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"Das ist böswillig!" – Karikaturist Hanitzsch über Antisemitismus-Vorwürfe

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"Das ist böswillig!" – Karikaturist Hanitzsch über Antisemitismus-Vorwürfe

19.05.2018, 19:48
Jonas mueller-töwe
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Die Seite 4 der Süddeutschen Zeitung vom Dienstag sorgt für einen Eklat: Eine Karikatur zeigt Israels Premierminister Benjamin Netanjahu mit großen Ohren, riesiger Nase und einem vermeintlich allzu bekannten Ausdruck auf dicken Lippen. Davidsterne zieren eine Rakete, die er in Händen hält, und den Schriftzug "Eurovision Song Contest".

Der Vorwurf ist klar: Antisemitismus. Mittlerweile hat der Deutsche Presserat ein Prüfverfahren aufgrund von Beschwerden eingeleitet.

In der Vergangenheit sah sich die "Süddeutsche Zeitung" schon oft dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt. Nun will man offenbar schnell handeln. Es dauert nicht lange, bis sich die Chefredaktion für die Veröffentlichung entschuldigt. Der verantwortliche Zeichner wird kurzerhand vor die Tür gesetzt: Dieter Hanitzsch, einer der bekanntesten Karikaturisten Deutschlands. Für Kabarettist Dieter Hildebrandt illustrierte er dessen Bücher, später erhielt er das Bundesverdienstkreuz.

Im Gespräch schildert Hanitzsch nun seine Sicht der Dinge. Die Vorwürfe kann er nicht nachvollziehen. Außerdem habe die Redaktion der "Süddeutschen Zeitung" die Zeichnung in Auftrag gegeben und veröffentlicht.

Herr Hanitzsch, Sie sehen sich derzeit harter Kritik ausgesetzt. Ihre in der Süddeutschen Zeitung erschienene Karikatur von Herrn Netanjahu sei antisemitisch. Das passiert nicht zum ersten Mal. Vor zwei Jahren wurden Sie für eine TTIP-Karikatur kritisiert, weil sie mit der Metapher einer Krake antisemitische Ressentiments befördere.
Dieter Hanitzsch: Das ist richtig. Es hieß, das sei Nazi-Symbolik. Dabei ist die Krake als Symbol viel älter und in historischen Karikaturbänden vielfach zu finden.

Die Kritik an der Krake als Metapher bezieht sich darauf, dass sie als kommunikative Chiffre fungiere: Sie beschreibe eine dunkle aber unbestimmte Bedrohung der Welt. Deswegen sei sie als antisemitisches Symbol so beliebt und funktional – und kaum davon zu trennen.
Man kann in allem etwas finden, wenn man etwas finden möchte. Für mich symbolisiert die Krake eher den Versuch, eine weltweite Macht zu werden. Das Ausmaß der damaligen Kritik war sehr viel geringer als heute.

Hätten aber diese Vorwürfe Sie nicht sensibilisieren können? Wie sehr hat Sie die Kritik an Ihrer aktuellen Zeichnung von Herrn Netanjahu überrascht?
Dass man aus dieser Karikatur 'blanken Antisemitismus' herausliest hat mich sehr überrascht – und trifft mich auch. Da muss ich wirklich tief durchatmen. Als Kind wurde ich nach dem Krieg als Sudetendeutscher im heutigen Polen geprügelt und bespuckt. Kleinigkeiten im Vergleich zu den Gräueln, die europäischen Juden angetan wurden. Aber ich weiß in etwa, wie Ausgrenzung und Verfolgung sich anfühlen.

Die Karikatur wird kritisiert, da sie antisemitische Klischees nutze und Ressentiments reproduziere. Der Vorwurf wird dann häufig erweitert: Wer so etwas zeichnet, muss auch Antisemit sein. Können sie sich vorstellen, mit der Zeichnung Ressentiments zu reproduzieren – ohne das beabsichtigt zu haben?
Da müsste ich ja eine gespaltene Persönlichkeit sein! Aber was wären denn diese antisemitischen Klischees?

Da sind zum einen die übergroßen Ohren und die riesige Nase, der Ausdruck auf den dicken Lippen. Genauso würde man das von antisemitischen Zeichnungen erwarten.
Ganz sicher kann man das hineindichten. Aber Netanjahu sieht eben nicht aus wie George Clooney. Weltweit wird er so karikiert. So stellen Karikaturisten eben Politiker dar. Mit großen Ohren und Nasen.

(180308) -- UNITED NATIONS, March 8, 2018 -- Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu attends the exhibition 3000 years of history: Jews in Jerusalem at the United Nations headquarters in New York, M ...
Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu: "Er sieht eben nicht aus wie George Clooney", sagt Karikaturist Dieter HanitzschBild: imago stock&people

Außerdem ist ja da auch noch der David-Stern auf der Rakete und im Schriftzug des 'Eurovision Song Contest'. Warum ist das nicht wenigstens eine Israel-Flagge? Was ist mit dem religiösen Gruß "Nächstes Jahr in Jerusalem"?
Netanjahu lässt sich immer vor Davidsternen fotografieren. Auf der Israel-Flagge prangt dick der Davidstern. Wenn ich den Davidstern nehme als heraldisches Symbol für Israel – wieso ist das antisemitisch? Ich verstehe das nicht. Es ist doch nun wirklich ein Problem, dass ein solcher Musikwettbewerb dann bald in dieser höchst umstrittenen Stadt Jerusalem stattfinden soll. Wieso nicht Tel Aviv? Warum muss Netanjahu den Sieg der Sängerin propagandistisch benutzen? Und den Spruch hat Netanjahu nicht religiös verwendet – sondern als politische Botschaft.

Aber befördert die Darstellung nicht insgesamt die Legende, Juden steckten hinter den Kriegen der Welt? Herr Netanjahu wirkt auf der Zeichnung wie der Urheber der Aggression in Nahost, gekoppelt mit jüdischer Symbolik.
Das weise ich strikt zurück. Herr Netanjahu ist Premierminister seines Landes. Israel hat allen Grund, wehrhaft zu sein – weil es umgeben ist von mächtigen Feinden. Nur weil ich eine Rakete in der Hand halte, bin ich nicht der erste, der sie abschießt. Die Darstellung ist doch kein Vorwurf, er sei kriegslüstern. Mir persönlich rasselt er zu viel mit dem Säbel. Das stimmt schon. Aber diese Kritik muss erlaubt sein.

Die Kritik an israelischer Politik ist erlaubt, die verbietet ja niemand. Aber viele fühlen sich verletzt – nicht nur Menschen, die auf Linie der israelischen Regierung liegen. Können Sie das nicht nachvollziehen?
Ich versuche es. Wer mir unterstellt, dass ich das antisemitisch gemeint habe, der wird sich verletzt fühlen. Aber das ist böswillig! Ich muss da bei einigen – nicht bei allen – Absicht unterstellen. In der "Bild"-Zeitung wurde die Zeichnung in eine Reihe mit dem Nazi-Hetzblatt "Stürmer" gestellt. Das ist ein unerträglicher Vorwurf.

Ich habe eine Zuschrift bekommen, die mir viel bedeutet. Die Tochter von Max Mannheimer, dem früheren Präsidenten des Internationalen Dachau-Komitees, hat mir geschrieben: Die Reaktionen auf die Zeichnung führten zu noch mehr anti-israelischem Ressentiment. Das will niemand! Aber offenbar soll Kritik an israelischer Politik tabuisiert werden.

Hinter sogenannter "Israel-Kritik" verbirgt sich oft Antisemitismus.
Aber dafür kann ich doch nicht in Haftung genommen werden!

Die Hamas kommt in der Karikatur nicht vor.
So funktionieren Karikaturen nicht. Man muss sich beschränken auf ein Motiv. Was hätte ich da zeichnen sollen? Was hat das mit dem "ESC"-Szenario zu tun? Die Redaktion hat keinerlei solche Anmerkungen gemacht.

Wie landete die Zeichnung denn in der Zeitung?
Ich habe zunächst einen Entwurf eingereicht, der wurde von der Redaktion begutachtet, für gut befunden und die Zeichnung wurde in Auftrag gegeben. Die fertige Zeichnung habe ich eingereicht. Da hieß es: 'Danke, prima!' Sie hätten sie ja auch ablehnen können! Das passiert. Das wäre ein ganz normaler redaktioneller Ablauf. Erst am nächsten Morgen kam der Anruf aus der Chefredaktion – die war am Tag zuvor nicht in der Stadt. Da war dann großer Wirbel.

Die Zusammenarbeit mit der SZ wurde dann beendet?
Die SZ hat mich rausgeschmissen. Ganz einfach.

Die Zeitung sieht sich immer wieder mit Vorwürfen des Antisemitismus konfrontiert. Das Gedicht von Günter Grass erschien dort: "Was gesagt werden muss". Eine Buchrezension zu Israel wurde mit dem Bild eines gefräßigen Monsters illustriert. Nicht zu vergessen die Kraken-Karikatur von Burkhard Mohr, die Mark Zuckerberg darstellen sollte. Fühlen Sie sich als Bauernopfer mangelnder Qualitätskontrolle in der Redaktion?
Ich fühle mich ungerecht behandelt. Seit Jahrzehnten zeichne ich für die Zeitung, ohne größeren Ärger verursacht zu haben. Als Student habe ich dort 1959 angefangen. Wir haben sehr lange prima zusammengearbeitet. Der Chefredakteur hat sich nun sehr geärgert. Das verstehe ich. Aber mich ohne vorherige Abmahnung einfach vor die Tür zu setzen. Das ist schon ein starkes Stück. Ich habe die Zeichnung nicht in den Druck geschmuggelt.

Ihnen ist vor einigen Jahren das Bundesverdienstkreuz verliehen worden. Herr Gauck sagte damals, es gelinge Ihnen, "die Schwere der gewonnen Erkenntnis mittels Humor und Leichtigkeit zu vermitteln". Ist Ihnen das mit dieser Zeichnung gelungen?
Letzten Endes kann ich meine Arbeit nicht selbst bewerten. Ich habe bestimmt Karikaturen gezeichnet, mit denen mir das besser gelungen ist. Ich möchte mir aber keine Bösartigkeit unterstellen lassen. Das geht einfach nicht. Deswegen kann ich auch nicht um Entschuldigung bitten.

Dieses Interview erschien zuerst bei t-online.de.

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