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Merz' Waffen-Exportstopp nach Israel: Experten-Stimme, Folgen, Gründe

Raed Salem Aslyieh, left, from Jabaliya, hugs his relatives after the death of his son, Ahmed Raed Aslyieh, 18, who succumbed to injuries sustained in an Israeli strike that killed eight other family  ...
Ob der Exportstopp von Waffen nach Israel dazu beitragen kann, das massive Leid in Gaza abzumildern?Bild: AP / Jehad Alshrafi
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"Bemerkenswerter Schritt": Was Merz' Waffenexport-Entscheidung bedeutet

Zum ersten Mal seit Beginn des Gaza-Kriegs schränkt Deutschland Waffenexporte an Israel ein. Kanzler Merz spricht von Verantwortung, ein Konfliktforscher erklärt, warum dieser Schritt weitreichende außenpolitische Folgen hat und über eine reine Symbolwirkung hinausgeht.
08.08.2025, 15:4208.08.2025, 16:37
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Seit fast zwei Jahren tobt der Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas im Gazastreifen. Zerstörung, Flucht und Hunger prägen das Gebiet – und die jüngste Entscheidung des israelischen Sicherheitskabinetts könnte die Lage weiter verschärfen.

Die Regierung in Jerusalem will nicht nur die militärische Kontrolle über die Stadt Gaza übernehmen, sondern auch ihre Offensive ausweiten. Kritiker:innen befürchten eine weitere Eskalation mit katastrophalen Folgen für die Zivilbevölkerung.

Die Pläne aus Jerusalem haben in Berlin eine schnelle Reaktion ausgelöst. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gab am Freitag bekannt, dass Deutschland "bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern" genehmigen werde, "die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können."

Damit reagiert die Bundesregierung erstmals mit direkten Einschränkungen gegenüber Israel – ein Schritt, den Teile der Koalition schon länger gefordert hatten und den der Friedens- und Konfliktforscher Thorsten Bonacker als "bemerkenswert" bezeichnet.

Was genau hat die Merz-Regierung beschlossen?

Bundeskanzler Friedrich Merz erklärte am Freitag, dass Deutschland keine Rüstungsgüter mehr liefern werde, "die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können". Der Exportstopp gilt "bis auf Weiteres". Merz begründete die Entscheidung mit dem "beschlossenen, noch härteren militärischen Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen".

Nach Regierungsangaben betrifft die Maßnahme ausschließlich Waffen und Ausrüstung, die in den Kampfhandlungen in Gaza eingesetzt werden könnten. Welche genau das sind, ist aktuell noch unklar. Andere Formen der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit bleiben davon unberührt. Es ist die erste direkte Einschränkung dieser Art seit Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober 2023.

Warum wurde der Exportstopp jetzt verhängt?

Auslöser war die Entscheidung des israelischen Sicherheitskabinetts in der Nacht zum Freitag. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte zuvor einen Plan vorgelegt, der die Einnahme der Stadt Gaza vorsieht. Ziel sei es laut Netanjahus Büro, die Hamas zu entwaffnen, alle Geiseln zurückzuholen und die militärische Kontrolle über das Küstengebiet zu sichern.

Merz betonte: "Israel hat das Recht, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen." Gleichzeitig kritisierte er, dass das aktuelle militärische Vorgehen "immer weniger erkennen lässt, wie diese Ziele erreicht werden sollen."

Wie positioniert sich die SPD?

Vize-Kanzler und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) sprach von einer "richtigen Entscheidung". Er erklärte: "Das humanitäre Leid in Gaza ist unerträglich. Dem Staat Israel gilt unsere volle Solidarität, aber Falsches muss benannt werden."

Palestinians ride on a truck loaded with food and humanitarian aid as it moves along the Morag corridor near Rafah, in the southern Gaza Strip, Aug. 4, 2025. (AP Photo/Mariam Dagga)
Gaza: Palästinenser beim Versuch, an Essen zu kommen. Bild: AP / Mariam Dagga

Klingbeil forderte, humanitäre Hilfe müsse "schnellstmöglich und umfassend" nach Gaza gelangen. Außerdem warnte er, es dürften "keine weiteren Fakten geschaffen werden, die einer Zweistaatenlösung entgegenstehen, weder in Gaza noch im Westjordanland."

Wie viele Waffen hat Deutschland bislang an Israel geliefert?

Nach Angaben der Bundesregierung wurden seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 Waffenexporte im Wert von mindestens 485 Millionen Euro genehmigt. Direkt nach Kriegsbeginn erhielt Israel unter anderem 3000 tragbare Panzerabwehrwaffen sowie rund 500.000 Schuss Munition.

Im Jahr 2024 sank der Umfang der Genehmigungen laut Statista-Daten auf gut 160 Millionen Euro – deutlich weniger als in den Monaten unmittelbar nach dem Terrorangriff. Bis Mitte März 2025 lag der Wert bei knapp 22,5 Millionen Euro, dabei handelte es sich ausschließlich um sogenannte Rüstungsgüter, nicht um Kriegswaffen.

Auf eine Anfrage von watson, ob der Stopp auch bereits in der Vergangenheit genehmigte Rüstungsgüter einbeziehe, berief sich ein Regierungssprecher auf die Geheimhaltung der Sitzungen des Bundessicherheitsrats: "Wir bitten daher um Verständnis, dass wir uns zu in der Vergangenheit genehmigten Ausfuhren von Rüstungsgütern nicht äußern können."

Schritt mit Folgen für die deutsch-israelischen Beziehungen?

Die unbedingte Sicherung der Existenz und Sicherheit Israels gilt als deutsche Staatsräson und bildet seit Jahrzehnten einen unverrückbaren Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik. Dennoch fordert die Bundesregierung hier eine klare Abwägung zwischen dieser historischen Verpflichtung und aktuellen Entwicklungen.

Die Maßnahme markiert einen Wendepunkt in der deutschen Israelpolitik. Internationale Beobachtende sehen im Exportstopp ein Signal an die israelische Regierung, ihre Offensive zu überdenken.

Thorsten Bonacker, Politikwissenschaftler an der Universität Marburg und Konfliktforscher, hält den "Schritt der Bundesregierung für bemerkenswert", wie er gegenüber watson erklärt: "Denn bislang ist es ja eher bei einer moderaten Kritik geblieben."

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Merz und Netanjahu: Die Staatsmänner pflegten bisher ein wohlgesonnenes Verhältnis.Bild: GPO / Kobi Gideon

Da Deutschland zweitwichtigste Waffenexporteur für Israel sei, handele es sich hier "um eine auch symbolisch wichtige Entscheidung", sagt der Experte.

Dass der Kanzler zugleich das Recht Israels betone, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen, zeige, "dass die Bundesregierung weiterhin verbindlich an der Seite Israels steht". Die Bundesregierung beuge damit der Kritik vor, sich von Israel zu distanzieren und sich in die Reihen derer zu stellen, die etwa Palästina als Staat anerkennen und darüber Druck auf die israelische Regierung ausüben wollen.

Ob dies zu einer spürbaren Veränderung der Militärstrategie führt, bleibt abzuwarten.

Wie reagiert Israel auf die Entscheidung?

Die Entscheidung dürfte in Israel kaum auf Begeisterung stoßen. Eine direkte Stellungnahme aus Jerusalem zu den deutschen Exportbeschränkungen lag zunächst (Stand: Freitagmittag) nicht vor. Die israelische Regierung hat jedoch wiederholt betont, dass die Offensive in Gaza notwendig sei, um die Hamas zu entwaffnen und die Sicherheit Israels zu gewährleisten.

Kritische Stimmen aus Israel sehen derartige Einschränkungen häufig als unangemessene Einmischung in souveräne Verteidigungsangelegenheiten. Und nicht nur dort.

Der Zentralrat der Juden übt scharfe Kritik. Israel werde täglich von Feinden angegriffen und mit Raketen beschossen. "Israel nun die Möglichkeit zu nehmen, sich gegen solche Bedrohungen zu verteidigen, gefährdet dessen Existenz", fügte Schuster hinzu.

Deutschland müsse stattdessen den Druck auf die Terrororganisation Hamas erhöhen. "Die Bundesregierung sollte ihren eingeschlagenen Weg schnellstmöglich korrigieren", forderte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Das im Ausmaß unangemessene Vorgehen Israels im Gazastreifen ist nicht von der Hand zu weisen.

Was bedeutet die Entscheidung für Gaza?

Ob der Exportstopp kurzfristig eine Veränderung im Kriegsgeschehen bewirken kann, ist unklar. Die humanitäre Situation ist laut UN bereits jetzt katastrophal: Es herrscht eine beispiellose Hungersnot, weite Teile der Enklave sind zerstört.

Merz forderte die israelische Regierung auf, einen "umfassenden Zugang für Hilfslieferungen" zu ermöglichen – auch für UN-Organisationen und andere nichtstaatliche Hilfsorganisationen. Israel müsse "die humanitäre Lage in Gaza weiter umfassend und nachhaltig verbessern."

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