Seit US-Präsident Joe Biden das Handtuch geworfen hat und seiner Vizepräsidentin Kamala Harris den Vortritt lässt, schweben die Demokraten auf Wolke sieben. Sie stellen sich geeint hinter ihre neue Präsidentschaftskandidatin und zelebrieren sie festlich auf dem Parteitag der Demokraten in Chicago.
Politische Schwergewichte – wie Michelle und Barack Obama, Bill Clinton – stellen sich hinter Harris. Auch Talkshow-Legende Oprah Winfrey spricht sich offen für die 59-Jährige aus. Für gute Stimmung sorgen etwa Stevie Wonder und John Legend.
Die Demokraten und ihre Anhängerschaft haben durchaus was zu feiern. In den aktuellen Umfragen überholt Harris derzeit ihren Kontrahenten Donald Trump. Es herrscht Euphorie und ein Hauch eines Neubeginns. Mit Harris könnte die erste Frau der US-Geschichte ins Weiße Haus als Präsidentin einziehen.
Aber es geht um viel mehr.
Laut Expert:innen ist die Wahl im November eine der wichtigsten des Landes. Denn Trump und seine Republikanische Partei seien eine Bedrohung für die US-Demokratie. Das zeigt etwa "Project 2025" von der rechtsgerichteten, konservativen "Heritage Foundation". Es gilt als Entwurf für einen rigorosen Staatsumbau zur Autokratie unter Trump als US-Präsident.
Vor Bidens Rückzug waren die Zweifel groß, ob die Demokraten Trump aufhalten können. Mit Harris wendet sich das Blatt.
Derzeit ist sie das dominierende Thema in den Medien. Sie verdrängt Trump von den Titelseiten, sodass die Frage aufkommt: Was treibt er eigentlich gerade? Alles scheint für die Demokraten nach Plan zu verlaufen.
Den Sieg schon sicher in der Tasche?
Keinesfalls.
Laut dem "Wall Street Journal" köcheln im Hintergrund reichlich Probleme, die dem Begeisterungstaumel um Harris ein Ende setzen könnten.
Seit der Ernennung zur Kandidatin habe Harris kein einziges nennenswertes Interview gegeben, geschweige denn eines mit schwierigen Fragen, lautet die Kritik vom "Wall Street Journal". Diesen Punkt werfen ihr auch die politischen Feinde aus dem Trump-Lager immer wieder vor.
Ihre Reden seien gescriptet und sogar noch Teleprompter-sicherer als die Ausführungen des scheidenden Präsidenten Biden, kritisiert das "Wall Street Journal".
Dazu käme, dass die Demokratin die am wenigsten bekannte Präsidentschaftskandidatin der modernen Zeit sei. Laut der US-Zeitung wisse man nicht genau, wofür sie wirklich steht. "Sie hat es weitgehend vermieden, konkrete Vorschläge zu machen, die mit einem Preisschild versehen sind und sie Kritik aussetzen würden", heißt es.
Aber das sei wohl zweifellos Absicht, denn sie führe einen Wahlkampf, bei dem es um Stimmungen geht. Und Stimmung kann Harris offensichtlich machen.
Doch wie lange kann sie das Hochgefühl halten, ohne ihre Grundprinzipien zu erklären oder auf wen sie sich in außenpolitischen Fragen verlässt?
Gerade der Gaza-Krieg löst eine hitzige Debatte in den USA aus und spaltet das Land. Bereits Biden verlor als Präsidentschaftskandidat aufgrund seiner weitreichenden Unterstützung für Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu den Zuspruch unter jungen sowie muslimischen US-Wählenden.
Auch in der Demokratischen Partei ist der "Nahost-Krieg" ein kontroverses Thema.
"Aber vielleicht verfügt Harris über Führungsqualitäten, die wir noch nicht kennengelernt haben. (...) Aber bis jetzt ist sie ein Symbol für den Triumph der Hoffnung über die Erfahrung, das die Amerikaner vor allem deshalb befürworten sollen, weil sie nicht Donald Trump ist", schreibt die US-Zeitung.
Doch ist das für einen Wahlsieg im November ausreichend? Auch in Europa begegnet man dem Harris-Rausch misstrauisch.
"Kamala Harris steht nun vor der Herausforderung, die Welle der Begeisterung, die sie ausgelöst hat, in ein solides politisches Projekt zu verwandeln", fordert die spanische Zeitung "El Mundo".
Ihre Nominierung zur Anwärterin auf das Weiße Haus anstelle von Biden habe der Demokratischen Partei, die sich noch vor einem Monat fast schon mit einer Niederlage abgefunden hatte, neues Leben eingehaucht. Aber: Das konkrete Programm von Harris enthalte noch viele Unbekannte.
Die spanische Zeitung warnt:
Dies könnte dazu führen, dass ein Kandidat wie Trump, der keine Grenzen kennt, unterschätzt werde. Laut "El Mundo" würde das ein zu hohes Risiko darstellen, das die Demokraten sich nicht leisten können.
(Mit Material der dpa)