Im Februar 2022 hat sich das Leben vieler Menschen in der Ukraine radikal verändert. Schnell war der russische Angriffskrieg nicht nur an den Frontlinien spürbar – er prägt seitdem den Alltag in beinahe jedem Dorf und jeder Stadt.
Millionen Menschen haben ihre Heimat verlassen, andere sind geblieben und kämpfen mit einem offenbar ungebrochenen Willen für die Zukunft ihres Landes. Viele Ukrainer:innen übernehmen dafür Aufgaben, für die sie eigentlich nie ausgebildet wurden – und so wächst auch der Anteil an Frauen innerhalb der ukrainischen Armee.
Nach offiziellen Angaben des Verteidigungsministeriums sind in der Ukraine aktuell mehr als 67.000 weibliche Personen Teil der Streitkräfte, darunter etwa 19.000 in zivilen Funktionen und 5000 direkt an der Front. Wie "Ukrinform" berichtet, steigt diese Zahl bereits seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland im Jahr 2014 kontinuierlich. Entsprechende Beschränkungen für Frauen waren 2023 vollständig aufgehoben worden.
Trotzdem fehlt es noch immer an Grundausrüstung für weibliche Personen innerhalb des ukrainischen Militärs. Für den bevorstehenden Winter gibt es bisher etwa keine Kleidung, die auf weibliche Körper angepasst ist. "Man sagt, sie sei 'in Entwicklung'", sagt Ksenia Draganyuk, Mitbegründerin der Initiative Zemlyachky dem "Tagesspiegel".
Mit Dutzenden Freiwilligen hat Draganyuk sich früh für die Ausrüstung der Frauen an der Front eingesetzt – bevor diese offiziell vom Verteidigungsministerium genehmigt worden war.
"Sie wurden mit dem versorgt, was vorhanden war: Männeruniformen, die ihnen nicht passten. Schuhe, die vier Nummern zu groß waren. Und Schutzwesten, die nicht an die weibliche Anatomie angepasst waren", berichtet die Ukrainerin. Im Winter müssen die Soldatinnen meist eigene Thermounterwäsche und Jacken nutzen.
Problematisch ist das auch, weil entsprechende Ausrüstung an der Front schnell verschleißt. Ein schnelles Kriegsende ist aktuell nicht in Sicht.
Alternativ tragen die Soldatinnen die meist viel zu großen Männeruniformen. Dass sich das auf die Beweglichkeit im Kampf auswirkt, liegt auf der Hand.
Ohnehin ist der Einsatz an der Front für viele Frauen eine enorme gesundheitliche Belastung. Wie das ukrainische Gesundheitsministerium berichtet, leiden Soldatinnen im gebärfähigen Alter deutlich häufiger unter Menstruationsstörungen und hormonellen Ungleichgewichten als zivile Frauen.
Viele stellen einen Kriegsdienst wohl auch aus diesem Grund in Verbindung mit ihrer Fortpflanzungsfähigkeit. Zwar gibt es seit 2024 ein ukrainisches Gesetz, dass die Aufbewahrung von Reproduktionszellen von Soldatinnen regelt. Noch fehlt an vielen Stellen aber die Infrastruktur für die entsprechende Umsetzung.
Tatsächlich sind das Thema Familienplanung und Front aber für viele zu weit voneinander entfernt. "Hier im Krieg entfernt man sich irgendwie von sich selbst. Wir denken nicht über Beziehungen oder Romantik nach", gesteht eine Soldatin aus der Ukraine dem "Tagesspiegel".
Aufgrund der psychischen Belastung im Krieg nimmt sie seit einem Jahr Antidepressiva und spricht regelmäßig mit einem Online-Therapeuten. Psychologische Betreuung vor Ort gibt es in der ukrainischen Armee nämlich noch immer nicht – vor allem nicht für Frauen.
Ksenia Draganyuk fordert in diesem Zusammenhang mehr Anerkennung für die weiblichen Mitglieder der ukrainischen Armee. "Es geht darum, dass wir nicht ignoriert werden", sagt sie und verweist auf die hohe Zahl an Soldatinnen. "Wenn eine Frau eine Waffe hält, muss sie sicher sein, dass ihre Uniform sie nicht beim Laufen behindert und dass ihr Verbandskasten Leben rettet. Alles andere sind Details, die längst zum Standard hätten werden müssen."