Seit 18 Monaten wehrt sich die Ukraine gegen den brutalen Angriffskrieg Russlands. Seither stand Verteidigungsminister Olexij Resnikow an der Seite des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – nun soll er gehen. Inmitten der laufenden Gegenoffensive setzt Kiew wohl auf einen frischen Start und der heißt: Rustem Umerow.
Warum es zu dem Wechsel kommt und wer der neue Verteidigungsminister der Ukraine ist, fasst watson für euch zusammen.
Überraschend kam die Absetzung von Resnikow für Expert:innen nicht. Schon im vergangenen Winter stand im Gespräch, dass er seinen Posten aufgeben sollte. Der nach Skandalen in seiner Behörde in die Kritik geratene Politiker dachte aber nicht an einen freiwilligen Rücktritt. Er wolle erst zurücktreten, wenn ihn Selenskyj dazu auffordere, meinte Resnikow Anfang Februar.
"Kein Beamter bleibt ewig im Amt", fügt er hinzu.
Damit sollte er recht behalten. Selenskyj verkündet nun: "Ich bin der Meinung, dass das Ministerium neue Herangehensweisen braucht und andere Formate der Zusammenarbeit mit den Soldaten und der Gesellschaft insgesamt." Resnikow war seit November 2021 Verteidigungsminister.
Zu der Reihe von Skandalen und Affären im Verteidigungsministerium in der Ära Resnikow gehört unter anderem der Rücktritt seines Stellvertreters Wjatscheslaw Schapowalow. Er hatte im Winter im Zusammenhang mit dem Einkauf überteuerter Lebensmittel für Soldaten seinen Hut nehmen müssen. Zudem soll nach Medienberichten beim Bau von Kasernen Geld veruntreut worden sein.
Resnikow wies die Vorwürfe stets zurück. Ziel sei es offenbar, das "Vertrauen in das Verteidigungsministerium zu einem sehr wichtigen Zeitpunkt zu untergraben", erklärt er damals.
"Den Umständen entsprechend ist Resnikows Job als Verteidigungsminister generell eher positiv zu bewerten", schreibt der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy auf X, ehemals Twitter. Er berichtet aus Kiew für deutschsprachige Medien. Dass strukturelle Probleme gerade am Rande des russischen Angriffskrieges nicht über Nacht verschwinden, sei klar, doch es funktionierte besser als es hätte gehen können, führt er aus.
Dass Resnikow selbst an Korruptionsmachenschaften beteiligt war, schließe er aus, fügt aber hinzu, dass er aber für niemanden seine Hand ins Feuer legen würde.
Die Ukraine gilt als eines der korruptesten Länder Europas. Ukrainische Medien hatten mehrfach – und verstärkt in den vergangenen Tagen – darüber berichtet, dass eine Ablösung des 57-jährigen Resnikow unmittelbar bevorstehe. Mit Selenskyj habe er über einen anderen Posten gesprochen. So soll er wohl als Botschafter nach London gehen.
Selenskyj bringt den 41 Jahre alten Chef des staatlichen Vermögensfonds als Nachfolger ins Spiel. Umerow ist jung, international vernetzt, gilt als Finanzexperte und sein Herz schlägt besonders stark für die Krim.
Der Unternehmer und Investor ist krimtatarischer Abstammung. Er setzt sich seit Jahren für eine Befreiung der bereits 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim ein.
Umerows Eltern waren wie viele Krimtatar:innen unter Sowjetdiktator Josef Stalin von der Krim nach Zentralasien deportiert worden. Der Politiker ist auch stellvertretender Vorsitzender der Krim-Plattform, eines jährlichen Forums, das sich der Wiedereingliederung der Halbinsel in die Ukraine widmet. Er setzt sich nicht zuletzt für den Austausch von politischen Häftlingen und Kriegsgefangenen auf der Krim ein, wie ukrainische Medien berichteten.
"Umerow ist ein spannender Typ", schreibt Journalist Trubetskoy, der selbst von der Krim stammt. Laut ihm war Umerow lange Berater von Mustafa Dschemilew, ein aus der Sowjetzeit bekannter "Dissident", also Opponent. Dschemilew habe die krimtatarische Dachorganisation Medschlis angeführt und sei eine Ikone des krimtatarischen Volkes.
Neben Umerows engem Bezug zur Krim weist er allerhand nützliche Eigenschaften auf, die in seiner neuen Position hilfreich sein könnten. "Er ist ein bemerkenswerter Mann für Verhandlungen. Hält gute Kontakte bis an die Staatsspitze der Türkei, hat Verbindungen in der Arabischen Welt, spielte eine nicht unbedeutende Rolle beim Gefangenenaustausch. Wird als Chef des Staatsvermögensfonds gelobt", zählt Trubetskoy auf.
2022 nahm er an den russisch-ukrainischen Friedensverhandlungen teil. Laut Trubetskoy überlebte er wohl dort einen Vergiftungsversuch – "oder auch nicht, darüber ist wenig öffentlich bekannt", schreibt er. Zudem spreche Umerow gut Englisch und habe viele Kontakte in den USA.
All das könnte ein Vorteil sein, für zukünftige Herausforderungen, wie etwa die Getreideverhandlungen oder bei informellen Gesprächen über Waffenlieferungen, meint der ukrainische Journalist.
Auf den Verlauf der aktuellen Gegenoffensive hätte er als neue Verteidigungsminister weniger Einfluss. Denn: Die Verantwortung haben Selenskyj als Oberbefehlshaber der Streitkräfte und die Generäle. Umerows Job liegt bei den Finanzen. Er müsste sich vor allem um die Finanzierung der Armee und um deren Ausstattung mit Waffen und Munition sowie um die Versorgung kümmern.
Diese Woche wird das ukrainische Parlament darüber entscheiden, ob er den Chefposten im Verteidigungsministerium übernehmen wird – auf Wunsch von Selenskyj.
(Mit Material der dpa)