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Friedrich Merz und die AfD: Kann man diesem Mann vertrauen?

Friedrich Merz und die AfD: Wo führt das noch hin?
Einmal kurz auf die Uhr geschaut: Es ist kurz nach Tabubruch.Bild: imago images / jens schicke
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Friedrich Merz und die AfD: Vertraust du diesem Mann?

30.01.2025, 20:02
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"Für ein Land, auf das wir wieder stolz sein können", steht in großen Buchstaben auf Wahlplakaten von Friedrich Merz. Mag sein, dass er an dieser Stelle einen Punkt hat. Denn es fällt gerade wirklich schwer, stolz auf unser Land zu sein – auch wenn man darüber diskutieren kann, wie wichtig Stolz auf das eigene Land überhaupt ist.

Es gibt so viele Dinge in Deutschland, über die man den Kopf schütteln kann, so viele Bereiche, in denen wir modernen und mutigen Fortschritt brauchen. Und die Menschen in Deutschland haben am 23. Februar die Wahl, zu entscheiden, wem sie die Lösung unserer Probleme anvertrauen.

Bis vor wenigen Tagen konnte es kaum einen Zweifel daran geben, wer der nächste deutsche Bundeskanzler werden wird – doch nun könnte noch einmal etwas ins Wanken geraten. Und im Mittelpunkt steht eine Frage:

Vertraust du Friedrich Merz?

Friedrich Merz hat in dieser Woche im Bundestag eine Aufführung zum Besten gegeben, die realpolitischer Nonsens ist. Sein Fünf-Punkte-Plan ist rechtlich unverbindlich und ändert nichts. Gar nichts. Und das Zustrombegrenzungsgesetz, das am Freitag zur Abstimmung steht, wird losgelöst vom Votum im Bundestag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Bundesrat nie passieren. Von juristischen Fallstricken ganz zu schweigen.

All das, was wir in dieser Woche gesehen und gehört haben, war am Ende nicht mehr als eine riesengroße Showeinlage.

Vertraust du Friedrich Merz?

In wenigen Wochen möchte Friedrich Merz als Bundeskanzler das Land regieren, auf das er so gerne wieder stolz wäre. Doch auch ein Friedrich Merz weiß, dass er dafür einen Koalitionspartner benötigt. Entweder die SPD oder die Grünen wird es für eine Mehrheit im Bundestag (mindestens) brauchen.

"Merz provozierte den Tabubruch mit Ansage."

Er wird mit ihnen Koalitionsgespräche führen, sich partnerschaftlich auf gemeinsame Vorhaben einigen, vertrauensvoll zusammenarbeiten wollen. Nur Wochen, nachdem er sie derart brüskiert und an den Grundfesten unserer Demokratie gerüttelt hat – weshalb man sich beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass nun eine stabile Regierung entstehen kann, dass nun Politiker:innen anderer Parteien, ob Rot oder Grün, diesem Mann den Rücken stärken werden.

Zumal sie wissen: Nur eine einzige (!) Abgeordnete der Union stimmte am Mittwoch gegen den Fünf-Punkte-Plan von Friedrich Merz. Alle anderen Abstimmenden spielten sein schmutziges Spiel mit, das weit über die üblichen Wahlkampfmanöver hinausging.

Vertraust du Friedrich Merz?

dpatopbilder - 29.01.2025, Berlin: Die Fraktion der AfD feiert im Bundestag das Abstimmungsergebnis im Bundestag für eine Verschärfung der Migrationspolitik. In der mitte Alice Weidel. Foto: Michael K ...
In besonderen Momenten macht man ein Selfie zur Erinnerung. Auch die AfD am Mittwoch im Bundestag.Bild: dpa / Michael Kappeler

Für diesen Schritt nahm er nicht aus Versehen die Zustimmung der AfD in Kauf. Nein, Merz provozierte den Tabubruch mit Ansage. Der Kanzlerkandidat der Union betonte vollmundig, ihm sei "egal", wer für seinen Plan stimme, versuchte vorab schon der SPD und den Grünen den schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben, simulierte nach vollführter Show ein wenig Betroffenheit und geht doch als der Mann in die Geschichtsbücher ein, der als Erster und in vollem Bewusstsein eine Mehrheit im Deutschen Bundestag durch die AfD herbeiführte.

Vertraust du Friedrich Merz?

"Merz war es, der im November die SPD und die Grünen aufforderte, Zufallsmehrheiten mit der AfD zu vermeiden."

Viele, viele Politiker:innen mussten für einen Wortbruch schon zurücktreten, doch Friedrich Merz schiebt Bedenken an seiner Charakterfestigkeit mit einem Totschlagargument zur Seite: mit seinem Gewissen.

Er interpretiert das Geschehene so um, wie es ihm passt. Erzählt, dass er gar keine andere Wahl gehabt habe, wegen des Gewissens. Er betont, mit der AfD nicht "zusammengearbeitet" zu haben, schließlich habe die Rechtsaußen-Partei nicht an seinem Plan mitwirken dürfen. Es sind Wortklaubereien, wie sie meist nur Jurist:innen können. Hinfällig ist sein eigenes Wort dennoch. Denn Merz war es, der im November selbst die SPD und die Grünen aufforderte, Zufallsmehrheiten mit der AfD unbedingt zu vermeiden.

Vertraust du Friedrich Merz?

All das tut ein Mann, dem die Politik vor 15 Jahren gar nicht mehr so wichtig war. Als er sich aus dem Bundestag zurückzog, weil ihm die eigene Rolle in der CDU nicht mehr groß genug war. Dienst am Volk war nicht mehr angesagt. Stattdessen ging er in die freie Wirtschaft. Die Politik und das Wohl des Landes wurden ihm erst wieder wichtig, als er die Chance sah, selbst auf der ganz großen Bühne zu stehen. Wie weit würde er gehen für die eigene Macht, wie skrupellos ist er, wenn nicht das geschieht, was er fordert?

Vertraust du Friedrich Merz?

Wer jetzt behauptet, Friedrich Merz schrecke auch vor einer Koalition mit der AfD nicht zurück, dem ruft er das Wort "infam" entgegen. Und doch ist Friedrich Merz ein Politiker, der sich schon mehrfach für fremdenfeindliche Äußerungen entschuldigen musste, über die Jahre hinweg, immer wieder. Ob's nun um "Sozialtourismus" oder "kleine Paschas" ging.

Das bedeutet nicht, dass er konkret und aktiv eine schwarz-blaue Koalition plant. Ihm das zu unterstellen, würde in der Tat einen Schritt zu weit gehen.

Und doch gibt es Fragen, die man sich stellt: Wie reagiert Friedrich Merz, wenn er in Koalitionsgesprächen mit der SPD merkt, dass er nicht jeden Punkt an den Sozialdemokrat:innen vorbeibringt? Oder wenn er – noch schlimmer – aufgrund des Wahlergebnisses auf einmal sein großes Feindbild, die Grünen, benötigt, um Kanzler zu werden? Hat er dann die Größe, Kompromisse einzugehen? Oder gilt dann das, was in diesen Tagen gilt: Es ist nicht wichtig, wer zustimmt, sondern wofür gestimmt wird?

Vertraust du Friedrich Merz?

Und ohnehin: Wer ist die moralische Instanz, die entscheidet, wann es nicht mehr schlimm sein soll, mit Rechtsradikalen gemeinsame Sache zu machen? Wer entscheidet, wann das Gewissen wichtiger ist als die Grundfesten unserer Demokratie?

Vertraust du Friedrich Merz?

Es gibt Wähler:innen, die nicht nur an heute, sondern auch an 2029 denken. Die wissen, dass die Brandmauer im Januar 2025 gefallen ist. Die sehen, wie in anderen Ländern plötzlich doch die Rechtsradikalen mitregier(t)en. Oder die jetzt, ganz langsam, besser verstehen, was vor rund 100 Jahren in Deutschland geschehen ist – auch wenn man sich heimlich immer fragte, "wie das denn passieren konnte".

Es sind Leute, die Angst haben, wenn sie die jubelnde AfD im Bundestag sehen, nachdem Friedrich Merz einen folgenschweren Fehler begangen hat.

Was, wenn eine Regierung Merz ab März 2025 nicht erfolgreich ist? Wird er dann, im nächsten Wahlkampf, selbstkritisch Fehler zugeben oder gemeinsam mit all den Scharfmacher:innen, die er in der Partei aktuell um sich schart, nur mit dem Finger auf andere zeigen? Gilt 2029 dann noch sein Wort, nie mit der AfD zusammenzuarbeiten? Und ist es das gleiche Wort, das er in dieser Woche gebrochen hat?

Vertraust du Friedrich Merz?

Am 23. Februar wählt Deutschland. Fast alle Menschen wünschen sich eine bessere Regierung. Und gleichzeitig werden sie sich eine Frage stellen, bevor sie ihr Kreuz machen, auch wenn sie fest vorhatten, ihre Stimmen der Union zu geben. Weil sie ein Gewissen haben. Weil es noch immer eine klare Mehrheit für eine Brandmauer gibt.

Vertraue ich Friedrich Merz?

Vertraue ich ihm wirklich?

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