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Russland: Darum muss Putin-Kritiker Nawalny für 19 weitere Jahre ins Gefängnis

ARCHIV - 16.02.2021, Russland, Moskau: Alexej Nawalny, russischer Kremlgegner, erscheint zu einer Anh
Alexej Nawalny hielt sich mit seiner Meinung über Putin und das Kreml-Regime öffentlich nicht zurück.Bild: Babuskinsky District Court/AP / Uncredited
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Putin-Kritiker Nawalny zu 19 weiteren Jahren verurteilt – was dahinter steckt

04.08.2023, 16:54
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Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny sitzt seit mehr als zweieinhalb Jahren in Haft, womöglich wird er nie wieder aus dem russischen Hochsicherheitsgefängnis herauskommen. Am Freitag wurde er in einem weiteren, umstrittenen Prozess zu 19 zusätzlichen Jahren verurteilt. Die Begründung: Er habe eine als "extremistisch" eingestufte Organisation gegründet und finanziert sowie zu extremistischen Aktivitäten aufgerufen. Zudem habe er Gedankengut der "Nazi-Ideologie" wiederbelebt.

Wohl vorgeschobene Gründe.

ARCHIV - 20.02.2021, Russland, Moskau: Alexej Nawalny, russischer Oppositionspolitiker, steht in einer Zelle im Bezirksgericht Babuskinskij. Der in Russland inhaftierte Kremlgegner ist trotz der Klage ...
Alexej Nawalny gilt als rotes Tuch von Wladimir Putin.Bild: AP / Alexander Zemlianichenko

Dass der 47-jährige Kremlkritiker dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Dorn im Auge ist, ist bekannt. Dass der Prozess alles andere als fair abgelaufen sein dürfte, ebenfalls. International gilt er als politisch Gefangener. Doch was bedeutet das Urteil? Und warum wollte man Nawalny in Russland unschädlich machen?

Warum ist Nawalny bei Wladimir Putin so verhasst?

Nawalny steht für all das, was Kreml-Machthaber Putin in dem von ihm regierten Land nicht sehen will. Nawalny ist etwa oppositioneller Politiker, investigativer Journalist, digitaler Gewerkschafter – und vieles mehr. Er kritisierte Putin öffentlich, ließ ihn wiederholt negativ dastehen, zeigte Probleme auf.

Nun ist Nawalny ein Gefangener. Seit mehr als zweieinhalb Jahren sitzt er im Gefängnis eine erste neunjährige Haftstrafe ab. Jetzt wurde er zu weiteren 19 Jahren verurteilt.

Und: Im Jahr 2020 war er bei einer Reise nach Sibirien mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden. Seine Kollegen sind überzeugt: Putins Machtapparat ist für den mutmaßlichen Anschlag verantwortlich. Doch warum? Sergey Lagodinsky, ein Europaabgeordneter für die Grünen und langjähriger Freund Nawalnys, hatte bereits 2020 gegenüber "Bild" gesagt:

"Nawalny ist ein ungebrochener Kritiker des Systems. Er hat es auf das Wichtigste abgesehen, das das System am Laufen hält – Korruption. Und er hat es gewagt, Machtambitionen zu formulieren. Damit ist er für alle am System Beteiligten ein natürlicher Gegner."

Hinzu kommt nun auch noch, dass er sich öffentlich gegen den Krieg in der Ukraine ausspricht. Nawalny bezeichnet etwa in seiner Schlusserklärung vor Gericht Russlands Einmarsch in der Ukraine mit "zehntausenden Toten" als "dümmsten und sinnlosesten Krieg des 21. Jahrhunderts". Für Putin ein rotes Tuch.

Was bedeutet das Urteil gegen Nawalny?

Mit dem Urteil will Kreml-Chef Putin ein Exempel statuieren. Bereits vor der Urteilsverkündung hatte Nawalny verlauten lassen, dass er eine "stalinistische" Strafe erwartet, die der Einschüchterung dienen solle. Damit will Putin nach Nawalnys Angaben all jene in der Bevölkerung, die sich kritisch gegen den Kreml positionieren, abschrecken. Etwa auch all jene, die sich öffentlich gegen den Krieg in der Ukraine stellen. "Es wird eine riesige Haftstrafe werden. Das, was man als 'stalinistische Haftstrafe' bezeichnet", ließ Nawalny noch am Donnerstag über sein Team ausrichten.

ARCHIV - 20.07.2019, Russland, Moscow: Alexej Nawalny, Oppositionsf
Kreml-Kritiker Alexej Nawalny war Putin schon lange ein Dorn im Auge.Bild: dpa / Pavel Golovkin

Was bedeutet "stalinistisch" in Bezug auf die Justiz?

Nawalny spielt mit seinen Aussagen auf die Praktiken an, die in der Sowjetunion unter dem Diktator Josef Stalin (1879-1953) gängig waren. Dort zählten zu kommunistischen Zeiten sehr lange und harte Strafen zur alltäglichen Praxis. Sie sind Teil eines Systems, das keine kritischen öffentlichen Äußerungen zulassen will. Ähnlich wie unter dem heutigen Machthaber Putin.

Warum ist der Prozess umstritten?

Von einem fairen Prozess aus rechtlicher, westlicher Sicht kann man hier nicht sprechen. Die Liste der Vorwürfe gegen Nawalny ist lang. Es geht um die Gründung und die Finanzierung einer extremistischen Organisation, öffentliche Aufrufe zum Extremismus und unter anderem auch die Aufwiegelung von Minderjährigen sowie die Verharmlosung des Nationalsozialismus. Vor allem die Antikorruptionsstiftung des Kremlkritikers geriet ins Visier der russischen Justiz.

Der Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Und zwar dort, wo Nawalny einsitzt: in der Strafkolonie IK-6 in Melechowo. Er durfte für den Prozess die Gefängnismauern also nicht verlassen. Als wäre er ein Schwerverbrecher.

Zunächst hieß es, dass Journalist:innen wenigstens am ersten Prozesstag anwesend sein dürfen. Doch in den provisorischen Gerichtssaal durften weder die Pressevertreter:innen noch Nawalnys Eltern. Sie wurden in einen anderen Raum geführt, wo das Verfahren übertragen wurde. Die Übertragung wurde ständig unterbrochen – oder aber der Ton war von so schlechter Qualität, dass kaum jemand im Raum etwas verstehen konnte, wie ein Korrespondent der Nachrichtenseite "Mediazona" berichtete. Der restliche Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

19.06.2023, Russland, Melechowo: Alexej Nawalny (2.v.l), russischer Oppositionsführer, sitzt während einer vorläufigen Anhörung in einem Saal der Strafkolonie Melechowo. In der Strafkolonie Melechowo  ...
Während der Übertragung fielen Ton und Bild ständig aus. Bild: AP / Alexander Zemlianichenko

Der 47-Jährige ist bereits mehrfach verurteilt worden, wegen angeblichen Betrugs, Verleumdung, Verstoßes gegen Bewährungsauflagen. Es ist das erste Mal, dass es in einem Prozess gegen Nawalny erstmals um politische Vorwürfe ging. Zuvor war er wegen Betrugs verurteilt worden.

Wie geht es mit Nawalny weiter?

Dass Alexej Nawalny noch einmal auf freien Fuß kommen wird, ist aus jetziger Sicht unwahrscheinlich. Nawalny selbst glaubt nicht daran, wieder auf freien Fuß zu kommen, solange Putin noch an der Macht ist. Dem Kreml-Kritiker, der selbst aus dem Straflager nicht müde wird, das Regime mithilfe von Helfer:innen und Anwält:innen via Social Media zu kritisieren, dürfte es in Gefangenschaft elendig gehen.

Menschenrechtler weisen immer wieder auf den angeschlagenen Gesundheitszustand Nawalnys hin. Regelmäßig klagt etwa sein Team, dass dem Gefangenen notwendige medizinische Hilfe vorenthalten werde. Er habe Schmerzen. Auch die wenigen Bilder, die von ihm an die Öffentlichkeit gelangen, zeigen, wie abgemagert er ist. Er dürfte Schikanen, Folter und Gewalt ausgesetzt sein.

Im Sommer 2020 hatte Nawalny nur knapp einen Nervengiftanschlag – mutmaßlich im Auftrag des Kreml – überlebt. Nach einer Behandlung in Deutschland kehrte Nawalny damals nach Russland zurück, wo er noch am Flughafen festgenommen wurde.

ARCHIV - 28.12.2021, Russland, Petushki: Alexej Nawalny, Oppositionspolitiker aus Russland, ist während einer Gerichtsverhandlung per Video aus einem Gefängnis zugeschaltet. Gegen den bereits inhaftie ...
Alexej Nawalny sitzt seit 2021 im Gefängnis.Bild: Meduza/AP / Evgeny Feldman

Mittlerweile verbringt er laut Medienberichten die meiste Zeit in einer spartanisch eingerichteten Zelle. Eigentlich dürften Gefangene darin höchstens 15 Tage lang eingesperrt werden. Doch er muss regelmäßig immer wieder dort hin, auch ohne triftige Gründe. Wer darin eingesperrt wird, werde vorher von einem Psychologen untersucht, "um sicherzugehen, dass man sich nicht erhängt".

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Seine Laune sei gut, stellte Nawalny fest – trotz der Situation. Wie er selbst geschrieben hatte, ist das auch wahr. Denn: Er betrachtet demnach all das als seinen Job. Und zwar so lange, bis es in Russland normal und "ungefährlich" sei, die eigene Meinung frei auszusprechen. "Hier, jetzt, tue ich den unangenehmen Teil meines Lieblingsjobs", schrieb er kurz vor seinem 47. Geburtstag im Juni.

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