Die Grünen polarisieren. Rund 14 Prozent der Wahlberechtigten finden die Partei so super, dass sie ihr laut Umfragen ihre Stimmen geben würden. Und es gibt einen Teil in der Bevölkerung, der findet die Grünen fürchterlich.
Die Satireseite "Der Postillion" hat als Reaktion darauf sogar einen "Grünen-Bashing-Überleitungsgenerator" programmiert. Per künstlicher Intelligenz wird damit jedes Problem in einen Rant gegen die Grünen übersetzt. Eine ironische Reaktion auf das, was ohnehin geschieht: In Teilen der Bevölkerung gelten die Grünen als Verbots-Partei. Als Moralapostel. Und dagegen regt sich Widerstand.
Diese Wut, dieser Hass, der projiziert sich nicht nur auf die Partei, sondern auch auf einzelne Politiker:innen. In den sozialen Medien, wie in der realen Welt.
Grünenpolitikerin und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt wird bei ihrer Sommertour im sachsen-anhaltischen Dessau etwa von einem lauten Mob empfangen. "Kriegstreiber, Kriegstreiber" wird ihr entgegengeschrien. Die Protestierenden haben Trommeln und Pfeifen dabei. Ein Mann mit Megafon richtet sich an die Polizei und fordert: "Achtet darauf, dass dieser grüne Abfall auch nicht zu uns rüberkommt." Mit Abfall meint er Göring-Eckardt. Eine entmenschlichende Aussage.
Und nicht nur Göring-Eckardt wird mit der Wut der Menschen konfrontiert. Andere Grünen-Politikerinnen finden ihre Namen regelmäßig in den Twittertrends. #FrauLang und #EmiliaFester werden dort regelmäßig in massenweise Tweets verwendet. Bei Ricarda Lang hängt sich die "Kritik" – genauer gesagt, das schamlose Mobbing – an ihrer Körperform auf.
Bei Emilia Fester an ihrem Alter – und ihrer Kommunikation auf Social Media. Beide Frauen werden durch den jeweiligen Kritikpunkt immer wieder diskreditiert.
Genutzt wird das vor allem von rechten Akteur:innen, wie Boris Reitschuster. Ihre Tweets und Analysen werden dann oftmals tausendfach geteilt. Auch die Hashtags "Grüne Sekte" und "Grüner Mist" trenden regelmäßig.
Kommunikationsexperte Bendix Hügelmann erklärte in einem früheren Gespräch mit watson, dass sich am Umgang mit Emilia Fester frauenfeindliche Grundzüge in Teilen der Gesellschaft erkennen ließen – die junge Grüne stelle eine Reizfigur dar. Er sagte:
Wer von frauenfeindlicher Kritik ein Lied singen kann, ist die grüne Außenministerin Annalena Baerbock.
Regelmäßig wird sie auf ihre Kleider- und Schuhwahl reduziert. Der Philosoph Richard David Precht attestierte ihr vor einiger Zeit Unfähigkeit. Es sei ein Unfall, dass Baerbock Außenministerin geworden sei, meinte er im Podcast mit Talkshowgröße Markus Lanz. Und: "Die hätte doch unter normalen Bedingungen im Auswärtigen Amt nicht mal ein Praktikum gekriegt." Eine Abfälligkeit, für die Precht auch reichlich Gegenwind erhielt.
Aber eben auch Zuspruch. Kritik an Baerbock ist nicht neu. Seit sie Kanzlerinnen-Kandidatin der Grünen war, findet sich die frühere Parteichefin im Kreuzfeuer wieder. So fuhr etwa die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft im Sommer 2021 eine Kampagne gegen Baerbocks Kandidatur. Und zwar unter dem Motto "Annalena und die 10 Verbote".
Die Grünen und ihre Kanzlerinnen-Kandidatin werden als Verbotspartei inszeniert. In einem früheren Gespräch mit watson sagte Wahlkampf-Experte Julius van de Laar dazu:
Die Kampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft war nicht die einzige Negativ-Kampagne gegen die Grünen zu Wahlkampfzeiten. Und die hatten nicht nur mit Baerbocks Patzern in Sachen Lebenslauf und Plagiatsvorwürfen zu tun.
Da war zum Beispiel die "Grüner Mist"-Kampagne. Deutschlandweit hingen riesige Plakate, die auf den ersten Blick aussahen, als seien sie von den Grünen dort platziert worden. Darauf zu sehen: verwelkte Sonnenblumen und beängstigende Parolen wie "Mieterhöhung, Spritpreiskrise, Strompreisexplosion". Initiiert aus dem rechten Spektrum.
Genauso wie die Kampagne "Hängt die Grünen". Dahinter steckte die rechtsextreme Kleinstpartei III. Weg. Die Farbe der Partei: Ebenfalls Grün. Entsprechend irreführend wirkten die grünen Plakate mit dem Mordaufruf.
Auch wenn die Daten laut dem ZDF-Format "Inside Politics" zeigen, dass Hass gerade im Netz nahezu ausschließlich von rechten Akteur:innen betrieben wird, gibt es Ausnahmen. Die CSU unter Markus Söder hat 2022 schließlich Schmähungen gegen die Grünen auch ins demokratische Parteienspektrum verschoben. Unter der Parole "Grüner Ideologie-Irrsinn" machten die bayerischen Christsozialen teilweise mit Fakenews Stimmung gegen den Grünen Parteitag.
Eines haben alle Negativkampagnen gemein: Mit sachlicher Kritik haben sie in den wenigsten Fällen zu tun. Gibt es aber inhaltliche Kritik – die etwa mit Robert Habecks Trauzeugenaffäre angemessen ist – und die Grünen setzen sich zur Wehr, wird ihnen "Dünnhäutigkeit" vorgeworfen. Denn die Grünen, und das gehört auch zur Wahrheit, sprechen in solchen Situationen schnell von Kampagnen gegen sich.
Mit Blick auf die Personalisierung, die mit der inhaltlichen Kritik oftmals einhergeht und den tatsächlichen, inhaltsleeren Negativ-Kampagnen ein nachvollziehbarer Reflex. So waren beispielsweise sowohl "Habecks Gasumlage" als auch "Habecks Heizungshammer" keine Alleingänge des Grünen Wirtschaftsministers, sondern Entscheidungen der Ampel. Trotzdem wurde Habeck dafür wochenlang durch Medien und Öffentlichkeit getrieben.
Die Reaktion der Grünen führt dazu, dass beispielsweise Koalitionspartner und Justizminister Marco Buschmann (FDP) rät, weniger zu jammern. "Eine herabsetzende, apolitische Äußerung, die in der Kommunikation unter Koalitionspartnern nicht zu suchen hat", ordnet Politikwissenschaftler Benjamin Höhne auf watson-Anfrage die Aussage ein.
Aber wo kommt der Missmut her? Aus Sicht von Wirtschaftspsychologin Ilka Heinze sind die Bürger:innen veränderungsmüde. Ihr wissenschaftlicher Schwerpunkt sind Transformationsprozesse. Im Gespräch mit der ARD erklärt Heinze:
Womöglich also, muten die Grünen ihren Wähler:innen zu viel zu. Dafür spricht etwa die Furore, die wegen des geplanten Gebäudeenergiegesetzes entstanden ist. Viele der Vorhaben, die besonders nah am Privatleben der Menschen liegen – Gasumlage, Heizungsgesetz – stammen aus Grünen-Ministerien. Dadurch wirken sie natürlich besonders bedrohlich auf Menschen.
Der Journalist Albrecht Lucke fasst das "Grüne Dilemma" so zusammen: "Eine Mehrheit der Bevölkerung lebt im Jahr 2021 noch immer weit stärker in den Konsumansprüchen der Gegenwart als im Bewusstsein der ökologischen Probleme."
Es sieht also so aus, als müssten die Grünen noch deutlicher argumentieren, warum sie bestimmte Vorhaben vorantreiben. Eventuell schaffen sie es dann, wieder mehr Menschen zu überzeugen. Gleichzeitig erinnert vieles, was der Öko-Partei entgegenschlägt, an das Trotz-Verhalten von Kindern. Als wollte die "Verbotspartei" den Bürger:innen das Lieblingsspielzeug klauen. Wie die Koalition dieses Dilemma auflösen will, bleibt abzuwarten.