Noch bevor die Unionskrise zu einer Regierungskrise wurde, war sie bereits eine rhetorische. Alles begann mit "wirkungsgleich" und mündet nun in der "Fiktion der Nichteinreise".
Der Sprachguide zur Regierungskrise (to be continued):
Wirkungswas?
Genau.
Es ist das Wort der Krise. Und hat schon jetzt beste Chancen zum Unwort das Jahres gekürt zu werden.
"Wirkungsgleiche Ergebnisse" hatte Seehofer von Merkel verlangt, damit er nicht per Ministerentscheid die Grenzen für bereits in der EU registrierte Flüchtlinge schließt. Nach Merkels Verhandlungsmarathon in Brüssel hatte sie Seehofers Code aufgenommen und davon gesprochen, die Verhandlunsergebnisse seien "mehr als wirkungsgleich". Seehofer sah das anders. Es kam zum Rücktritt. Dann zum Rücktritt vom Rücktritt.
Im Duden findet man das Wort im Übrigen nicht. Horst Seehofer dürfte sich bei dieser rhetorischen Blüte an seine Zeiten als Gesundheitsminister erinnert haben. Denn: Das Wort taucht vor allem im Zusammenhang mit Medikamenten auf.
Beim Bundesgesundheitsministerium heißt es:
Das Verfahren wiederum geht zurück auf die sogenannte "Aut-idem-Regelung" (lateinisch: aut idem = oder das Gleiche). Danach hat der Verbraucher ein Recht auf ein gleichwertiges Arzneimittel, um weniger dazuzahlen zu müssen.
Das gleichwertige Arzneimittel, das Seehofer am Ende bekommen sollte, hieß Transitzentrum. Es ging also von Beginn an nie um einen echten Kompromiss, sondern um eine Pille für Horst S. Und die darf jetzt die SPD schlucken.
Die Alliteration auf RTL II Niveau. Allein der Titel: Ausdruck totaler Bescheidenheit. Er signalisiert: Da hat jemand nicht nur einen Plan. Nein, sondern einen MASTERPlan, einen Plan der Pläne sozusagen. Das Besondere: Bis vor wenigen Tagen kannte den niemand – außer Seehofer selbst. Insofern ist das Masterhafte an diesem Plan, die Umschreibung für etwas, das nicht existiert, über das aber alle reden.
An diesem Begriff lässt sich wunderbar zeigen, wie sich ein Diskurs verschiebt. Der Marsch durch die Institutionen beginnt mit der Sprache.
Begriffe wie "Altparteien" oder eben "Asyltourismus" haben den Weg von ganz rechts in die Mitte geschafft. NPD und AfD benutzen den Begriff "Asyltourismus", um das Menschenrecht auf Asyl zu diskreditieren.
Markus Söder hat es in nahezu jede ihm sich bietende Kamera gesagt.
Wir müssen endlich unsere Grenzen wirksam sichern. Dazu gehört natürlich die Zurückweisung. Der Asyltourismus muss beendet werden. Deutschland darf nicht endlos auf Europa warten, sondern muss selbstständig handeln.
— Markus Söder (@Markus_Soeder) 14. Juni 2018
Und man muss leider unterstellen, wer Asyl mit Tourismus in Verbindung bringt, weiß genau, was er da macht.
Erst AfD, dann CSU, jetzt CDU: @JuliaKloeckner spricht in den @tagesthemen von "Asyltourismus". Nach all der berichtigen Kritik an dem Begriff ist das ein bewusster Beitrag zur Entmenschlichung der politischen Debatte. #Unionsstreit pic.twitter.com/0B1PzKBxYW
— Johannes Hillje (@JHillje) 3. Juli 2018
Die fiktive Nichteinreise war der große Durchbruch im Schwesternstreit. Zumindest wurde er als solcher verkauft. Der "Kompromiss" in Gestalt der Transitzentren fußt auf der "Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise".
Habemus Einigung! @csu @cdu @cducsubt pic.twitter.com/DKr0aFZ3td
— Dorothee Bär (@DoroBaer) 2. Juli 2018
Damit ist nicht etwa gemeint, dass nur Klingonen oder Vulkanier nicht nichteinreisen dürfen. Nein. Die Fiktion bezieht sich auf Asylsuchende, die an der Grenze gestoppt und in ein Transitzentrum gebracht werden und damit als nicht eingereist gelten.
Eine Fiktion soll also nun die Regierung retten.
Laut Duden meint Fiktion "etwas Vorgestelltes". Oder philosophisch erklärt: "Eine bewusst gesetzte widerspruchsvolle oder falsche Annahme als methodisches Hilfsmittel bei der Lösung eines Problems."
Mit einem Wort: CSU.
Für die SPD ist diese Fiktion nun allerdings sehr real – und nennt sich: Transitzentren. Die hatte die SPD ja eigentlich bereits 2015 mit scharfen Worten ("Haftzonen") abgelehnt.
Kaum geschlüpft, sollte das Unionsei also auch schon wieder umbenannt werden. SPD-Chefin Nahles sucht nach einer semantischen Lösung. Der Begriff "Transitzentren" sei irreführend. Und treffe nicht zu. Sagte Nahles. "Jedenfalls wenn man zugrunde legt, dass es sich dabei um Transitzentren handelt, die wir 2015 diskutiert haben, dann ist das hier nicht derselbe Sachverhalt. Deshalb lehnen wir den Begriff ab."
Das Wort "Transit" meint übrigens, durch etwas hindurch gehen. Ob die SPD durch diese Tür geht, bleibt abzuwarten.
Die #SPD hat sich durchgesetzt. #Transitzonen sind vom Tisch. Keine Haft, kein Zaun.
— Sigmar Gabriel (@sigmargabriel) 5. November 2015
Über diesen Satz Seehofers ließen sich ganze Bücher schreiben. Wir rätseln immer noch, was er denn jetzt eigentlich genau damit sagen wollte. Bisher dachten wir, die Kanzlerin wird vom Bundestag gewählt und der wiederum von den Wählern. Entweder Horst Seehofer hat ein merkwürdiges Demokratieverständnis oder er hat Inselwissen auf Hawking-Niveau. Ausgehen muss man von Ersterem.
Fazit: "Wirkungsgleich" hätte beinahe eine Regierung gestürzt. "Asyltourismus" marschiert durch die Institutionen. Und eine Fiktion soll nun die Regierung retten...
Was bleibt, ist die Erkenntnis: Von Krisen profitiert eine ganz sicher nicht: die Sprache.
Mit #Bürohund wäre es nicht zum Streit gekommen.#Seehofer #Regierungskrise #Einigungsversuch #Haushalt #Bundesregierung pic.twitter.com/1rCp3Vv9s9
— BVerband Bürohund (@BV_Buerohund) 2. Juli 2018