Rückt die SPD ab von ihrer Agenda-Politik? Und plant sie stattdessen ein "solidarisches Grundeinkommen"? Berlins Regierungschef Michael Müller hat diese Diskussion am Wochenende losgetreten. Unterstützung kommt von Partei-Genossen an höchster Stelle. Arbeitsminister Hubertus Heil zeigt sich offen für Gespräche. Auch aus Sicht der rheinland-pfälzischen
Ministerpräsidentin und Partei-Vizechefin Malu Dreyer könnte am Schluss "das Ende von Hartz IV stehen".
watson hat mit ihr darüber gesprochen,
wie die Sozialdemokraten mit Ängsten vor Armut und Abstieg umgehen wollen. Und was das mit den rechtsextremen Aufmärschen in Kandel zu tun hat.
watson: Das Ende von
Hartz IV also, Frau Dreyer?
Malu Dreyer: Michael Müller hat ein "solidarisches Grundeinkommen" vorgeschlagen. Ich sage, dass sich die Debatte lohnt. Das Geld, mit dem wir die
Arbeitslosigkeit verwalten, könnten wir auch ausgeben, um die Leute in Arbeit
zu bringen. Es geht darum, wie man Hartz IV weiterentwickeln kann. Wie genau,
das muss noch konkret ausgearbeitet und erdacht werden.
Sagen wir, ich wäre Hartz IV-Hilfe-Empfänger, was
würden Sie für mich weiterentwickeln wollen?
Hubertus
Heil hat als Arbeitsminister gesagt, dass er sich genau mit diesen Fragen
beschäftigen will. Dem möchte ich nicht vorgreifen.
Das hilft mir jetzt
aber nicht gerade weiter…
Wichtig ist die Idee hinter dem Vorschlag. Wir haben seit vielen Jahren weniger
und weniger Arbeitslose, aber trotzdem einen Sockel an Menschen, der keinen Job
findet. Ich bin schon immer der Überzeugung, dass man für einen bestimmten Teil
dieser Bevölkerung tatsächlich auch öffentlich finanzierte Beschäftigung gut
brauchen kann.
Haben Sie ein
Beispiel?
Eine unserer Städte bildet Leute im Gartenbau in öffentlichen Parkanlagen aus.
Die Stadt bietet ihnen auch Beschäftigungsverhältnisse an. Solche Arbeit ist
wichtig für die Allgemeinheit und ermöglicht den Betroffenen eine Stelle auf
Mindestlohn-Niveau.
Es geht in der
Armuts-Debatte auch um Abstiegsängste. Solche Ängste kommen durchaus auch in
rechten Demonstrationen zum Ausdruck, etwa in Kandel. Wenn die SPD über Hartz
IV diskutiert, geht es ihr darum, solchen Ängsten etwas entgegenzusetzen?
Klar fragen wir uns, welche Ängste treiben Menschen dazu, an
diesen Demos teilzunehmen. Ich finde auch, dass man über Armut sprechen muss.
Manche Menschen müssen in Deutschland über längere Phasen ihres Lebens am
Existenzminimum leben. Aber im Fall Kandel sind solche Ängste nur ein Teil der
Wahrheit.
Der andere Teil?
Die rechtsextreme Szene Deutschlands versucht hier, eine
Stadt zu überrollen und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Die Identitären, die
AfD, beim letzten Mal waren sogar Hooligans dabei.
Die Kandler selbst haben sich
aber dagegengestellt; in einem breiten Bündnis von gesellschaftlichen Gruppen,
Gewerkschaften, Kirchen bis hin zu den Unternehmerverbänden haben wir ein
deutliches Zeichen gesetzt. So einen Überfall lassen wir nicht zu. Unsere Antwort auf die Hetzer und Spalter von rechts ist der
Zusammenhalt der Mitte.
Müssen wir mit
rechten Überroll-Kommandos jetzt immer rechnen, wenn irgendwo in Deutschland
ein Verbrechen passiert, in dem ein Asylbewerber involviert ist?
Darauf muss man gefasst sein. Solche Demos können überall in Deutschland
passieren. Vor allem, wenn es einen Anlass gibt, in diesem Fall eine ganz, ganz
schlimme Gewalttat an einem Mädchen. Das könnten Rechtsextreme benutzen, um in
einem Ort einzufallen. Das haben wir in Kandel ja schon zum zweiten Mal erlebt.
Aber es sind nicht
nur Organisierte. Eine Frau aus Karlsruhe kam extra nach Kandel, sie sagte
einem Reporter: "Ich will nicht, dass meine Enkelinnen irgendwann mit einem
Kopftuch in die Schule gehen müssen oder dass sie ihr Kotelett nicht mehr essen
dürfen." Was sagen Sie dieser Frau?
Dass das in unserem Land nicht passieren kann. Wir sind ein
Rechtsstaat, der Menschen ermöglicht, ihre Religionsfreiheit auszuüben. Das
bedeutet aber nicht, dass dann alle anderen keine Koteletts mehr essen dürfen.
Die Frau muss wissen, dass sie Rechte hat und diese auch nicht in Gefahr sind.
Wenn Leute fürchten,
dass ihr Kind angepöbelt wird, wenn über antisemitische Übergriffe an Schulen
berichtet wird. Reicht es da wirklich zu sagen: 'Wir haben doch den Rechtsstaat?'
Nein, das wäre eine Verkürzung. Ich habe eine Haltung als
Politikerin. Antisemitismus werde ich, ganz egal von welcher Richtung er kommt,
nicht dulden. Das darf kein Lehrer, kein Nachbar, kein Politiker. Das hat hier
keinen Platz.
Aber viele Leute, die seit Jahren von Dresden bis Kandel auf die Straße gehen, fühlen sich sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich abgehängt. Alles reden scheint nicht zu helfen.
Wir müssen die Gesellschaft zusammenhalten und den Dialog wiederfinden. Sie nennen die Abstiegsangst, das ist ein wichtiger Punkt. Viele Menschen haben Angst, dass sie bald keinen Arbeitsplatz mehr haben. Denen müssen wir vermitteln, dass der Staat für sie da ist. Aber noch einmal, ich bitte Sie zu sehen: Es gibt Leute, die auf die einfachen Versprechen von Parteien wie der
AfD reinfallen.
Sie sagen "einfache
Versprechen". Wenn ich überall lese "SPD für Grundeinkommen statt Hartz IV" und
Sie erklären mir: "Wir diskutieren nur Ideen." Dann klingt das für
mich auch nach so einem sehr einfachen Versprechen.
Wir müssen Lösungen finden, die den Menschen helfen, sie
dauerhaft in Arbeit zu bringen und auf der anderen Seite auch verständlich
sind. Das ist etwas völlig anderes, als die "einfachen Versprechen", mit denen
rechte Kräfte arbeiten.