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Ampel-Bilanz: Was die Regierung schon erreicht hat – und was noch nicht

30.08.2023, Brandenburg, Meseberg: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M), Christian Lindner (FDP, l), Bundesminister der Finanzen,und Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft  ...
Finanzminister Christian Lindner (FDP, v.l.) gemeinsam mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach der Kabinettsklausur in Schloss Meseberg.Bild: dpa / Michael Kappeler
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Ampel-Zoff oder alles gut: Was hat die Regierung geschafft – und was nicht?

06.09.2023, 19:32
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Die erste Hälfte der Legislatur ist um, in gut zwei Jahren wird in Deutschland wieder gewählt. Die Ampel-Partner:innen sind 2021 mit einem 177 Seiten langen Koalitionsvertrag an den Start gegangen, um Deutschland zu erneuern. Gerade einmal drei Monate später ist Russland auf Geheiß des Machthabers Wladimir Putin in die Ukraine eingefallen. Und die Ampel schlingerte vom Macher- in den Krisenmodus.

Seither ist viel passiert. Woran sich viele nach der ersten Legislaturhälfte wohl besonders erinnern: der andauernde Ampel-Krach. Im stillen Kämmerlein um Kompromisse streiten, so macht es den Eindruck, ist nicht der Stil der Koalition.

Was aber haben SPD, Grüne und FDP in zwei Jahren Zusammenarbeit erreicht? Watson hat analysiert, was die Ampel in den Bereichen Nachhaltigkeit, Vielfalt und Diversität sowie Chancengleichheit umgesetzt hat. Und welche Versprechen noch angegangen werden müssen.

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Was hat die Ampel in Sachen Nachhaltigkeit erreicht?

Auf 41 Seiten – und damit knapp einem Viertel des Koalitionsvertrages – fasst die Ampel zusammen, wie sie Deutschland klimaneutral machen will. Dabei ging es um die Themen Mobilität, Energie und Umweltschutz. Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und dem damit verbundenen Engpass in Sachen Öl und Gas wurde indirekt ein Turbo in der Energiewende gezündet.

Erneuerbare Energien standen plötzlich im Fokus. Mit dem Wind-an-Land-Gesetz haben die Koalitionäre den Grundstein für mehr und größere Windparks gelegt. Und auch das Solar-Paket, das die Regierung im Sommer 2023 an den Start gebracht hat, wird von der Branche positiv aufgenommen.

Was steht drin?
Das Wind-an-Land-Gesetz verpflichtet die Bundesländer dazu, mehr Flächen für die Windenergie an Land auszuweisen. Das Ziel ist, bis in die 2030er zwei Prozent des Bundesgebiets für Windenergie zu nutzen. Im Solar-Paket wird der Bau und Betrieb von Solaranlagen entbürokratisiert und erleichtert – auch für Privatpersonen.

Was nun noch fehlt für eine schnelle Energiewende, ist ein Abbau der Bürokratie, darin sind sich alle einig. Ein Thema, das die Ampel nach der Sommerpause intensiv angehen möchte.

Windpark Nauen, 15.08.2023 - Windmuehle in einem Windpark. Nauen Brandenburg Deutschland *** Nauen wind farm, 15 08 2023 windmill in a wind farm Nauen Brandenburg Germany
Bis in die 2030er sollen in Deutschland zwei Prozent der Landfläche für Windenergie genutzt werden.Bild: imago images / Jochen Eckel

Der Kohleausstieg, der "idealerweise" bis 2030 gelingen sollte, wie es im Koalitionsvertrag noch heißt, dürfte sich nun aber doch bis in die 2030er Jahre verschieben. Ab 2038, davon gibt sich die Regierung aktuell überzeugt, ist aber Schluss damit. Und ab 2026 will die Regierung regelmäßig überprüfen, welche Kraftwerke vom Netz können.

Das Versprechen der Elektrifizierung des Individualverkehrs hat die Regierung selbst torpediert. Und zwar, indem Verkehrsminister Volker Wissing dem EU-weiten Verbrenner-Aus ab 2035 einen Riegel vorgeschoben hat. Erlaubt bleiben sollten jetzt deshalb auch Autos, die mit sogenannten E-Fuels betrieben werden. Und auch die Elektrifizierung der Schiene steht noch an.

Um die Klimawende sozial gerecht zu gestalten, hatte die Ampelregierung außerdem geplant, ein sogenanntes Klimageld einzuführen und so die Bevölkerung zu entlasten. Das lässt aber wohl auf sich warten, da laut Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die nötigen Einnahmen dafür fehlen.

Wann und wie das Entlastungsgeld also wirklich kommt, ist noch offen.

Was hat die Regierung für Vielfalt und Diversität getan?

Gerade im Bereich der Gesellschaftspolitik, so macht es den Eindruck, fällt es den drei sehr ungleichen Ampel-Partnerinnen leicht, Kompromisse zu finden. Ein großes Gesetzesvorhaben haben sie bereits umgesetzt, drei weitere stehen mit fertigen Gesetzentwürfen in den Startlöchern.

Beschlossene Sache ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG). Ein sperriger Name für eine weitreichende Änderung in der Migrationspolitik. Mit dem FEG hat die Ampel neue Möglichkeiten geschaffen, um nach Deutschland einzuwandern. So soll es um Qualifikation, Erfahrung und auch das Potenzial gehen.

Nach Deutschland kommen darf also nicht nur, wer bereits einen Vertrag hat, sondern auch jene, bei denen die Chancen auf eine baldige Anstellung aufgrund ihres Potenzials hochstehen.

News Bilder des Tages Nancy Faeser bei der Bundespressekonferenz Gesetzentwurf für ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht im Haus der Bundespressekonferenz. Berlin, 23..08.2023 *** Nancy Faeser at the ...
Das FEG und die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts sind zwei Herzensprojekte von Innenministerin Faeser (SPD).Bild: imago images / Future Image/ F. Kern

Geplant und im Kabinett beschlossen sind außerdem die Gesetzentwürfe für ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht, das die Situation vieler Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, verbessern dürfte. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit sowie mehrere Staatsangehörigkeiten soll nun leichter werden. Was allerdings bisher noch unzureichend Beachtung findet, ist die Situation staatenloser Menschen in der Bundesrepublik.

Das im Kabinett beschlossene Selbstbestimmungesetz dürfte die Situation für viele trans*Menschen erleichtern. Geplant ist, dass in Zukunft Geschlechtseintrag und Name leichter zu ändern sein sollen. Kritiker:innen gibt es allerdings sowohl auf Seiten der Betroffenen, als auch im konservativeren Lager.

Der beschlossene Gesetzentwurf für das Demokratiefördergesetz liegt ebenfalls in der Schublade. Eigentlich hätte er vor der Sommerpause im Bundestag verabschiedet werden sollen – daraus wurde allerdings nichts. Nun macht die SPD Druck, dass das Gesetz bald in die Abstimmung geht. Damit sollen Initiativen für eine starke Zivilgesellschaft besser und längerfristig unterstützt werden.

Was hat sich bei der Chancengleichheit getan?

Um allen Menschen in Deutschland die gleichen Chancen zu ermöglichen, hat sich die Ampel im Koalitionsvertrag einiges vorgenommen. Bildung soll nicht abhängig vom Geldbeutel der Eltern sein, so viel steht fest. Bisher hat die Regierung deshalb bereits eine Bafög-Reform durchgesetzt. Die Sätze sind gestiegen und der Kreis der Beziehenden hat sich erweitert. Aus Sicht von Studierenden und Studierendenwerken gibt es hier aber noch Luft nach oben.

Mit der Ausbildungsplatzgarantie haben junge Menschen künftig einen rechtlichen Anspruch auf eine Ausbildung nach der Schule – bewerben sie sich erfolglos und können auch vom Jobcenter nicht vermittelt werden, sollen sie dann in einer außerbetrieblichen Berufsausbildung einen Beruf erlernen.

Die Kindergrundsicherung, auf die sich die Koalition nun nach reichlich Streit einigen konnte, soll zudem dafür sorgen, dass Kinder alle Unterstützungen bekommen, die ihnen zustehen.

Das Bürgergeld, das Anfang 2023 die Hartz-IV-Reform abgelöst hat, soll ebenfalls zu mehr Chancengerechtigkeit beitragen. Erwerbslosen werden so mehr Spielräume in Bezug auf Weiterbildungen oder Umschulungen eingeräumt. Die Kinder in Bürgergeld-Familien dürfen außerdem mit Nebenjobs Geld dazuverdienen. Der Mindestlohn wurde ebenfalls angehoben.

Und sonst so?

Eine gespannt erwartete Reform vieler Bürger:innen war die Legalisierung von Cannabis. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat mit seinem Gesetzentwurf den Weg zur Entkriminalisierung frei gemacht. Wie es mit der Legalisierung weitergeht, wird sich zeigen.

Darüber hinaus hat Lauterbach eine umfassende Krankenhausreform auf den Weg gebracht. So soll die Krankenhausversorgung verbessert werden – auch indem der ökonomische Aspekt im Gesundheitswesen wegfallen soll. Aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes ein erster guter Schritt hin zu einer modernen Gesundheitsversorgung.

Die Wahlrechtsreform soll in Zukunft außerdem die Anzahl der Abgeordneten begrenzen und so Kosten senken. Ein dickes Brett, an das frühere Regierungen nicht umfassend ran wollten – schließlich bedeutet ein kleinerer Bundestag im Ernstfall auch, dass der eigene Arbeitsplatz wegfallen könnte.

Insgesamt hat die Ampel-Regierung in den vergangenen beiden Jahren schon einiges angepackt. Trotz allem bleibt aber noch viel zu tun. Auch, weil die Probleme, mit denen sich Deutschland konfrontiert sieht, nicht weniger werden. Und die Zeit gerade in Sachen soziale Gerechtigkeit und Klimakrise drängt.

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