Tareq Alaows wirft die Kippe weg, mit schnellen Schritten läuft er die Treppen seines Bürogebäudes hoch in den vierten Stock. Er ist nicht außer Atem, trotz Raucherei. Schnell noch ein paar Sachen wegräumen, Kaffee kochen, Wasser auffüllen. Er rennt hin und her durch die Räumlichkeiten von Pro Asyl.
Alaows Tag bräuchte wohl mehr als 24 Stunden. Sein Leben, meint er, läuft sehr spontan ab. Ein Anruf hier, ein Meeting da. Gerade kommt er von einem spontanen Treffen aus dem Bundestag. Es komme immer wieder vor, dass er Verabredungen abends ausfallen lassen müsse, weil ein dringender Anruf aus der Abschiebehaft kommt. Alaows ist zur Stelle, wenn er gebraucht wird. Was ihn entspannt, wenn er mal einen Ausgleich braucht: Shisha rauchen.
Er hat sein Leben Geflüchteten gewidmet. Mittlerweile ist er Sprecher der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl.
Bei seiner Ankunft in Deutschland vor neun Jahren hätte er nicht gedacht, dass er Jahre später an der Spitze von Massenprotesten für die deutsche Demokratie stehen würde. Er selbst hat eine Flucht hinter sich und wäre von den Deportationsplänen der AfD direkt betroffen.
Gemeinsam mit anderen Aktivist:innen und Organisationen hat er im Zuge der Correctiv-Recherchen mehrere Großdemos in Berlin organisiert. Er spricht regelmäßig in Talkshows und auf Parteitagen.
Es macht den Eindruck, als sei Alaows oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Er hat die Seebrücke mitgegründet, die sich gegen das Sterben Flüchtender im Mittelmeer stark macht. Als die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen wurde und die Taliban das Land wieder übernahm, hat er die Kabul Luftbrücke mit ins Leben gerufen – dafür gesorgt, dass Menschen evakuiert werden, denen sonst womöglich der Tod droht.
Kurz: Er hat den Job gemacht, den eigentlich die Bundesregierung hätte übernehmen müssen. Handelte es sich bei vielen der Gefährdeten doch um Menschen, die mit Deutschland zusammengearbeitet hatten. Ist das Recht auf Asyl doch ein Menschenrecht, sogenannte Pushbacks sind verboten.
Alaows selbst kennt das Gefühl, auf der Flucht zu sein. Die Gefahren, die Anspannung, die Angst. 2015 ist er aus seinem Heimatland Syrien geflohen, hat sich auf den Weg gemacht in ein sichereres Leben.
Wohin genau er wollte, wusste er nicht. Zunächst dachte der Menschenrechtsaktivist, er könnte in der Türkei bleiben. Aber auch dort wäre er nicht frei gewesen. Dann ist er weitergezogen. Bis er in Nordrhein-Westfalen landete. Dort, erinnert sich Alaows, habe er sich das erste Mal wieder gespürt. Er hatte Hunger, war müde, erschöpft – er wusste: "Ich nehme mich selbst wahr. Deswegen bleibe ich." Auf der Flucht hat er nur funktioniert.
Kaum angekommen, ging für ihn die politische Arbeit los. Zwar war er in Sicherheit, doch mit Umgang auf Augenhöhe hatte die Unterbringung in einer Bochumer Sporthalle nichts zu tun. Alaows wollte die Situation verbessern, deshalb hat er die Stadtverwaltung um ein Gespräch gebeten – erfolglos. Statt sich wegen der Ungerechtigkeit der Welt zu beschweren oder zu resignieren, hat Alaows ein Protestcamp vor dem Rathaus organisiert.
Viele Geflüchtete hätten ihn damals gefragt, ob sie überhaupt das Recht hätten, zu protestieren. Sie seien doch Gäste. Alaows stellt klar: "Wir haben das Recht hier zu sein, ein Recht auf Asyl. Und wenn du berechtigt bist, hier zu sein, dann hast du auch das Recht, für deine Rechte zu kämpfen."
Ein Credo, nach dem Alaows bis heute lebt. Einbahnstraße, nennt er seinen Lebensentwurf. Er hat sich entschieden, für ein Leben im politischen Aktivismus und nun gibt es keinen Weg zurück.
Diese Emanzipation, das ist Alaows anzumerken, hat etwas Ermächtigendes. Ihn freut, dass nun auch viele weitere Menschen, die in Deutschland Schutz gefunden haben, diese Ermächtigung spüren.
Im Zuge der Proteste würden sich nämlich vielerorts Gruppen gründen, die die Brandmauer sind. Gründer:innen und Mitglieder sind laut Alaows vielfach Menschen mit Migrationserfahrung, mit Fluchterfahrung. Alaows sagt:
Alaows spricht kräftig, fast fordernd, wenn es ums Politische geht. Um die Proteste, um Forderungen an Politiker:innen und Zivilgesellschaft. Er hat das gelernt. Die Aussagen, die er trifft, sind immer bedacht, um niemanden, der ihm nahesteht, in Probleme zu bringen. Nicht in Deutschland, nicht anderswo.
Geht es aber um ihn selbst als Person, um seine Gefühle, wird Alaows still. Er reibt die Hände aneinander, verschränkt sie. Atmet tief. Seine Augen wandern nach links oben. Er wägt ab, was er sagen kann, wie er es sagen kann. Und dann fängt er an zu sprechen, mit leiser, langsamer Stimme. Zurückgenommen. Es geht ihm nicht um sich selbst, es geht ihm um die Gesellschaft.
Dass sein Schutzraum Deutschland bröckelt, hat Alaows spätestens 2021 gemerkt. Damals hat er für ein Bundestagsmandat der Grünen kandidiert – und seine Kandidatur dann wieder zurückgezogen. Der Grund: Nicht nur er wurde auf offener Straße bedroht, auch für die Sicherheit jener, die mit ihm unterwegs waren, konnte er nicht länger garantieren. Es sei schon ein paar mal vorgekommen, meint Alaows, dass sich Menschen von ihm distanziert hätten. Sie hätten sich unsicher gefühlt.
Er kann das verstehen.
Er selbst aber bleibt positiv – und sieht trotz Bedrohung und andauerndem Shitstorm die Chancen.
In Deutschland kann er handeln. In Syrien konnte er nur "Menschenrechtsverletzungen in Kriegsgebieten dokumentieren und irgendwo hinschicken". Und das "nicht einmal" unter seinem Namen. Mit seiner Arbeit will er anderen Menschen zeigen: "Alle können mitwirken."
Seine positive Art ist ansteckend. Alaows ist nicht naiv, er sieht, wie sich Deutschland entwickelt. Er sieht, dass er und viele andere gefährdet sind, weil sie von einem Teil der Gesellschaft nicht akzeptiert werden. Zu undeutsch.
Alaows beklagt sich nicht. Umfragewerte von über 30 Prozent für die AfD in Thüringen bedeuten für den Menschenrechtsaktivisten, dass mehr als 60 Prozent etwas anderes wollen. Die Mehrheit, da ist er sich sicher, kann man erreichen.
Die Proteste geben ihm recht – zumindest aktuell. Denn auch wenn es in Deutschland lange Zeit keine Massendemos dieses Ausmaßes gab: In den vergangenen zehn Jahren hatte die Bevölkerung viele Möglichkeiten, laut gegen rechts einzutreten. Anti-Pegida-Demos etwa oder die großen Gegenmobilisierungen bei den Nazi-Aufmärschen in Chemnitz 2018. Auch Alaows meint, es hätte schon früher Punkte gegeben, an denen die Bürger:innen hätten einsteigen können. Aber die Hauptsache sei, dass sie es jetzt tun.
Ob die Demos anhalten und politisch etwas bewegen werden, kann Alaows nicht sagen. Was er aber weiß: Gesamtgesellschaftlich hat sich durch sie viel verändert. Es seien keine Einzelpersonen mehr, die gegen rechts mobilisierten, sondern die große Masse. Damit dieser Drive nicht verpufft, ist Alaows vor Ort. Auch dort, wo Antifaschist:in zu sein, bedeuten kann, dass du gefährdet bist. Er tauscht sich mit Aktivist:innen aus, die seit Jahren gegen rechts arbeiten. Verknüpft sie.
Gerade dieser Zusammenhalt sei es, der auch Geflüchteten und Menschen mit Migrationsgeschichte Mut mache, meint Alaows. Dass die Mehrheit in Deutschland das begriffen haben dürfte, macht ihm Mut.
Wie auch immer das Jahr weitergeht, welches gesellschaftliche Engagement noch kommen mag: Er ist bereit.