Bundeskanzlerin 2029? Noch gibt es die Möglichkeit, Alice Weidel von der Macht fernzuhalten.Bild: imago images / revierfoto
Analyse
03.02.2025, 07:5503.02.2025, 10:06
Stets bemüht – so wirkten die bisherigen Versuche der demokratischen Parteien, sich zur AfD zu verhalten und der in Teilen rechtsextremen Partei gegenüberzutreten. Einerseits positiv hervorzuheben ist die seit Jahren stabile Ablehnung einer Zusammenarbeit mit Weidel, Höcke und Co. – auch wenn dieser Grundsatz nun bei der Bundes-CDU ins Wanken zu geraten scheint.
Doch fernab vom kollektiven Nein zu einer Koalition wird es dünn. Wie ist auf die steigende Beliebtheit der AfD zu reagieren und wie sind Wähler:innen auf die demokratische Seite der Macht zurückzuholen?
Manche wollen die AfD mit Geschichten vom Zahnarztbesuch oder Abschiebe-Fantasien kopieren, andere sich umso stärker von ihr abgrenzen. Häufig geschieht beides gleichzeitig – und am Ende ist die AfD der lachende Dritte.
Die Konzeptlosigkeit der Demokrat:innen beim Umgang mit dieser gar nicht mehr so neuen Partei bereitet vielen Menschen Angst vor einer Kanzlerin Weidel in der Zukunft – oder gar einem Kanzler Höcke.
Watson hat daher bei Expert:innen nachgefragt, was die Parteien jetzt noch gegen die AfD tun können – auch kurzfristig vor der Bundestagswahl 2025.
Wahlkampf mit Migration hilft laut Experten nur der AfD
Um es klar zu sagen: "Man kann aus der Forschung nicht einfach Strategien ableiten, die wasserdicht funktionieren", sagt Populismusforscher Marcel Lewandowsky gegenüber watson. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Aufstieg der AfD. Daher kennt er zumindest Erklärungsansätze, wie mit der Partei umgegangen werden sollte – oder eben nicht.
Lewandowsky betont, dass der Versuch, "sich in der Migrationspolitik den Rechtspopulisten anzunähern, vor allem für konservative Parteien risikoreich ist". Am Ende würden die Wähler:innen doch dem "Original", der AfD, die Stimme geben, das sei nachweisbar.
Statt auf das eine Thema, das von der AfD bespielt wird, zu setzen, sollten die anderen Parteien lieber "eigene Themen setzen, die sie zur Genüge haben" – ansonsten würden sie die Rechtspopulist:innen "im Gespräch" halten und ihnen damit Relevanz geben.
Dem stimmt Forsa-Institutschef Manfred Güllner zu. Er rät den demokratischen Parteien davon ab, sich in den letzten Wochen des Wahlkampfs "ausschließlich mit der Migrationspolitik" zu beschäftigen. Stattdessen sollten sie sich laut dem Wahlforscher "um die großen Sorgen der Menschen über die schwierige ökonomische Lage in Deutschland kümmern".
Nur so könnten die demokratischen Parteien ein "Erstarken der AfD" verhindern. Güllner kritisiert im Gespräch mit watson zudem "gegenseitige Schuldzuweisungen" im demokratischen Lager und rät zu einem "konsensorientierten" statt "konfrontativen" Politikstil.
Ökonom fordert von Parteien "positive Visionen für die Zukunft"
Steffen Huck sieht bei der Art und Weise, wie die demokratischen Parteien über Migration sprechen, ebenfalls Nachholbedarf. Der Ökonom vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung fordert "eine Umbewertung des Migrationsthemas".
Huck und seine Kollegin Maja Adena haben in ihrer Forschung herausgefunden, dass AfD-Wählen unglücklich macht. Als Folgerung daraus fordert Huck von den demokratischen Parteien wieder mehr "positive Visionen", – etwa bei der Migration. Er skizziert einen Ansatz:
"Ohne eine vernünftige Einwanderungspolitik werden die Renten langfristig wirklich gefährdet sein, wenn jeder einzelne Arbeitnehmer zwei andere noch miternähren muss."
Auch weitere "positive Themen" gäbe es "zuhauf". Huck nennt im Gespräch mit watson neben "Verteilungsgerechtigkeit nicht nur für Rentner" auch "endlich Digitalisierung und Entbürokratisierung, Hightech und erneuerbare Energien". Bei der Energiewende müsse man den Leuten vermitteln, dass es nicht "an ihr Eigenheim" geht.
Doch die Orientierung am Wohlbefinden der Wähler:innen endet nicht bei den thematisierten Inhalten – Huck erklärt: "Personal spielt natürlich auch eine Rolle." In dieser Hinsicht kritisiert er CDU und SPD dafür, dass diese mit Friedrich Merz und Olaf Scholz "ihre unbeliebtesten Kandidaten für das Amt des Kanzlers nominieren".
Diese Personalentscheidungen seien demnach "in einer derartig gefährlichen Zeit" weder "gut fürs Wohlbefinden" der Wähler:innen noch für die "Glaubwürdigkeit der Mainstream-Parteien".
Rechtspopulisten verlieren Stimmen durch Investitionen
Neben der Art der Ansprache und der Behandlung des Migrationsthemas können aber auch nüchterne politische Maßnahmen gegen ein weiteres Erstarken der AfD helfen – oder ihre Zustimmung sogar verringern.
So kann ein signifikanter Rückgang der Stimmen für rechtspopulistische Parteien in strukturschwachen Gegenden nachgewiesen werden, in denen aktiv Geld investiert wird – etwa in die Infrastruktur, den Nahverkehr zum Beispiel.
Ökonom Robert Gold hat vor einigen Monaten am Kiel Institut für Weltwirtschaft eine Studie dazu veröffentlicht. Diese hat vor der Europawahl ergeben, dass in abgehängten Regionen, in die EU-Gelder investiert werden, rechtspopulistische Parteien zwei bis drei Prozentpunkte weniger Stimmen bekommen als zuvor.
Eine Investition in die Regionen von 100 Euro pro Kopf reduzierte die Zustimmung für diese Parteien um 0,5 Prozentpunkte. Für Gold bedeutet das, dass man "Menschen für die Demokratie zurückgewinnen kann, wenn man die Nachteile, die ihnen aus der ökonomischen Entwicklung entstehen, abmildert".
Es ginge vor allem darum, Perspektiven für benachteiligte Regionen und Personen zu schaffen und das Gefühl, "dass sich Politik um die Belange der wirtschaftlich Benachteiligten kümmert". Durch die Investitionen könne dadurch das Vertrauen in Demokratie und Marktwirtschaft gestärkt werden, weil dessen Vorteile "konkret erfahrbar" gemacht werden.
Ein Beispiel dafür sind etwa Investitionen in Bus und Bahn, da die Menschen in besonders strukturschwachen Regionen "auf die infrastrukturelle Anbindung an benachbarte Wachstumszentren angewiesen sind".
Es war ein historischer Tag. Am 29. Januar hat zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ein Antrag im Bundestag die nötige Mehrheit mithilfe von Stimmen der AfD erhalten. Bei dem "Fünf-Punkte-Plan" zur Migration könne er keine Kompromisse machen, verteidigte CDU-Chef Friedrich Merz sich im Vorfeld. Es sei eine Gewissensfrage. Stimmen der AfD nahm er willentlich in Kauf.