Triggerwarnung: Im folgenden Text geht es um explizite Beschreibungen von physischer Gewalt. Diese Inhalte können belastend oder retraumatisierend wirken.
"Ich habe keine Angst vor Herausforderungen. Ich werde einen Ausweg finden", schrieb Victoria Roshchyna noch im Jahr 2023. Die damals 27-jährige Ukrainerin arbeitete als freie Journalistin, seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Jahr 2022 lag ihr Fokus auf Kriegsberichterstattung aus den besetzten Gebieten.
Am 2. Oktober 2024 erhielt Roshchynas Vater die Nachricht aus Russland, dass seine Tochter wenige Tage zuvor verstorben sei. Die Umstände sind bis heute allerdings ungeklärt. Eine ausführliche Dokumentation des Reporterkollektivs "Slidstvo.Info" offenbart nun Details zu der Gefangenschaft, in der sich die Journalistin mutmaßlich zuvor befunden hatte.
Einem Bericht von "Meduza" zufolge nahmen russische Streitkräfte Roshchyna im August 2023 in der ukrainischen Stadt Enerhodar fest, die bereits in der Anfangsphase des Krieges besetzt wurde. Zunächst wurde sie laut "Slidstvo.Info" in einer dortigen Polizeistation festgehalten, bevor man sie in eine Haftanstalt im weiter südlich gelegenen Melitopol brachte.
Offiziell haben die russischen Behörden nie eine Anklage gegen Victoria Roshchyna erhoben. Eine ehemalige Zellnachbarin der Journalistin erzählt gegenüber dem Reporterteam allerdings von den schweren Foltererlebnissen, denen die junge Frau während der russischen Gefangenschaft ausgesetzt war.
In einem Keller fanden demnach die Verhöre statt, dort soll man Roshchyna auch mit Elektroschocks gefoltert haben. "Sie sagte nicht, wie oft genau, aber sie erzählte mir, dass sie mit blauen Flecken geradezu übersät war", erinnert sich die Ukrainerin.
Für die junge Journalistin schien die Erfahrung von Beginn an völlig unwirklich zu verlaufen, immer wieder soll sie um Gespräche mit der Gefängnisleitung gebeten haben. "Sie wollte sie unbedingt erreichen, um herauszufinden, warum sie dorthin gebracht worden war", berichtet die anonyme Ukrainerin.
Klar scheint jedenfalls, dass die Behörden die Haft von Roshchyna geheim halten wollten. Während einer Untersuchung des Gefängnisses durch die russische Menschenrechtskommissarin Tatjana Moskalkowa versteckte man die junge Frau laut dem Bericht in einem verschlossenen Raum. Nach der offiziellen Meldung über ihren Tod berichtete der Gefängnisleiter Roshchynas Vater, dass seine Tochter dort nie in Haft gewesen sei.
Die Zellnachbarin von Roshchyna hingegen schildert bei "Slidstvo.Info" detaillierte Informationen über die Folter der jungen Journalistin. Demnach klagte sie zunächst über starke Bauchschmerzen und Panikattacken, später litt sie dauerhaft unter Fieber und bekam ihre Periode nicht mehr.
Ein Team der Organisation "Reporter ohne Grenzen" berichtet, dass Roshchyna während ihrer Haft dennoch jeglicher Zugang zu Medikamenten verweigert wurde. Der Informantin aus dem Gefängnis zufolge wog die junge Frau zwischenzeitlich nur noch 30 Kilogramm.
"Ich half ihr beim Aufstehen, weil sie so schwach war, dass sie nicht einmal den Kopf aus dem Kissen heben konnte", erklärt die Ukrainerin. Im Juni 2024 brachte man Roshchyna demnach auf die Krankenstation, danach sollte sie auch wieder in der Lage gewesen sein, selbstständig zu laufen.
Anschließend besprachen die russsichen Behörden offenbar sogar einen Gefangenenaustausch, an dem auch Roshchyna beteiligt sein sollte. Einem Redakteur der "Ukrainska Pravda" zufolge sollte sie am 13. oder 14. September 2024 freigelassen werden. Andere Gefangene aus dem Gefängnis in Melitopol berichten, dass sie die Journalistin am 8. September zum letzten Mal auf dem Gelände sahen.
Was zwischen diesem Tag geschah und jenem, an dem Roshchynas Vater den Brief über den Tod seiner Tochter erhielt, ist völlig unklar. Bei den offiziellen Ermittlungen von ukrainischer Seite wird aktuell auch noch die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass Viktoria Roshchyna am Leben sein könnte.