Um vom Krieg in der Ukraine und der Unzufriedenheit im Land abzulenken, hat Russland in den vergangenen Monaten eine Kampagne gegen Migrant:innen gefahren. Mit harter Rhetorik und neuen Gesetzen, die deren Rechte einschränken, wollte der Kreml sich bei der Bevölkerung beliebt machen.
Eines der Gesetze, das die Staatsduma verabschiedet hatte, beschränkte etwa die Arbeitsmöglichkeiten für Migrant:innen. Während des sich ziehenden Angriffskriegs gegen die Ukraine und einem landesweiten Arbeitskräftemangel kam das allerdings gar nicht gut in der Bevölkerung an.
Deshalb macht Russland jetzt wohl einen Rückzieher und will seine Haltung gegenüber Migrant:innen wieder lockern. Das hat das unabhängige russische Medium "Meduza" aus Kreml-Kreisen erfahren. Die Regierung plane jetzt eine Kampagne für eine "neue Wahrnehmung von Migranten".
Der ursprüngliche Plan, Stimmung gegen sie zu schüren, begann demnach kurz nach dem Terroranschlag auf das Moskauer Krokus-Rathaus im März 2024. Dieser wurde mutmaßlich von tadschikischen Staatsangehörigen verübt.
Die Strafverfolgungsbehörden verstärkten daraufhin ihre Razzien in migrantischen Communitys und Abgeordnete der Staatsduma sprachen von "Problemen", die von Gastarbeiter:innen verursacht würden. Regionale Gouverneure begannen zudem, Migrant:innen die Arbeit in Branchen wie der Gastronomie oder der Personenbeförderung zu verbieten.
Zur gleichen Zeit wollte das Innenministerium ein spezielles Register für Migrant:innen ohne Papiere einrichten. Den Menschen, die dort aufgeführt werden, hätte man dann weitreichend Rechte entziehen könnte.
Gegen dieses Vorgehen habe es laut "Meduza" Kritik aus dem russischen Arbeitsministerium gegeben. Gerade in Zeiten von Arbeitskräftemangel sei es unklug, Migrant:innen das Arbeiten zu verbieten. Die Zweifel hätten sich auch schnell bestätigt. In einigen Orten sei es fast unmöglich geworden, ein Taxi zu bekommen.
Eine kremlnahe Quelle bestätigte, dass die negativen Effekte der Kampagne vor allem in den ländlichen Gebieten zu spüren waren. Dort sei der Arbeitskräftemangel besonders stark. Denn viele Männer der Landbevölkerung kämpfen im Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Als Zivilist könne man auf dem Land nicht so viel verdienen wie als Soldat. Und die qualifizierten Arbeiter, die nicht kämpfen wollen, würden von der Militärindustrie in den großen Städten abgeworben. Gleichzeitig benötige man aber gerade jetzt die Arbeiter auf dem Land, um gegen die Ressourcenknappheit anzukommen.
"Im Donbass muss alles von Grund auf wieder aufgebaut werden – Gebäude, Infrastruktur, alles", sagte ein Insider zu "Meduza". "Es ist alles in Schutt und Asche gelegt worden. Das ist in der Größenordnung des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg."
Wegen all dieser Auswirkungen habe der Kreml jetzt begriffen, mit seiner Anti-Migrant:innen-Kampagne deutlich über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Die Regierung wolle die Rhetorik gegen sie wieder abmildern.
Das neue Ziel sei es, den Russ:innen zu versichern, dass der Kreml eine "strenge Kontrolle" der Einwanderung durchsetzen und gleichzeitig Migrant:innen erfolgreich in die Gesellschaft integrieren könne. Der Grundstein für dieses Projekt sei bereits gelegt worden.
Putins politischer Stratege, Oleg Matveychev, behauptete laut "Meduza" kürzlich, die Stimmung gegen Migrant:innen sei von ausländischen Kräften geschürt worden, um "das russische Volk von innen heraus zu spalten". Im Land seien die Sorgen über Migrant:innen mittlerweile größer als die Sorgen über die "militärische Spezialoperation", wie der Kreml den Angriffskrieg gegen die Ukraine häufig beschönigend nennt.
Deshalb versuche Russland jetzt demonstrativ anders über Migrant:innen zu sprechen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte etwa: "Russland braucht Migranten und begrüßt ihre Ankunft." Jeder in der russischen Regierung wisse, dass ohne Migrant:innen im Land nichts gehen würde, sagte ein Insider gegenüber "Meduza".