Ein Abend mit dem Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) verbringen, ihn einmal live erleben. Das ist der Beweggrund vieler Gäste, die sich am Mittwochabend in der Kuppel der Leipziger Volkszeitung versammeln. Der Andrang sei groß gewesen, verkündet LVZ-Chefredakteurin Hannah Suppa. Insgesamt 800 Leute wollten beim Talk "RND vor Ort" dabei sein, 120 wurden am Ende ausgelost. Auch watson war live vor Ort.
Gemeinsam mit Kristina Dunz, der stellvertretenden Leiterin des RND-Hauptstadtbüros, nimmt die Journalistin den Grünen-Politiker in die Mangel. Dabei kommen auch ausgewählte Bürger:innen zu Wort, sie können ihre Sorgen sowie ihren Ärger mitteilen. In etwa 75 Minuten wird ein gesamtes Spektrum von Energiewende, Ampel-Zoff, Heizungsgesetz, Ukraine-Krieg bis Trump und zurück zu den Bauernprotesten abgespeist.
Habeck holt gern aus, will die komplexen Probleme und Zusammenhänge entwirren, doch das straffe Programm lässt das oftmals nicht zu. Er wirkt durchaus angeschlagen, müde, schlapp. Sein voller Terminkalender steht ihm ins Gesicht geschrieben. Auch hat er wohl nicht viel Lust, über den endlosen Ampel-Streit oder den angeblichen Fehden zwischen ihm und Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu sprechen. Jedenfalls weicht er als Medienprofi Fragen dazu geschickt aus.
Oft greift er zum Glas Wasser, sammelt seine Gedanken, so einige Fragen hat er wohl schon zig tausendmal beantwortet. "Ich habe auch keine Freude immer wieder über das Heizungsgesetz zu sprechen", sagt er mit einem Lächeln. Ein Heizungsbauer beklagt sich über die fehlende Klarheit in der Energiepolitik und verlangt, dass man mehr Fachleute bei Entscheidungen einbeziehen müsse.
Habeck legt die Hand auf seine Brust und meint, er sei gern selbstkritisch und gebe Fehler zu. "Das Heizungsgesetz ist...", holt er aus. "... in die Grütze gegangen", beendet Moderatorin Dunz den Satz für ihn. Er lacht und fügt an: "Schwierig gewesen." Aber man habe 2021 unter viel Druck durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine gestanden. Das vergessen laut ihm viele Menschen.
Draußen vor dem LVZ-Gebäude ruft jemand etwas durch ein Megaphon, ab und an schreien mehrere Stimmen im Gleichtakt irgendwelche Parolen. Polizeisirenen jaulen auf. Wo Habeck ist, sind wohl Protestierende nicht weit. Auch an diesem Abend versammelt sich eine kleine Gruppe und lässt ihrem Frust an Habeck und die Ampel freien Lauf. Vor allem die Grünen sind regelrecht zu einem Hass-Objekt in Sachsen geworden.
Passend dazu meldet sich eine Kommunalpolitikerin der Grünen aus dem Publikum. Sie und ihre Parteikolleg:innen fühlen sich nicht mehr sicher in der Öffentlichkeit im Landkreis Nordsachsen. Habeck, der selbst ohne Personenschutz nirgendwo mehr hingehen kann, rät ihr, Alliierte zu suchen. "Die Grünen bekommen viel auf die Mütze", aber ein gemeinschaftliches Auftreten könne Gefahren abwenden. Laut ihm sei der demokratische Dialog gefährdet, eine Entwicklung, die ihm Sorgen bereitet.
Sorgen machen sich auch die Landwirt:innen in Deutschland.
Eine Kartoffelproduzentin aus dem sächsischen Delitzsch blickt mit Ängsten in die Zukunft, wie sie ihren Betrieb finanziell weitertragen soll. Beim Thema Agradiesel sieht Habeck ein, dass es "überraschend" kam, aber dafür werde das Privileg nun schrittweise abgebaut. Er blüht jetzt förmlich auf. Landwirtschaft sei sein Thema, schließlich war er lange Minister für Landwirtschaft in Schleswig-Holstein. Allerdings kenne er sich mehr mit Milch, als mit Kartoffeln aus. "Von Kartoffeln habe ich keine Ahnung", gibt er lächelnd zu.
Wenn es um die Perspektive der Landwirtschaft geht, liegt das Problem für Habeck etwa an dem unfairen Markt. Er kritisiert vor allem das System der Lebensmittelverwertung. "Ramschpreise für Lebensmittel sind unethisch", führt er aus. Beim Agrar-Thema gibt es für ihn wohl kein Halten mehr. "Wenn Sie mich nicht bremsen, rede ich weiter", sagt er lachend zu den Moderatorinnen. Bei außenpolitischen Problemen hält er sich allerdings kurz.
Die Lage in der Ukraine ist laut Habeck bedrohlich, das Land ist auf Unterstützung angewiesen. Aber genau die, könnte mit einer Wiederwahl Donald Trumps ins Schwanken geraden. Das zeigen auch die jüngsten Äußerungen des Republikaners zur Unterstützung der Nato im Falle eines Angriffes. Diese Aussage von Trump empfinde Habeck als "verantwortungslos". Man solle hier etwa an die trauernden Mütter in der Ukraine denken, worauf das Publikum mit Applaus reagiert.
Bei all den erdrückenden Themen sollen zum Abschluss noch witzige Fotos von Habeck die Stimmung aufhellen – aber sie geben auch so einiges über den Grünen-Vize-Kanzler preis. Etwa, warum er sich im Plenum des Bundestags stets die Hand vor dem Mund hält, wenn er sich mit Kabinettsmitgliedern austauscht.
"Es ist tatsächlich so, dass ich dann im Bundestag hin und wieder so spreche, um zu verhindern, dass Lippen gelesen werden", erklärt Habeck das Foto, das ihn und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei einem Gespräch zeigt. Es sei so, dass in einer Zeit mit vielen Konflikten darauf geachtet werden müsse, dass nicht alle verstehen könnten, was der Wirtschaftsminister und die Außenministerin vertraulich miteinander besprächen, führt der Grünen-Politiker aus.
Als Nächstes folgt ein Foto, das ihn und AfD-Chefin Alice Weidel im Bundestag zeigt. Sie läuft an Habeck vorbei und er zeigt hinter ihrem Rücken mit den Fingern das Peace-Zeichen. Die Moderatorinnen wollen wissen: Was war da los? "Ich weiß es nicht mehr", sagt er mit einem großen Schmunzeln im Gesicht. Aber er sei froh, dass er dieses Zeichen mit den Fingern gemacht hat. Ein Spruch, der für Lacher und Applaus im Raum sorgt.
Am Ende bleibt aber vor allem jene Antwort von Habeck hängen: "Wir müssen ehrlich miteinander umgehen." Er betont, in welch unübersichtlichen Zeiten wir derzeit leben – um es nett zu formulieren, fügt er an. "Wir kommen da nur durch, wenn wir uns ernst nehmen, es einfach auszusitzen ist nicht der richtige Weg." Er plädiert für eine gesunde und vernünftige Streitkultur.
Doch am Ende geht er den schwierigen Fragen irgendwie doch oft aus dem Weg. Selbst wenn die Gastgeberinnen immer wieder nachhaken. Er kann nicht die erhofften Antworten bieten, die sich wohl viele in diesen schwierigen Zeiten wünschen. Einen klaren, stabilen Kurs, der uns durch die Krise führt. Über der Ampel hängt eine Wolke aus "Unübersichtlichkeit" in einer "unübersichtlichen Welt", wie Habeck es bezeichnet.