Nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad in Syrien sind zahlreiche Menschen zum berüchtigten Gefängnis Saidnaja geströmt. Dort suchen sie nach teils seit Jahren inhaftierten Angehörigen. Laut AFP-Journalist:innen versammelten sich bis Montagabend tausende Menschen vor der mehrstöckigen Haftanstalt nördlich der Hauptstadt Damaskus.
Das Saidnaja-Gefängnis steht für die Brutalität der jahrzehntelangen Herrschaft der Assad-Familie. Hafis al-Assad hatte die Macht im Land im Jahr 1970 übernommen. Sein Sohn Baschar al-Assad übernahm bei seinem Amtsantritt im Jahr 2000 von seinem verstorbenen Vater einen Apparat von Gefängnissen und Haftanstalten.
Mit der Niederschlagung pro-demokratischer Proteste im Jahr 2011 durch Baschar al-Assad begann dann ein Bürgerkrieg, dem eine halbe Million Menschen zum Opfer fielen und der Millionen Syrer in die Flucht trieb. Viele Andersdenkende wurden damals vom Assad-Regime in die Gefängnisse gesteckt.
Die islamistische Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) bereitete dann der Assad-Herrschaft am Wochenende das Ende. Die Kämpfer hatten am 27. November im Nordwesten Syriens eine überraschende Offensive gestartet und waren innerhalb weniger Tage bis in die Hauptstadt vorgerückt. Die Islamisten hatten angekündigt, "alle zu Unrecht Inhaftierte" würden freigelassen.
Vor Ort sagte die 65-jährige Aida Taha, sie sei auf der Suche nach ihrem 2012 verhafteten Bruder "wie eine Verrückte" zum Saidnaja-Gefängnis gelaufen – in der Hoffnung, ihn dort zu finden. "Das Gefängnis hat drei oder vier unterirdische Stockwerke", sagte sie.
Bisher ließen sich die Türen nicht öffnen, weil die passenden Zugangscodes fehlten. Die Hilfsorganisation Weißhelme hatte erklärt, dass sie in dem Gefängnis nach möglichen geheimen Türen oder Kellern suchen würden.
Unterdessen haben die islamistischen Rebellen in der Leichenhalle einer nahe der Hauptstadt Damaskus gelegenen Klinik die sterblichen Überreste von etwa 40 Menschen entdeckt. Nach Angaben der Vereinigung der Inhaftierten und Vermissten des Saidnaja-Gefängnisses (ADMSP) handelt es sich bei den Leichen vermutlich um Insassen des berüchtigten Gefängnisses.
Ein Kämpfer berichtete der Nachrichtenagentur AFP, beim Öffnen der Leichenhalle habe sich ihm "ein grauenhafter Anblick" geboten. "Etwa 40 Leichen waren aufgestapelt und wiesen Anzeichen grausamer Folter auf", sagte der Kämpfer.
Der AFP liegen dutzende Fotos und Videoaufnahmen von Leichen vor, die Folterspuren aufweisen: ausgestochene Augen und fehlende Zähne, Blutspritzer und Blutergüsse.
Die Leichen wurden in weiße Tücher eingewickelt oder in weiße Plastiksäcke gesteckt, die mit Namen oder Zahlen markiert waren. Einige der Toten waren bekleidet, während andere nackt waren. Einige von ihnen waren offenbar erst kürzlich getötet worden.
Der Anführer der siegreichen Islamisten, Mohammed al-Dscholani, kündigte an, eine Liste der an Folter beteiligten Ex-Beamten zu veröffentlichen.
Islamistische Kämpfer unter der Führung der Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) hatten am Sonntag Damaskus eingenommen. Assad flüchtete nach Angaben russischer Staatsmedien nach Russland.
Am Montag traf Anführer al-Dscholani den unter Assad ernannten Regierungschef al-Dschalali. Es sei darum gegangen, "eine Machtübergabe zu koordinieren, die "die Erbringung von Dienstleistungen" an die Bevölkerung gewährleiste, erklärten die Regierungsgegner bei Telegram.
(mit Material der afp)