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Ukraine: Selenskyj gerät durch Demos unter Druck

23.07.2025, Ukraine, Kiew: Teilnehmer halten Transparente während einer Demonstration gegen ein Gesetz, das auf die Korruptionsbekämpfung abzielt. Ein neues Gesetz, das die Unabhängigkeit von Antikorr ...
In der Ukraine demonstrieren Menschen gegen ein neues Gesetz.Bild: AP / Efrem Lukatsky / dpa
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Selenskyj unter Druck: Warum Ukrainer gegen ein Gesetz demonstrieren

In der Ukraine ist es erneut zu Demonstrationen gegen ein neues Gesetz gekommen. Präsident Selenskyj betreibt Schadensbegrenzung. Was ist los, in dem vom Krieg gezeichneten Land?
24.07.2025, 10:3624.07.2025, 10:36
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Zum ersten Mal seit Beginn des russischen Angriffskriegs richtet sich der internationale Blick wieder auf die Innenpolitik in der Ukraine. Zum ersten Mal gibt es seitdem nämlich großangelegte Demonstrationen im Land.

Es geht um ein neues Gesetz zu den Antikorruptionsbehörden: Am Mittwochabend sind erneut tausende Menschen dagegen auf die Straße gegangen. Präsident Wolodymyr Selenskyj gerät massiv unter Druck. Was ist da los?

Demos in der Ukraine: Was ist passiert?

Der Skandal hatte Anfang der Woche begonnen, als Polizei und Geheimdienst Dutzende Razzien bei Mitarbeitern des Nationalen Antikorruptionsbüros (Nabu) und der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (Sap) vornahmen. Einer der Vorwürfe lautete demnach Kollaboration mit dem Kriegsfeind Russland.

Als Hintergrund wird allerdings ein Machtkampf der Sicherheitsorgane vermutet. Medien berichteten, dass die Antikorruptionsbehörden gegen den angeblich Selenskyj nahestehenden Ex-Vizeregierungschef Olexij Tschernyschow ermittelt haben sollen. Der an den Razzien beteiligte Geheimdienst SBU untersteht direkt Selenskyj.

Nur einen Tag später verabschiedete das Parlament in Kiew in einem Eilverfahren ein Gesetz, mit dem den Behörden die Unabhängigkeit genommen wird.

Was heißt das Gesetz für Antikorruptionsbehörden?

Durch das verabschiedete Gesetz werden Nabu und Sap dem Generalstaatsanwalt unterstellt. Der Generalstaatsanwalt wiederum wird vom ukrainischen Präsidenten Selenskyj ernannt. Trotz öffentlicher Proteste in Kiew unterzeichnete Selenskyj das Gesetz noch am Abend.

Das Gesetz sieht vor, dass der Generalstaatsanwalt Zugriff auf alle Fallunterlagen der Nabu hat. Er kann Mitarbeitende auf allen Ebenen bis hin zum Chef Anweisungen erteilen. Außerdem kann er Fälle an andere Stellen übergeben, wenn er die Ermittlungen der Antikorruptionsbehörde für ineffektiv hält.

Er kann auch Verfahren gegen hochrangige Beamte, darunter auch gegen den Präsidenten und Regierungsmitglieder, einstellen lassen.

Im Ergebnis heißt das: Früher war die Sap für die Klärung von Streitfällen zuständig, die sich aus Ermittlungen der Nabu ergaben. Nun hat auch hier der Generalstaatsanwalt das letzte Wort.

Warum wird gegen das Gesetz demonsriert?

An dem Vorgehen gibt es massive Kritik, da die Unabhängigkeit von Nabu und Sap auch als Voraussetzung für einen EU-Beitritt gilt. In mehreren Städten der Ukraine wurde dagegen noch am Dienstagabend demonstriert. In Kiew haben am Mittwochabend erneut Tausende protestiert. Darunter sind viele junge Leute, die ein Veto gegen das Gesetz forderten, wie AFP-Reporter aus Kiew berichteten.

23.07.2025, Ukraine, Lemberg: Teilnehmer halten Transparente während einer Demonstration gegen ein Gesetz, das die Unabhängigkeit von Antikorruptionsorganen beschränkt. Das neue Gesetz hat in der Ukra ...
Das Gesetz zieht Demonstrierende auf die Straßen.Bild: AP / Mykola Tys

In Sprechchören sollen Leute etwa "Schande, Schande" gerufen haben. Demonstrierende warfen der politischen Führung einen Rückfall zum Herrschaftsstil des Moskau-freundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch vor, der 2014 gestürzt wurde.

Die Behörden wurden mit westlicher Unterstützung gegründet, um den Kampf gegen die Korruption in der Ukraine voranzutreiben. Trotzdem gilt das Land weiterhin als eines der korruptesten in Europa.

Wie reagiert Selenskyj auf die Kritik?

Um die zunehmende Kritik wieder einzufangen, lud Selenskyj am Morgen Vertretende aller betroffenen Behörden zum Gespräch. Bei dem "offenen und hilfreichen" Treffen sei die Ausarbeitung eines Aktionsplans beschlossen worden, um die bestehenden Probleme zu lösen, schrieb er auf Telegram.

Dazu stellte er ein Foto, das ihn unter anderem mit Nabu-Chef Semen Krywonos und dem Sap-Leiter Olexander Klymenko zeigt und Einheit demonstrieren soll.

Ganz gelungen ist dies nicht.

Das Antikorruptionsbüro veröffentlichte nach dem Treffen auf seinem Telegramkanal einen Aufruf, das Gesetz zurückzunehmen. Die Behörde arbeite rein im Interesse des ukrainischen Volkes, wird in der Erklärung betont.

Generalstaatsanwalt Ruslan Krawtschenko räumte später im Gespräch mit Journalisten ein, dass Krywonos und Klymenko bei dem Treffen Kritik am Gesetz geäußert und Garantien für unabhängiges Arbeiten gefordert hätten. Medien in Kiew wie die "Ukrajinska Prawda" berichten ausführlich über die Affäre, die Selenskyj nicht im besten Licht erscheinen lässt.

Wie reagieren EU und Außenminister Wadephul auf das neue Gesetz?

EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos warnte Kiew, das neue Gesetz sei ein "ernsthafter Rückschritt" auf dem Weg zu einem EU-Beitritt. Rechtsstaatlichkeit und unabhängige Behörden im Kampf gegen die Korruption blieben "im Mittelpunkt der EU-Beitrittsverhandlungen", schrieb sie beim Onlinedienst X.

Schon vor der Abstimmung hatte Kommissionssprecher Guillaume Mercier an die "erhebliche finanzielle Unterstützung" der EU an die Ukraine erinnert, die aber davon abhänge, wie das Land bei der Justizreform und in den Bereichen Transparenz und demokratische Regierungsführung vorankomme.

Den Warnungen aus Brüssel hat sich auch Berlin angeschlossen. "Die Einschränkung der Unabhängigkeit der ukrainischen Antikorruptionsbehörde belastet den Weg der Ukraine in die EU", schrieb Bundesaußenminister Wadephul. Er erwarte von der Ukraine die konsequente Fortsetzung der Korruptionsbekämpfung. Dies sei einer der Gründe dafür gewesen, warum er sich in Kiew mit den Leitern von Nabu und Sap getroffen habe.

(Mit Material von dpa und afp)

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