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Rücktritt des Grünen-Vorstands: Warum Robert Habeck jetzt nicht infrage kommt

25.11.2023, Baden-Württemberg, Karlsruhe: Omid Nouripour (l-r), Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Robert Habeck (Bündnis 90/Die G ...
Die Grünen-Spitze wandelt sich: Nouripour und Lang treten zurück. Was machen Habeck, Baerbock und Co. nun?Bild: dpa / Kay Nietfeld
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Grünen-Vorstand tritt zurück: Die wichtigsten Fragen und Antworten

25.09.2024, 15:46
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Nach einer Serie von Wahlniederlagen hat der Bundesvorstand der Grünen am Dienstag geschlossen seinen Rücktritt erklärt. "Das Wahlergebnis am Sonntag in Brandenburg ist ein Zeugnis der tiefsten Krise unserer Partei seit einer Dekade", betonte Parteichef Omid Nouripour am Mittwoch in Berlin.

Daher die Konsequenz: "Wir sind zum Ergebnis gekommen: Es braucht einen Neustart." Co-Parteichefin Ricarda Lang begründete den Rücktritt damit, dass es "neue Gesichter" brauche, "um die Partei aus dieser Krise zu führen".

Lang fügte hinzu: "Jetzt ist nicht die Zeit, um am Stuhl zu kleben – jetzt ist die Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Und wir übernehmen diese Verantwortung, indem wir einen Neustart ermöglichen."

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Rücktritt findet ihr hier.

Warum tritt der Grünen-Vorstand zurück?

Wahl- sowie Umfrageergebnisse und Beliebtheitswerte

Zuletzt mussten die Grünen einige Niederlagen bei Wahlen hinnehmen. Am Sonntag rutschten sie mit einem Ergebnis von knapp über 4,1 Prozent in Brandenburg aus dem Landtag. Auch aus dem Thüringer Landtag flogen sie Anfang September, in Sachsen schafften sie den Einzug ins Parlament ganz knapp mit nur 5,1 Prozent.

Bei den Europawahlen im Juni sank die Partei von zuvor 20,5 Prozent bei den Wahlen 2019 auf nur noch 11,9 Prozent. Gerade bei jungen Menschen verlor die Partei in den vergangenen Monaten dramatisch an Zustimmung. In der jüngsten Insa-Umfrage zur Bundestagswahl im nächsten Jahr kommen die Grünen nur noch auf 9,5 Prozent.

Intern ist die Rede von einer mangelnden Präsenz auf Tiktok. Öffentlich nicht gesprochen wird über zwei weitere mögliche Gründe: Einerseits die Haltung der Partei zum Krieg im Gazastreifen nach dem Hamas-Terror vom 7. Oktober. Diese finden unter anderem manche eher links eingestellte Wähler:innen aus dem studentischen Milieu zu einseitig pro-israelisch.

Andererseits sind die Verschärfungen im Asylrecht teils nicht gut an der Basis angekommen, heißt es.

Keine Beliebtheit in der breiten Masse an Wähler:innen

In der Partei sind Nouripour und Lang, die nach Einschätzung vieler Grüner gut zusammenarbeiten, beliebt. In der Öffentlichkeit kommen die scheidenden Co-Vorsitzenden aber weniger gut an.

Lang bemüht sich stets, konstruktiv zu klingen. Die zum linken Flügel gehörende Sozialpolitikerin wirkte aber dabei vielleicht für manche Jungwähler:innen zu staatstragend.

Nouripour, der sich dem Realo-Flügel zuordnet, formulierte meist lockerer als Lang, überzeugte mit seinen Auftritten und Positionen aber anscheinend ebenfalls nicht.

Die Ampel

Die selbst ernannte "Fortschrittskoalition" aus SPD, Grünen und FDP hat dramatisch an Beliebtheit eingebüßt. Lang und Nouripour hatten sich trotzdem entschieden, es anders zu machen als die FDP. Deren Generalsekretär Bijan Djir-Sarai geht oft auf Distanz zu Entscheidungen der Koalition und klingt inzwischen häufig eher wie ein Oppositionspolitiker als wie ein Vertreter einer Regierungspartei.

Lang und Nouripour verwiesen eher auf das, was die Grünen als Erfolge der Ampel sehen, etwa beim Ausbau der Erneuerbaren Energien – und taten sich schwer, ihre Partei von der unpopulären Koalition abzugrenzen.

Welche Reaktionen folgen auf die Entscheidung?

Bundeswirtschaftsminister und Vize-Kanzler Robert Habeck nannte den angekündigten Rücktritt des Parteivorstandes einen "großen Dienst an der Partei". Der Schritt zeuge "von großer Stärke und Weitsicht. Ricarda Lang und Omid Nouripour beweisen, was für sie der Parteivorsitz bedeutet: Verantwortung. Sie machen den Weg frei für einen kraftvollen Neuanfang."

Er nahm Nouripour und Lang aber auch in Schutz. "Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich. Und auch ich will mich ihr stellen." Viele Parteikolleg:innen äußerten sich ähnlich.

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Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil und FDP-Chef Christian Lindner sprachen Nouripour und Lang Respekt aus. Der Finanzminister erklärte auf X aber auch: "Wir sind gespannt, ob unter neuer Führung ein neuer Kurs entsteht und welche Auswirkungen er auf die Regierung hat." Diese müsse "zur Sacharbeit kommen".

Wie geht es bei der Wahl des Vorstandes weiter?

Dem Vorstand gehörten bislang neben Lang und Nouripour noch die stellvertretenden Parteivorsitzenden Pegah Edalatian und Heiko Knopf, Geschäftsführerin Emily Büning und Bundesschatzmeister Frederic Carpenter an.

Sie alle legen ihr Amt zum Parteitag in Wiesbaden nieder, auf dem vom 15. bis 17. November ein neuer Vorstand gewählt werden soll. Dort fällen die Grünen wahrscheinlich auch die Entscheidung, ob sie im Bundestagswahlkampf einen Kanzlerkandidaten stellen.

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Annalena Baerbock verzichtet wohl, wahrscheinlich wird Robert Habeck Spitzen- oder Kanzlerkandidat.Bild: dpa / Kay Nietfeld

Alternativ könnten sie auch nur mit einem Spitzenkandidaten antreten. Nachdem Außenministerin Baerbock gesagt hatte, dass sie diesmal nicht an der Spitze stehen will, läuft alles auf Habeck hinaus.

Wer könnten die Nachfolger werden?

Franziska Brantner und Felix Banaszak werden gehandelt

Für eine mögliche Nachfolge kursierten schon kurz nach dem Rücktritt erste Namen. Genannt wurden die dem Realo-Flügel angehörige Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium von Habeck, und der Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak. Letzterer war früher Vorsitzender der Grünen in Nordrhein-Westfalen und wird dem linken Parteiflügel zugerechnet.

Er würde auch dem möglichen Grünen-Missstand auf Tiktok entgegenwirken, da er dort vergleichsweise aktiv ist Sein erfolgreichstes Video hat dort eine Reichweite von rund 240.000 Views.

Ins Spiel gebracht wurden Banaszak und Brantner von Table.Media – dem Medium, das den Vorstandsrücktritt durch Insider-Infos als erstes vermeldete.

Mit Brantner würde ausgerechnet eine Staatssekretärin aus dem Ministerium des wohl kommenden Kanzlerkandidats der Grünen Robert Habeck an die Spitze der Grünen kommen.

Weshalb Robert Habeck nicht in Frage kommt

Doch warum kandidiert Habeck nicht einfach selbst für den Vorstandsvorsitz?

Ganz einfach: Das geht laut der Satzung der Grünen nicht. Wer Mitglied der Bundesregierung ist, etwa als Minister:in, darf nicht Teil des Vorstands sein. Das entspricht den Prinzipien der Grünen, Amt und Mandat oder etwa Parteiamt und Staatsamt zu trennen.

Das würde auch gegen Außenministerin Annalena Baerbock oder Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sprechen, die eine weitaus größere Bekanntheit als Banaszak und Brantner hätten.

Was wird nun aus der Ampel-Regierung?

Schon das schlechte Abschneiden bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen Anfang November hatte für Schockwellen innerhalb der Ampel-Koalition gesorgt. Bei der Brandenburger Wahl schied neben den Grünen auch die FDP aus.

Aus Sicht der Liberalen steht die Koalition deshalb bereits auf der Kippe. Bis zur parlamentarischen Weihnachtspause am 21. Dezember fordert die FDP konkrete Ergebnisse der Koalition in der Wirtschafts- und Migrationspolitik. Vor allem bei letzterer lagen aber FDP und Grüne häufig über Kreuz.

Der Rücktritt des Grünen-Vorstands habe "keinerlei Auswirkungen auf die Koalition", sagte Kanzler-Sprecher Steffen Hebestreit in einer ersten Reaktion.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sieht das anders und forderte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" wieder einmal Neuwahlen. Das wiederum überrascht als Aussage der Opposition nicht.

(mit Material von dpa und afp)

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