Seit über zwei Jahren herrscht in der Ukraine Krieg. Trotz heftiger Kämpfe und Verluste ist ein Ende der russischen Invasion in dem Land nicht in Sicht. Der russische Machthaber Wladimir Putin hat Mitte des Monats Forderungen als Voraussetzung für Verhandlungen gemacht. Diese sind für die Ukraine allerdings wie ein Schlag ins Gesicht.
Die Ukraine solle "die neuen territorialen Gegebenheiten anerkennen". Russland verlangt etwa den vollständigen Rückzug der Ukraine aus den Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja. Putin drängt das Nachbarland somit nicht nur, die aktuellen Frontlinien als Waffenstillstandslinie zu akzeptieren.
Sein Vorschlag sieht auch vor, dass die Ukraine Gebiete räumt, die Russland bisher nicht erobern konnte. Dies betrifft etwa 40 Prozent der Region Donezk, einschließlich der stark befestigten Städte Slawjansk und Kramatorsk. Zudem sollte die Ukraine die Stadt Saporischschja, das Zentrum der gleichnamigen Region, aufgeben. Und das, obwohl die russischen Streitkräfte bislang nur in die Nähe der Stadt vorgedrungen sind.
In den bereits besetzten Gebieten wird unterdessen alles daran gesetzt, diese "russisch" zu machen. Dazu gehört auch das Ausmerzen der ukrainischen Sprache, wie ein aktueller Bericht von Human Rights Watch aufzeigt. Die Maßnahmen der russischen Besatzungsbehörden seien klar darauf ausgerichtet, die ukrainische Identität und Sprache systematisch zu unterdrücken und zu vernichten.
Putins Behörden verbreiten in den besetzten ukrainischen Gebieten demnach Kreml-Propaganda, vernichten die bisherige Sprache und verfolgen unkooperative Lehrer:innen vor Ort. Dies geht aus dem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) "Bildung unter Besatzung" hervor. Dafür wurde die erzwungene Russifizierung des Schulsystems in den annektierten Regionen der Ukraine untersucht.
Laut der Studie, die auf Interviews mit 42 Lehrer:innen und Schulpersonal aus der Region Charkiw basiert, erlebten diese die russische Besatzung im Jahr 2022 aus erster Hand. Menschenrechtsaktivist:innen führten zudem Gespräche mit Lehrkräften, die aus den besetzten Gebieten Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk geflüchtet sind.
Die ukrainischen Behörden berichten, dass etwa eine Million Schulkinder in den von Russland besetzten Gebieten leben. Davon nehmen mehr als 62.000 Kinder am Fernunterricht nach dem ukrainischen Lehrplan teil. Die restlichen Kinder sind gezwungen, dem russischen Lehrplan zu folgen, der den Unterricht in Ukrainisch stark einschränkt und Geschichtsbücher verwendet, die die russische Invasion rechtfertigen und die Ukraine als "Neonazi-Staat" darstellen. Zudem werden Kinder verpflichtet, eine militärische Grundausbildung zu absolvieren.
Lehrer:innen, die sich weigern, mit den Besatzungsbehörden zu kooperieren, drohen offenbar schlimme Konsequenzen. Sie werden laut dem HRW-Bericht bedroht, eingesperrt und gefoltert. Ein Beispiel ist der Fall eines Schulleiters aus dem Dorf Borovskoje in der Region Charkiw, wie die russische unabhängige Zeitung "Meduza" schreibt. Dieser wurde gefoltert und eine Woche lang inhaftiert, weil er sich weigerte, die Personalakten und andere Schuldokumente der Schüler:innen herauszugeben.
Die russischen Behörden bestrafen außerdem diejenigen, die weiterhin nach dem ukrainischen Lehrplan studieren oder unterrichten. Eltern, die ihre Kinder nicht auf prorussische Schulen schicken wollen, werden dem Bericht HRW-Bericht zufolge mit Geldstrafen und dem Entzug von Rechten oder Freiheiten bedroht.
Das Vorgehen der russischen Behörden verstößt gegen das internationale Konfliktrecht, welches es einer Besatzungsmacht verbietet, Gesetze im besetzten Gebiet zu ändern. Das gilt auch im Bildungssektor. Human Rights Watch kommt in dem Bericht zu dem Schluss:
Die Autor:innen des Berichts appellieren aber auch an die ukrainischen Behörden. Sie sollten Lehrer:innen in den besetzten Gebieten, die gezwungen sind, nach dem russischen Lehrplan zu unterrichten, keine "Kooperationsaktivitäten" vorwerfen und sie nicht sanktionieren. Human Rights Watch erklärt, dass einige Lehrerinnen gezwungen seien, unter der Besatzung zu arbeiten, um zu überleben.