über all seine Verfehlungen hinwegsieht, weil sie sie im Zweifel als weniger schlimm erachten als das Rumgeeiere der etablierten Politiker:innen. "Amerika wählt also Rache", schrieb mein geschätzter Chefredakteurskollege Florian Harms gestern bei t-online. Diese Formulierung bringt es für mich am treffendsten auf den Punkt.
Die Entwicklung in den USA, und das ist wichtig zu verstehen, hat nicht vor kurzer Zeit begonnen, sondern mit Präsident George W. Bush vor über 20 Jahren. Seine erfundenen Gründe für einen Krieg im Irak haben das Vertrauen in die Politik derart tief erschüttert, dass auch er ein Wegbereiter Donald Trumps ist. Den Rest werden irgendwann Historiker:innen in Büchern aufarbeiten.
Der Blick in die USA lohnt nicht nur, weil Trumps Wahl und das Ampel-Aus am gleichen Tag stattfanden. Er ist vor allem deshalb wichtig, weil uns das, was in Amerika passierte, auch in zehn, 15 Jahren in Deutschland drohen könnte.
Niemand, wirklich niemand, sollte hierzulande höhnisch über die Vereinigten Staaten und die Dummheit der Amis sprechen. Sondern sich vor Augen führen, dass das Ampel-Theater und die zum Teil trumpeske Rhetorik von CDU/CSU auch hier dazu führt, dass Populist:innen, Faschist:innen und Radikale auf dem Vormarsch sind.
Genau deshalb: durchatmen. Zur Besinnung kommen. Und ganz genau darüber nachdenken, mit welchen Inhalten und in welcher Tonalität man den nun beginnenden Wahlkampf bestreiten möchte. Die Wähler:innen lassen sich nämlich nicht für dumm verkaufen. Sie merken, was nur parteipolitische Spielchen sind, und sie haben darauf keinen Bock mehr. Sie wollen, dass man ihre Ängste ernst nimmt und sich um echte Lösungen bemüht.
Und die größte Angst, auch das eint die USA und Deutschland, wird durch die Frage befeuert, wer sich wie das eigene Leben in Zukunft noch wird leisten können. Das wiederum ist eine komplizierte Nummer, denn sie ist nicht, wie in politisch einfacheren Zeiten, nur von Lohnerhöhungen oder Steuersätzen abhängig. Erst recht nicht für junge Menschen.
Die Gen Z und die jüngere Hälfte der Millennials weiß, dass es ihnen finanziell nie so gut gehen wird wie den Boomer:innen. Das ist vielleicht noch zu verschmerzen. Aber sie wissen auch, dass es viel schlimmer kommen könnte; dass die Folgen der Klimakrise (und die Kosten ihrer Bekämpfung) sowie der drohende finanzielle Kollaps von Renten-, Pflege- und Krankenversicherungssystemen in eine Zukunft weisen, die verdammt unlustig werden könnte.
Es ist daher, excuse my French, auch scheißegal, ob nun Scholz oder Lindner das Ampel-Aus verursacht hat. Und noch unwichtiger ist es, dass Markus Söder einen Tobsuchtsanfall bekommt, wenn er einen Grünen sieht.
Das einzige, was für die Generationen von morgen zählt, ist nun, dass endlich mehr Politiker:innen aufstehen, um nicht nur eine kurzfristige Klientelpolitik zu machen oder sich auf billigem Weg die Stimmen der ganzen Rentner:innen zu sichern, die am Ende halt leider auch hier die Wahlen entscheiden, sondern endlich wirklich an die mittel- und langfristige Zukunft zu denken.
Es geht ab heute daher nicht um die ganzen rückwärtsgewandten Beschimpfungen, sondern den Blick nach vorne. Und wir können alle nur hoffen, dass die Antwort keine populistischen Forderungen sind. Erst recht, weil die Zeit, sinnvolle Wahlprogramme auf die Beine zu stellen, verdammt knapp ist.
Niemand hat Bock, dass auch hier irgendwann ein Typ wie Donald Trump regiert. Vielleicht ist das der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Scholz, Habeck, Lindner und Merz einigen können. Als Basis für den heute beginnenden Wahlkampf nach einem 6. November 2024, der in die Geschichtsbücher eingehen wird.
Und wenn wir das alle verstanden und verinnerlicht haben, geht es darum, Antworten zu finden. Denn, und davon sind wir alle überzeugt: Deutschland ist ein derart starkes Land, dass wir dazu in der Lage sind. Wir müssen uns nun nur gemeinsam aus der Spirale der Miesepetrigkeit, des Zögerns und des Pöbelns befreien. Und an die Zukunft denken.
An die Zukunft der jungen Menschen, die schlicht und einfach Angst haben, dass ihr Land gegen die Wand fährt.