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SPD und Hartz IV: Malu Dreyer über Armut und Rechtsextreme in Kandel

Malu Dreyer
Malu DreyerBild: dpa
Interview

So will SPD-Vize Malu Dreyer gegen Armut kämpfen – das watson-Interview

29.03.2018, 10:4430.03.2018, 09:11

 

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Rückt die SPD ab von ihrer Agenda-Politik? Und plant sie stattdessen ein "solidarisches Grundeinkommen"? Berlins Regierungschef Michael Müller hat diese Diskussion am Wochenende losgetreten. Unterstützung kommt von Partei-Genossen an höchster Stelle. Arbeitsminister Hubertus Heil zeigt sich offen für Gespräche. Auch aus Sicht der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin und Partei-Vizechefin Malu Dreyer könnte am Schluss "das Ende von Hartz IV stehen".

watson hat mit ihr darüber gesprochen, wie die Sozialdemokraten mit Ängsten vor Armut und Abstieg umgehen wollen. Und was das mit den rechtsextremen Aufmärschen in Kandel zu tun hat.

Hier noch einmal der Hintergrund zu den rechten Demonstationen (und ihren Gegnern) in Kandel.

watson: Das Ende von Hartz IV also, Frau Dreyer?
Malu Dreyer: Michael Müller hat ein "solidarisches Grundeinkommen" vorgeschlagen. Ich sage, dass sich die Debatte lohnt. Das Geld, mit dem wir die Arbeitslosigkeit verwalten, könnten wir auch ausgeben, um die Leute in Arbeit zu bringen. Es geht darum, wie man Hartz IV weiterentwickeln kann. Wie genau, das muss noch konkret ausgearbeitet und erdacht werden.

Sagen wir, ich wäre Hartz IV-Hilfe-Empfänger, was würden Sie für mich weiterentwickeln wollen?
Hubertus Heil hat als Arbeitsminister gesagt, dass er sich genau mit diesen Fragen beschäftigen will. Dem möchte ich nicht vorgreifen.

Das hilft mir jetzt aber nicht gerade weiter…
Wichtig ist die Idee hinter dem Vorschlag. Wir haben seit vielen Jahren weniger und weniger Arbeitslose, aber trotzdem einen Sockel an Menschen, der keinen Job findet. Ich bin schon immer der Überzeugung, dass man für einen bestimmten Teil dieser Bevölkerung tatsächlich auch öffentlich finanzierte Beschäftigung gut brauchen kann.

Wir beschäftigen uns einmal in der Woche mit dem Thema Armut in Deutschland!

Haben Sie ein Beispiel?
Eine unserer Städte bildet Leute im Gartenbau in öffentlichen Parkanlagen aus. Die Stadt bietet ihnen auch Beschäftigungsverhältnisse an. Solche Arbeit ist wichtig für die Allgemeinheit und ermöglicht den Betroffenen eine Stelle auf Mindestlohn-Niveau.

Es geht in der Armuts-Debatte auch um Abstiegsängste. Solche Ängste kommen durchaus auch in rechten Demonstrationen zum Ausdruck, etwa in Kandel. Wenn die SPD über Hartz IV diskutiert, geht es ihr darum, solchen Ängsten etwas entgegenzusetzen?
Klar fragen wir uns, welche Ängste treiben Menschen dazu, an diesen Demos teilzunehmen. Ich finde auch, dass man über Armut sprechen muss. Manche Menschen müssen in Deutschland über längere Phasen ihres Lebens am Existenzminimum leben. Aber im Fall Kandel sind solche Ängste nur ein Teil der Wahrheit.

Der andere Teil?
Die rechtsextreme Szene Deutschlands versucht hier, eine Stadt zu überrollen und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Die Identitären, die AfD, beim letzten Mal waren sogar Hooligans dabei. 

Sie alle wollen den schrecklichen und schlimmen Tod eines Mädchens instrumentalisieren. Sie treten ganz klar als Fremdenfeindliche und Rechte auf.
Malu Dreyer

Die Kandler selbst haben sich aber dagegengestellt; in einem breiten Bündnis von gesellschaftlichen Gruppen, Gewerkschaften, Kirchen bis hin zu den Unternehmerverbänden haben wir ein deutliches Zeichen gesetzt. So einen Überfall lassen wir nicht zu. Unsere Antwort auf die Hetzer und Spalter von rechts ist der Zusammenhalt der Mitte.

"Unsere Stadt hat Nazis satt": Die Proteste von Kandel

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Rechts knallt auf Mitte: Die Proteste von Kanderl
quelle: dpa / federico gambarini
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Müssen wir mit rechten Überroll-Kommandos jetzt immer rechnen, wenn irgendwo in Deutschland ein Verbrechen passiert, in dem ein Asylbewerber involviert ist?
Darauf muss man gefasst sein. Solche Demos können überall in Deutschland passieren. Vor allem, wenn es einen Anlass gibt, in diesem Fall eine ganz, ganz schlimme Gewalttat an einem Mädchen. Das könnten Rechtsextreme benutzen, um in einem Ort einzufallen. Das haben wir in Kandel ja schon zum zweiten Mal erlebt.

Aber es sind nicht nur Organisierte. Eine Frau aus Karlsruhe kam extra nach Kandel, sie sagte einem Reporter: "Ich will nicht, dass meine Enkelinnen irgendwann mit einem Kopftuch in die Schule gehen müssen oder dass sie ihr Kotelett nicht mehr essen dürfen." Was sagen Sie dieser Frau?
Dass das in unserem Land nicht passieren kann. Wir sind ein Rechtsstaat, der Menschen ermöglicht, ihre Religionsfreiheit auszuüben. Das bedeutet aber nicht, dass dann alle anderen keine Koteletts mehr essen dürfen. Die Frau muss wissen, dass sie Rechte hat und diese auch nicht in Gefahr sind.

Wenn Leute fürchten, dass ihr Kind angepöbelt wird, wenn über antisemitische Übergriffe an Schulen berichtet wird. Reicht es da wirklich zu sagen: 'Wir haben doch den Rechtsstaat?'
Nein, das wäre eine Verkürzung. Ich habe eine Haltung als Politikerin. Antisemitismus werde ich, ganz egal von welcher Richtung er kommt, nicht dulden. Das darf kein Lehrer, kein Nachbar, kein Politiker. Das hat hier keinen Platz.

Aber viele Leute, die seit Jahren von Dresden bis Kandel auf die Straße gehen, fühlen sich sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich abgehängt. Alles reden scheint nicht zu helfen.
Wir müssen die Gesellschaft zusammenhalten und den Dialog wiederfinden. Sie nennen die Abstiegsangst, das ist ein wichtiger Punkt. Viele Menschen haben Angst, dass sie bald keinen Arbeitsplatz mehr haben. Denen müssen wir vermitteln, dass der Staat für sie da ist. Aber noch einmal, ich bitte Sie zu sehen: Es gibt Leute, die auf die einfachen Versprechen von Parteien wie der AfD reinfallen.

Aber in Kandel kamen Leute mit einer ganz anderen Gesinnung. Die wollen andere mitziehen, sich in der Öffentlichkeit ausbreiten. Das ist die Gefahr.
Malu Dreyer

Sie sagen "einfache Versprechen". Wenn ich überall lese "SPD für Grundeinkommen statt Hartz IV" und Sie erklären mir: "Wir diskutieren nur Ideen." Dann klingt das für mich auch nach so einem sehr einfachen Versprechen.
Wir müssen Lösungen finden, die den Menschen helfen, sie dauerhaft in Arbeit zu bringen und auf der anderen Seite auch verständlich sind. Das ist etwas völlig anderes, als die "einfachen Versprechen", mit denen rechte Kräfte arbeiten.

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