Der Gaza-Krieg beschäftigt auch internationale Gerichte. Mit ungewöhnlichen Akteuren. So muss sich Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Beihilfe zum Völkermord verantworten. Geklagt hat Nicaragua, ein Land, dem zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Am Dienstag trifft dieses höchste Gericht der Vereinten Nationen eine Vorentscheidung. Worum geht es und was für Folgen kann das haben?
Nicaragua wirft Deutschland "Beihilfe zum Völkermord" vor. Aus Sicht von Nicaragua ermöglichen es Waffenlieferungen an Israel, dass im Gazastreifen "Völkermord" verübt werde. Als Argument führt Nicaragua an, dass Deutschland im vergangenen Jahr Rüstungslieferungen für 326,5 Millionen Euro an Israel genehmigt hatte, zehnmal so viel wie im Vorjahr.
Nicaragua wirft Deutschland auch vor, dass es die Beihilfen für das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA im Gazastreifen auf Eis gelegt hatte. Grund waren unter anderem Vorwürfe Israels, dass Mitarbeiter:innen des Hilfswerks an Massakern vom 7. Oktober beteiligt gewesen seien. Außerdem soll die Hamas das Hilfswerk unterwandert haben.
Die Bundesregierung hat inzwischen angekündigt, dass sie ihre Zusammenarbeit mit UNRWA fortsetzen wolle. Hintergrund sind demnach Empfehlungen eines Berichts der von den Vereinten Nationen eingesetzten Gruppe unter Leitung der ehemaligen französischen Außenministerin Catherine Colonna. Demnach muss es in Schlüsselbereichen der UNRWA Verbesserungen geben, unter anderem bei der Wahrung des Neutralitätsgrundsatzes.
Nicaragua hatte mit der Klage auch einen Eilantrag gestellt und fordert im Schnellverfahren eine Anordnung der Richter:innen, dass Deutschland die Lieferungen von Rüstungsgütern an Israel stoppt.
Deutschland wies die Vorwürfe bei der Anhörung vor etwa vier Wochen im Friedenspalast in Den Haag als haltlos zurück. "Diese Vorwürfe entbehren jeder rechtlichen und tatsächlichen Grundlage", sagte die Leiterin der deutschen Delegation, Tania von Uslar-Gleichen.
Deutschland verletze weder die Völkermord-Konvention noch humanitäres Völkerrecht. Bei den Rüstungsgütern ging es nach deutschen Angaben auch zu 98 Prozent nicht um Kriegswaffen, sondern um allgemeine Güter wie Helme oder Schutzwesten.
Und zu der Aussetzung der humanitären Hilfe erklärte Deutschland, dass es noch immer eines der größten Geberländer für die palästinensischen Gebiete sei. Übrigens werden inzwischen wieder die Gelder an das Hilfswerk gezahlt.
Das mittelamerikanische Land, das selbst wegen Menschenrechtsverletzungen im internationalen Visier ist, beruft sich auf die Völkermord-Konvention. Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, alles zu tun, Völkermord zu verhindern. Das heißt, auch Drittstaaten können andere deswegen zur Verantwortung ziehen.
Deutschland erkennt die Zuständigkeit des UN-Gerichtes an und es ist einer der engsten Verbündeten Israels. Die USA zum Beispiel – größter Waffenlieferant Israels und ebenfalls ein enger Verbündeter – erkennen in diesem Fall das Gericht nicht an und können daher auch nicht belangt werden. Die Konvention scheint so auch ein Instrument für Drittstaaten zu sein, politischen Druck auf die Verbündeten Israels auszuüben.
Sicher nicht. Erst Ende 2023 hatte Südafrika Israel vor dem Gerichtshof verklagt, ebenfalls wegen Völkermordes. Im Eilantrag war eine Waffenruhe gefordert worden. Die Richter:innen entsprachen dem zwar nicht, aber warnten Israel überraschend deutlich, alles zu tun, um einen Völkermord zu verhindern.
Zurzeit läuft auch ein Verfahren, das Gambia gegen Myanmar anstrengte. Im Namen muslimischer Staaten beschuldigt es Myanmar des Völkermordes an der muslimischen Rohingya-Minderheit.
Sie können die Klage abweisen, weil die Vorwürfe nicht belegt sind. Aber sie können auch sagen, dass sie gar nicht zuständig sind. Das meint auch Deutschland. Nicaragua habe nämlich nicht versucht, den Konflikt mit Deutschland zu lösen. Und das ist die Voraussetzung, bevor überhaupt das UN-Gericht eingeschaltet werden kann.
Die Richter:innen können aber auch anordnen, dass Deutschland keine Waffen mehr liefert, zumindest so lange, bis die Genozid-Vorwürfe gegen Israel geklärt sind.
Israel ist in diesem Fall keine Prozess-Partei, hat aber vorher schon die Völkermord-Vorwürfe zurückgewiesen. Es beruft sich auf sein Recht zur Selbstverteidigung nach den Massakern der islamistischen Hamas und anderer extremistischer Palästinenserorganisationen am 7. Oktober. Dabei waren etwa 1200 Menschen getötet und mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden.
Durch die darauffolgenden Angriffe Israels auf den Gazastreifen wurden nach Angaben der von Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörden etwa 34.500 Menschen getötet.
Entscheidungen des Gerichtshofes sind bindend. Auch wenn er keine Mittel hat, die Durchsetzung zu erzwingen, der politische Druck kann zunehmen. Für Deutschland wäre jeder Verdacht einer Mitverantwortung für Völkermord eine bittere Schlappe.
Die Völkermord-Konvention kam 1948 zustande unter dem Eindruck des Holocausts, der Ermordung von etwa sechs Millionen Jüd:innen durch deutsche Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges. Seitdem fühlt sich Deutschland nicht nur Israel besonders verpflichtet, sondern auch dem internationalen Völkerrecht.
Über die Klage wird erst im Hauptverfahren entschieden. Das kann sich über Jahre hinziehen.
Der Internationale Strafgerichtshof, ebenfalls mit Sitz in Den Haag, ermittelt sowohl gegen Israelis als auch gegen Palästinenser wegen möglicher Kriegsverbrechen. Anders als der UN-Gerichtshof verfolgt dieses Weltstrafgericht aber einzelne Verdächtige wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Aggressionskrieg. Das UN-Gericht dagegen will Konflikte zwischen Staaten lösen.
(Mit Material der dpa)